Russisches Kulturinstitut in Berlin: Verlorene Wirklichkeit

Das einzige russische Kulturinstitut in Deutschland laviert zwischen Kunst und Kommerz. Das könnte schlecht ausgehen für das Russische Haus.

Spagat zwischen Nippes und Nabokov: Riesen-Matroschka im Russischen Haus in Berlin Bild: Bald und Lessing

BERLIN taz | Zwischen einer überdimensionalen Taschenuhr und Schaufensterpuppen, zwischen dem Schweizer Edeljuwelier Bocher und dem Modelabel Escada, zwischen Präziosen und Textilien ist der Eingang zum Russischen Haus der Künste und Wissenschaften in der Berliner Friedrichstraße. Das einzige russische Kulturinstitut in Deutschland ist es. Gläserne Schaukästen vor dem Eingang künden bunte Konzertprogramme und Ausstellungen an. Sie beschwören Russizität mit Trachtengruppen und großer Kultur. Meist sind die angekündigten Konzerte klassisch oder folkloristisch, die Lesungen romantisch, die Gemälde konventionell.

Hinter dem Eingang zum Russischen Haus muss, wer sich einfindet, einen Metalldetektor passieren - meist ohne Signal. Daneben ein Stühlchen und darauf halb lesend ein Bodyguard mit Dienstwaffe.

An gewöhnlichen Tagen schüchtert die Monumentalität des Foyers, das einer von Rinnsalen geprägten Tropfsteinhöhle gleicht, erst mal ein. 1.700 Quadratmeter Fläche - wer sie mit Kultur füllen will, darf nicht sparsam sein. Diese Halle braucht Menschen, viele. Messen, Jubiläen, Präsentationen großer Firmen à la Gazprom sind nötig, damit die Halle angefüllt ist mit Stimmen, mit Lachen, mit privet! und na zdorovje! - Hallo! und Prost!

Vordergrund: Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur (RHWK) in der Berliner Friedrichstraße 176-179 ist heute das einzige Kulturinstitut Russlands in Deutschland. Es wurde 1984 eröffnet. Auf sieben Stockwerken und 29.000 Quadratmetern soll es Größe und Bedeutung signalisieren. Allein im Foyer ist Platz für 2.000 Menschen.

Hintergrund: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 verlor es an Budget und an Bedeutung. Die dort präsente Kultur hält sich in konventionellen Grenzen. Im Berliner Alltag fungiert es vor allem als Treffpunkt für russischsprachige Emigranten und Emigrantinnen. Derzeit versucht Franz Sedelmayer, ein Kaufmann, der in Russland enteignet wurde, seinerseits das Gebäude zu pfänden und klagt vor dem Bundesverfassungsgericht. Seine juristischen Aussichten sind gar nicht schlecht.

An einem normalen Tag aber ist die Halle leer. Eine lange Stellwand zeigt Fotos von optimistisch dreinblickenden Jugendlichen bei Paraden, von Brautpaaren mit Tauben, von goldenen Kreuzen auf Zwiebeltürmen. Sonst ist der Blick frei auf die Hallenwände aus einem Beton, der hohen Frostwiderstand garantiert.

Nester

Der russische Schriftsteller Juri Tynjanow strich in einer berühmten Romanpassage die Vorzüge von Holzhäusern gegenüber Steinhäusern heraus. Weil es den Steinhäusern an Flexibilität mangele, blieben von einer schnell wachsende Familie nur die Alten darin zurück, "zwitschernd wie Zeisige". Aber im Holzhaus zerfällt die Familie nicht, sie mäandert. "Ein plumper Anbau wächst. Einer heiratet, zeugt Kinder, die Frau stirbt ihm. Der Witwer wird von Efeu umwuchert, ein neues Gesims wird angeklebt, und bums, schon hat er wieder geheiratet. Ein Erbteil wird verkauft, eine Mitgift geht in einem dunklen Winkel verloren, aber bums, schon wieder ist von irgendwoher Geld da."

Tynjanow kannte das Russische Haus der Künste und Wissenschaften nicht. In seinem Beton wachsen die Nester wie in Holz, nur nach innen. Und sie beherbergen auch fremde Vögel.

Zu denen gehört die Spielstätte des Kabaretts "Die Kneifzange". Die Regisseurin Karin Müller, eher unbekannt, hat hier periodisch ihr Nest. Vierzehntägig zeigt sie in einem der Theatersäle ihre Opern- und Operetteninszenierungen von "Zar und Zimmermann" bis zum "Bettelstudent". Und zu Silvester Johann Strauß.

