Gesammelte Bilder: Absurder Stoffwechsel

Die Ästhetik des Absichtslosen erforscht Peter Piller mit Gruppen aus gefundenen Bildern. Seine Ausstellung "Kraft" ist im Kunstverein Braunschweig zu sehen.

Peter Piller: "Kraft". Bild: Kulturverein Braunschweig

Tyrannis ocularis: Die Bildwelt der Gegenwart spart kein Sujet und Genre aus, alles ist erfasst, fotografiert, kartografiert und systematisiert. Die Überfülle an Bildern in Magazinen, Zeitungen, im Internet, im TV, in privaten und öffentlichen Archiven ist immens. Niemand kann mehr sagen, wie viele Milliarden an technischen Bildern es gibt.

Der 1968 in Fritzlar geborene Künstler Peter Piller sammelt seit fast zwanzig Jahren gefundenes Bildmaterial und fasst es thematisch in Gruppen zusammen. Dabei folgt er anstelle soziologischer oder kulturgeschichtlicher Verfahren subjektiven Sammlungsgebieten: Es gibt "Schießende Mädchen", "In Löcher blicken", "Vandalismus" oder "Geld zeigen".

Piller findet diese Bilder in regionalen Zeitungen, im Internet oder in anderen Archiven. Mancher Kontext ist speziell. Vereine und Versicherungen, Sammler und Historiker, Fanclubs und Betriebe: sie alle generieren Bilder, benutzen und vervielfältigen diese, mitunter mit schwer nachvollziehbarem Kommentar.

Das Durchschneiden von Einweihungsbändern hat in der Kombinatorik von Piller den gleichen Stellenwert wie das Hochhalten von Ehrenurkunden, Ortsbesichtigungen oder Fotos von Stellen, an denen wilder Müll abgelagert wurde. Man ahnt, es gibt nichts, was es nicht gibt. Und jede Handlung, jeder Prozess, jede Form der Selbstdarstellung wurde längst schon anderswo vollzogen. Der Anspruch auf Einzigartigkeit löst sich auf in einer Welt vielfältiger sozialer und ästhetischer Beziehungen

Konvolut an Skizzen

Pillers aktuelle Ausstellung "Kraft" im Kunstverein Braunschweig präsentiert ihn nicht nur als Sammler, sondern auch den Fotografen und Zeichner. So unterschiedlich die Medien und die Verfahrensweisen sind, so stringent ist das Interesse am Ungreifbaren und Absichtslosen. In seinen "Bürozeichnungen" erfährt man einiges über Hierarchien und Druck: "Herr Piller gibt sich Mühe, damit es ein weiteres Jahr keinen Ärger mit ihm gibt. Absichtserklärung auf weißem Grund. Unterschrieben und ausgemalt" (2003) lautet eine Bildunterschrift.

Piller musste den Job in einer Agentur lange Zeit als Broterwerb machen. Auf dem Geschäftspapier entstand über die Jahre ein Konvolut an Skizzen, die meist mit wenigen Strichen unbewusste Riten und soziale Abgründe fixieren. Man muss unweigerlich an Martin Kippenbergers Zeichnungen auf Hotelpapier denken. Nur das Kippenberger nicht als Lohnempfänger im Büro schwitzen musste, sondern als Getriebener von Hotel zu Hotel tingelte. Beide Arbeiten markieren den Versuch, auch dann noch produktiv zu sein, wenn eigentlich alles dagegen spricht.

Dass man im Braunschweiger Kunstverein die Zeichnungen, Fotografien und Sammlungen des Archivs vergleichen und verbinden kann, ist einmalig im Ausstellungsbetrieb und entspricht der klugen Programmatik von Direktorin Hilke Wagner. Allerdings wirken viele der Archivarbeiten, die in Pillers Büchern ausnahmslos überzeugen, an den Wänden lapidar und gleichförmig. Man spürt, dass der Künstler in Büchern denkt. Am besten sind die Räume im Kunstverein dann genutzt, wenn Piller seine Arbeiten für den Raum neu präsentiert

Konzeptuelle Arbeit zum Irakkrieg

Die großen Tisch-Installationen "A40 Bochum Dückerweg" (2010) und "Peripheriewanderung Hamburg" (1994-95) belegen dies eindrücklich. Auf aufgebockten Spanplatten liegen die Bilder unter Fensterglas und sind in assoziativer Form miteinander verbunden. Zeichnungen und Fotos verdichten sich zu einem konzeptuellen Gang in die Peripherie und einer Ästhetik sozialer Verhaltensweisen.

Im Obergeschoss des Kunstvereins verdichtet sich die Schau zu einem Höhepunkt in der Arbeit "Nachkriegsordnung" (2003). Piller erweitert sein Oeuvre durch eine konzeptuelle Arbeit zum Irakkrieg und reflektiert Ästhetik und Bildpolitik der Medien auf verblüffend einfache Weise.

Im März 2003 begann die USA den Krieg mit einem Bombenangriff auf Bagdad. Das einzig freigegebene Pressefoto des nächtlichen Angriffs hat Piller aus 35 verschiedenen Tageszeitungen ausgeschnitten und versucht, das Bild freihändig mittig auf ein DIN-A4-Blatt zu kleben. Der Versuch gelingt mal mehr, mal weniger exakt. Ohne jede Vorgabe vonseiten des Künstlers fallen einem eine ganze Reihe Fragen dazu ein: Warum gibt es nur ein offiziell freigegebenes Bild, aus einer zentralen Perspektive? Wer bestimmt was, wie und wann abgebildet wird? Was könnte man aus einer anderen Perspektive sehen?

Piller hat die Verwertung von vorgefundenen Bildern nicht erfunden. Schon die Avantgarde verwendete Zeitungsbilder, allerdings für wütende Kommentare über die Mechanismen der Entfremdung und der Unübersichtlichkeit des modernen Lebens. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Künstler wie Ed Ruscha oder Hans-Peter Feldmann die Ästhetik des Absichtslosen und des gefundenen Bildes definiert. Peter Piller reiht sich mit seiner Archivarbeit, seinen Zeichnungen und Fotografien souverän ein und zeigt uns, wie sich der absurde Stoffwechsel zwischen Handlung, Welt, Ding und Absicht permanent wiederholt.

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