Vollkontaktsport "Roller Derby": Pippi Langstrumpf auf Speed

Die Rollergirls der Bremer "Meatgrinders" laufen für keinen Promoter, nur für sich selbst. Dass ihr Sport gaffende Männer anzieht, nehmen sie in Kauf.

Angeblich die am schnellsten wachsende Sportart weltweit: Roller-Derby-Wettkampf in Berlin. Bild: dpa

BREMEN taz | An einem Samstagabend, 18 Uhr, bläst Kapitänin Ina, Kampfname: Several Stiches, in ihre Trillerpfeife, und die Bremer "Meatgrinders" - "Fleischwölfe" - fahren sich in der neonhellen Sporthalle warm. Eine Runde, zwei Runden, zwanzig Runden. "Hände auf den Rücken!" Außer dem Rauschen der Quad-Rollerskates, die so aussehen wie die gelb-blauen Dinger aus den 80ern, ist nichts zu hören. Der Duft von Schweiß hängt ab Runde fünf in der Halle, ein deutlicher Fahrtwind ist zu spüren.

Roller Derby ist ein Vollkontaktsport aus den USA, bei dem zwei Frauenteams auf Rollschuhen sich von der Bahn zu rempeln versuchen. Bis in die 80er Jahre wurden die Shows professionell organisiert, es waren Großereignisse mit lauter Musik und ordentlich Licht. In den 90er Jahren kam es zu einem Comeback von unten - ohne Promoter, von den Rollergirls selbst organisiert. 2007 behauptete die New York Times, Roller Derby sei die am schnellsten wachsende Sportart weltweit.

Nach Bremen kam der Sport, weil Ina und Nadja, die jetzigen Kapitäninnen der Meatgrinders, einen Artikel über Roller Derby in einer Tattoozeitschrift lasen. Die beiden Erzieherinnen waren sofort angefixt: ein Sport nur für Frauen, schnell, hart. Und bei den Wettkämpfen dröhnt ihre Musik aus den Boxen: Punk, RocknRoll, Metal. "Du kannst in eine Rolle schlüpfen, die Sau raus lassen, aggressiv und trotzdem weiblich sein", sagt Nadja, Kampfname "Jelly Jawbreaks", beim Nachgespräch im "Eisen", einer Eckkneipe am Bremer Siewall. "Oft ist es das pure Adrenalin."

1935 veranstaltete der Sportpromoter Leo A. Seltzer in den USA ein Ausdauerrennen, bei dem 25 Teams, immer eine Frau und ein Mann, insgesamt 57.000 Runden Rollschuh fahren mussten.

Gewonnen hatte, wer als letztes noch in der Bahn stand. Schon bei diesen ersten Rennen wurde publikumswirksam, aber wenig regelkonform gerempelt.

In den 40er Jahren entwickelte Seltzer ein Punktesystem - und neue Regeln, die das Rempeln ausdrücklich erlauben.

Weil rempelnde Frauen mit Rollschuhen und Minis mehr hermachen als Männer, traten oft nur weibliche Teams an - und sorgten bis in die 70er Jahre hinein für ausverkaufte Stadien.

Das Roller-Derby-Comeback der 90er Jahre kommt weitgehend ohne Promoter und Management aus. Es ist eine Amateurbewegung mit Verbindung zur Punkszene, bei der sich die Frauen selbst um Training, Sponsoring und Organisation kümmern.

In der Show fahren zwei Fünferteams auf dem ovalen Track, die ans Sechs-Tage-Rennen erinnert, immer im Kreis gegeneinander.

Innerhalb der Teams sind vier Frauen das Pack, die fünfte ist die Punktemacherin, die das Pack des gegnerischen Teams überholen muss. Für jede überholte Gegnerin gibt es einen Punkt.

Ausdrücklich erlaubt ist der Einsatz von Schultern, Hüften und Hinterteilen, um die Punktmacherin am Überholen zu hindern.

Auf dem Index stehen Festhalten, Beinstellen und Würgen: In diesen Fällen droht den Spielerinnen die Strafbank.

Ina und Nadja haben beide eine Vorliebe für dunkle Klamotten und asymmetrisch-schwarze Haare, für Punkkonzerte und Tattoos, die über Oberarm-Tribal und Arschgeweih deutlich hinausgehen. "Dass viele Rollergirls, auch die Meatgrinders, eine Nähe zur Punk-Ecke haben, ist natürlich kein Muss", sagt Ina, "hat sich aber herauskristallisiert."

In der Show treten die Rollergirls in einem Outfit an, das ein bisschen an Pippi Langstrumpf auf Speed denken lässt: die Haare sind oft orange, pink oder schwarz mit Betty-Page-Gedächtnis-Pony, dazu tragen sie Minis oder Hotpants, gestreifte oder vernetzte Strümpfe und vor allem Tattoos. Jede entscheidet, wie kurz der Rock sein darf - nur die Farbe im Team muss einheitlich sein. "Sonst haut man vielleicht die Falsche um", sagt Nadja.

Das exponierte Outfit geht mit einem Kampfnamen einher: kein Rollergirl würde sich je mit ihrem richtigen Namen auf den Track wagen. Die Namensvergabe ist, wie so vieles in der Roller-Derby-Welt, erstaunlich genau geregelt: im "International Rollergirls Master Roster" sind alle 26.857 weltweit aktiven Rollergirls mit Namen, Rückennummer und Teamnamen verzeichnet. Inklusive Suchfunktion: "Check new name for uniqueness" - jedem Rollergirl den ganz eigenen Namen.

"Am Anfang gab es keine Stelle am Körper, die nicht wehtat: Schürfwunden, blaue Flecken oder Muskelkater", sagt Ina, die jetzt schwitzend ihre Rollschuhschrauben nachzieht. Kurz darauf, es ist 19.35 Uhr, ist der Ass-Burner ist dran: loslaufen und dann mit geradem Rücken und tief in den Knien - "tiefer!" - ausrollen lassen. Nach einigen Durchläufen brennen die Pomuskeln so sehr, dass der Ass-Burner seinen Namen verdient hat.

Auch schön: der Double Knee. Das versierte Rollergirl läuft los und wirft sich im Lauf auf ein Knie. Bremst dadurch, dreht sich in der Bewegung um, steht auf, läuft wieder an, um am Ende der Halle auf beiden Knien zu bremsen. Sieht sehr nach RocknRoll aus und tut ganz schön weh. Muss aber geübt werden.

"Ein Rollergirl sollte nicht zu zart besaitet sein", sagt Nadja beim Nachgespräch im "Eisen" und guckt schon fast ein bisschen streng durch den Rauch ihrer Zigarette. Liegt eine Mitspielerin am Boden, und der Schiedsrichter pfeift nicht ab, springt man drüber. "Wenn du jemanden regelkonform umgemäht hast, musst - darfst! - du dich nicht entschuldigen. Wir haben irgendwann eine Entschuldigungskasse eingeführt: pro ,Sorry' ein Euro."

Andererseits zieht gerade das Roller-Derby-Image der "bösen Mädchen" die falschen Leute an. Zu oft kämen "irgendwelche Männergrüppchen und meinen, sie sehen hier sowas wie Schlammcatchen", sagt Ina. Grundsätzlich bestünde das Publikum aber aus Derby-Leuten und Interessierten, nicht aus Gaffern. "Für uns steht sowieso der Sport im Vordergrund", sagt Ina. "Sollen die paar Gaffer doch gaffen."

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