Oben um den Lichthof sind wie Landeplätze für Schwalben diverse Balkone angebracht, mit den für solche Institutionen unverzichtbaren Überwachungskameras. Dahinter hat die Buchhandlung Gelikon einen gut sortierten Horst. Wie auch die Bibliothek, in der die Mitarbeiterinnen bis heute nicht den Glauben daran verloren haben, dass die Russen und Russinnen das am meisten lesende Volk sei.

Vier Ausstellungssäle gibt es im Haus dazu - groß genug, dass Steinadler darin nisten könnten. Die Säle müssen bespielt werden, und sie werden es auch - am liebsten mit Fotos, die die Schönheit der russischen Landschaften und Menschen zeigen.

Luftnummern

Im vierten Stock entsteigt dem Lift wie aus einem Ingmar-Bergmann-Film eine blonde Frau mit hohen Wangenknochen. Es ist die Leiterin des Ballettstudios, Marina Schäfer. Auf sie warten fünf kleine Mädchen in Tutus, die kurz darauf wie Zicklein zu Tschaikowskis "Schwanensee" durch den großen, düsteren Konferenzsaal hüpfen. Sie sind begeistert und zahlen dafür acht Euro pro Stunde.

Wenn es um Kinder geht, erbringt das Russische Haus vermutlich seine wichtigste Kulturleistung. Zu moderaten Preisen erhalten sie Musik- oder Kunstunterricht, können töpfern oder Aerobic betreiben, alles auf Russisch-Deutsch. Nach Schulschluss belebt sich der Betonklotz merklich. Auch guter Russischunterricht findet hier statt.

Aber die Ballettkurse? Sind sie dem Russischen Haus direkt unterstellt? Frau Schäfer, die Leiterin, schlägt bedeutungsvoll die Augen auf: "Nein, das Ballettstudio ist meins, so wie die Modelschule den Tikhonovs gehört."

Elena Tikhonova und ihr Mann Alexander gründeten 2004 in einem kleineren Konferenzsaal des Russischen Hauses die Schule Gratamodels. Eine ihrer Schülerinnen hat es zum internationalen Topmodel geschafft. "In Paris verdient sie tausend Euro an einem Abend, aber in Deutschland nur zwei-, dreihundert", erklärt Alexander Tikhonov, ein sportlicher Mann in den Vierzigern: "Und dabei hat sie einen Bademodenkörper!"

Die jungen Damen machen hier für eine Flatrate von fünfundzwanzig Euro im Monat bis zu viermal wöchentlich Gymnastikübungen und Rollenspiele. Sie haben einen Heidenspaß. Viktoria, eine Mutter, die ihre Tochter hierher begleitet, meint, das Wichtigste dabei sei, dass die Mädchen so von der Straße fern gehalten würden und dass ihnen körperliches Selbstvertrauen gegeben werde. Ihre eigene Tochter komme aber aus Ehrgeiz, sagt sie noch. "Wir haben zwei Autos, und mein Mann verfügt über eigene Geschäftsräume, aber unsere Tochter sagt uns immer wieder: ,Mama, ich kann mir nicht vorstellen, so zu leben, wie wir jetzt.' " Viktoria hat noch einen Sohn. Dessen Schulleistungen seien gut, aber seine Freizeitgestaltung besorgniserregend: "Er liest nur noch, vor allem Romane." Sie nennt ein paar hervorragende Sowjetschriftsteller.

Philistertum

Der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov, der sechszehn Jahre in Berlin lebte, schrieb in einem Essay über den "Philister" oder die "Philistinette", dies sei "ein erwachsener Mensch, dessen Interessen sich auf das Materielle und Alltägliche beschränken. Der Philister beeindruckt gern andere und lässt sich selbst gern beeindrucken - so entstehe durch ihn und um ihn herum eine trügerische Scheinwelt, eine Welt der gegenseitigen Täuschung. Rang und Reichtum sind erregend für ihn - "Liebling, denk dir nur, mit einer richtigen Herzogin habe ich gesprochen!"

Michail Wladimir, Direktor des Russischen Hauses, erhebt sich brünett, schnurrbärtig und in kariertem Jackett hinter seinem Schreibtisch. Der Botschaftsrat und "verdiente Kulturarbeiter der Russischen Föderation" spricht von der ihn umgebenden Liegenschaft wie von seinem persönlichen Landsitz. "Ich habe hier 17 Lifte." Die Frage, ob die Modelschule auch ihm gehöre, verneint er: "Das Ballett ist meins, die Modelschule nicht."

