Piratenprozess in Hamburg: "Fluchthelfer" im Landgericht

Die in Hamburg angeklagten Somalier werden wegen Fluchtgefahr nicht aus der U-Haft entlassen. Grund sind öffentliche Solidaritätsaufrufe von Unterstützern.

Die Hälfte der angeklagten Somalier hat eine Beteiligung eingeräumt und sich beim Kapitän entschuldigt. Bild: dapd

HAMBURG taz | Das Hamburger Landgericht hat es abgelehnt, die zehn somalischen Angeklagten im Piratenprozess vorerst freizulassen. Es wies einen Antrag der teils jugendlichen Gefangenen zurück, die schon seit 15 Monaten andauernde U-Haft auszusetzen. Die zum Teil geständigen Somalier müssten mit langen Freiheitsstrafen rechnen, deshalb bestehe erhebliche Fluchtgefahr, so das Gericht. Weil es "öffentliche Solidaritätsaufrufe" in Deutschland gegeben habe, stünden möglicherweise Fluchthelfer bereit.

Prozessbeobachter glauben, dass dies vor allem auf sie gemünzt ist. "Auf abenteuerliche Weise wird eine Begründung für die angebliche Fluchtgefahr aus dem Hut gezaubert", heißt es in einer Erklärung des Eine Welt Netzwerks, der Gruppe "kein mensch ist illegal" (Kmii) und der Dritte-Welt-Hafengruppe.

Seit Verhandlungsbeginn dokumentierten die Aktivisten minutiös jeden Prozesstermin und veröffentlichten die Protokolle. Sie organisierten Infoveranstaltungen zu Somalia, sammelten Spenden und demonstrierten vor dem Gefängnis. Nun fühlen sie sich verleumdet: "Das Gericht verschweigt seine Quellen für diese absurden Anschuldigungen und diffamiert so die kritische Prozessbeobachtung", sagt Reimer Dorn von Kmii.

Seit dem 22. November 2010 stehen in Hamburg zehn Somalier wegen Piraterie vor Gericht. Es ist wohl der erste Piratenprozess auf deutschem Boden seit 1600.

Die angeklagten Somalier sollen den Hamburger Frachter "Taipan", der auf dem Weg von Haifa nach Mombasa war, am Ostermontag 2010 rund 500 Seemeilen vor der Küste Somalias überfallen und knapp vier Stunden in ihrer Gewalt gehabt haben.

Ein niederländisches Marinekommando überwältigte die Piraten und nahm sie fest.

Die Besatzung des mittlerweile nach Liberia ausgeflaggten Containerschiffs kam nicht zu Schaden, ein niederländischer Soldat wurde bei der Befreiungsaktion leicht verletzt.

Im Juni 2010 folgten die Niederlande einem Auslieferungsantrag Deutschlands.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten erpresserischen Menschenraub und Angriff auf den Seeverkehr vor. Ihnen drohen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren. (taz)

Der Verteidiger Andreas Beuth nahm die Prozessbeobachter in Schutz: Sie hätten mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf wichtige Probleme in Somalia wie Fischraub, Giftmüllverklappung oder Militäreinsätze hingewiesen. "Daraus Fluchthilfe zu konstruieren ist unlauter und abwegig", sagt Beuth.

Anwalt erbost Begründung des Gerichts

Ein Sprecher des Hamburger Landgerichts verwies darauf, dass "keine konkreten Gruppierungen benannt worden seien", die Fluchthilfe leisten könnten. "Es gibt ja nicht nur diese eine."

Neben der langen Dauer der Untersuchungshaft erbost Anwalt Beuth vor allem, mit welcher Begründung das Gericht eine vorläufige Freilassung ablehnt. "Es grenzt an Zynismus, einerseits Jugendliche aus Somalia allein zur Strafverfolgung herzubringen und ihnen dann keine tragfähigen Bindungen in Deutschland zum Vorwurf zu machen", sagt Beuth. Er hat Akteneinsicht beantragt, um nachzuvollziehen, weshalb das Gericht die Prozessbeobachter als potenzielle Fluchthelfer sieht.

Es handelt sich um den ersten Prozess gegen somalische Piraten in Deutschland. Die Anklage basiert auf dem sogenannten Weltrechtsprinzip, das eine Verfolgung nach deutschem Strafrecht gestattet, wenn sich die Straftat gegen international geschützte Rechtsgüter richtet.

Alter der Angeklagten strittig

Die Hälfte der Somalier hat eine Beteiligung an dem Überfall eingeräumt und sich im Gericht beim Kapitän der "Taipan" entschuldigt. Einige der Angeklagten schilderten ihre Lebensumstände in Somalia: "Ich hatte nichts, gar nichts, und habe mich danach gesehnt, etwas zu finden, womit ich überleben kann", sagte einer. Andere berichteten von leeren Fischgründen, Hunger in ihrer Familie oder dem Tod der Eltern im Bürgerkrieg. Ein Mann gab an, mit der Entführung von Angehörigen zur Beteiligung an dem Überfall gezwungen worden zu sein.

Strittig ist das Alter der Angeklagten. Einige hatten erklärt, unter 21 Jahre, einer sogar unter 14 Jahre alt zu sein. Gutachter stuften jedoch anhand von Röntgenbildern nur drei der Somalier als Heranwachsende bis 20 Jahre ein. Sie werden nach dem Jugendstrafrecht behandelt, wegen des "internationalen Informationsinteresses" lehnte das Gericht es jedoch ab, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln.

Der Verteidiger Thomas Jung hatte gegen den Gutachter einen Befangenheitsantrag gestellt. "Weder wurde ein Dolmetscher hinzugezogen, noch gibt es eine wissenschaftliche Grundlage für die Alterseinschätzung von Menschen aus Ostafrika", so der Anwalt. Bis zum 30. November sind Prozesstermine angesetzt.

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