Seit er Hausherr ist, ließ er im Gebäude Wasser- und Stromleitungen ersetzen, das Heizungssystem erneuern und den Putz in dem 1984 erbauten Anwesen ausbessern: "Hier etwas zusammengenagelt und dort etwas geklebt", sagt er. In der Berliner Friedrichstraße gibt es heute nicht mehr viele Häuser wie seins aus jener Ostberliner Epoche. Es war ein Geschenk der DDR an die Sowjetunion. Michail Wladimir bezeichnet es als Baudenkmal des "sozialistischen Realismus".

"Grob gesagt sind wir genauso ein Kulturinstitut wie das Goethe-Institut", sagt Vladimir, "aber viel, viel größer. An manchen Tagen kommen bis zu tausend Leute. Ihnen müssen wir etwas geben."

Provokation

Aber warum versucht das Russische Haus der Kultur und Wissenschaften nicht einmal, mit provokativen Ausstellungen, nach Art der Goethe-Institute, von sich reden zu machen und die Eliten anzulocken? Der Direktor reagiert erbost: "In diesem Haus waren schon sowohl Bundestagsabgeordnete als auch Minister." Und aus Russland sei der Patriarch gekommen. "Aus irgendeinem Grund hegen unsere deutschen Freunde das Klischee, dass an der russischen Kultur nur der Underground gut ist. Das Provokative, das ja! Das ist gut", sagt der Direktor. "Aber alles Offizielle ist schlecht, das braucht man sich nicht anzuschauen, das ist alles nur Propaganda. In diesen Klischees stecken die Deutschen jetzt bis hier." Er hält seine Hand über den Kopf. "Bei uns gibt es keine verbotene und keine offizielle Kunst!" Eine Aussage, welche die Realität russischer Künstler ignoriert.

"Wenn ich Ihnen das Budget eines Goethe-Instituts und meines nenne, so kann man in Tränen ausbrechen!", fährt Vladimir fort: Moskau finanziere ihm nur die Erhaltung des Gebäudes und die Angestellten. "Bis zum Jahr 2010 hatte ich kein Geld für die Durchführung von Kulturprogrammen: null komma null!" Er seufzt. "Aber das heißt nicht, das alles abgetan werden muss, was wir hier machen! Das sehen Sie nur persönlich nicht." Und etwas später: "Sie können das nicht verstehen, weil Sie das Klischee haben: In Russland ist alles schlecht." Michail Wladimir ist abgeschweift.

Und es gibt eine Frage, die nicht gestellt werden soll: Wie finanziert er ohne offizielle Förderung dann das Kulturprogramm für die zahlreichen Gäste? Woher kommen die Einnahmen? Hat Franz Sedelmayer, einer der in Russland viel Geld machte und ebenso viel verlor, vielleicht doch Recht? Denn der droht vor einem deutschen Gericht, das Russische Haus in der Friedrichstraße zu pfänden, da die Russische Föderation Schulden bei ihm hat. Sein Argument: Das Russische Haus sei kein Kulturinstitut mehr, weil es gewerbliche Einnahmen aus Untervermietung erziele. Genau dies jedoch sei hoheitlichen Instituten wie dem Russischen Haus weltweit untersagt. Nicht hoheitliche Werte sind nach internationalem Recht pfändbar. Der oberste schwedische Gerichtshof, denn auch dort hat Sedelmayer geklagt, hat ihm bereits Recht gegeben. Er darf die ehemalige russische Handelsmission in Stockholm pfänden.

Da sei er der falsche Adressat, kontert Vladimir: Diese Immobilie hier - er meint das Russische Haus - gehöre zwar dem russischen Staat. Als aktive Organisation sei das Russische Haus aber eine juristische Person für sich. Unter welchem Namen diese juristische Person eingetragen ist, will er nicht verraten. Wie er sagt: "um nicht in ein schwebendes Verfahren einzugreifen".

Offenbar beunruhigt ihn die finanzielle Luftleere um das Haus mehr als die juristische. Ohne die Einnahmen aus der Vermietung von Räumen, lässt er durchblicken, liefe hier kulturell gar nichts. Jeder Aufritt eines russischen Orchesters sei ein Wunder.

Zeitreise

Und so geht es schwebend mit dem Lift wieder nach unten, durch jenes Reich hindurch, in dem der Zweite Weltkrieg gestern erst zu Ende ging und wo junge Menschen auf Bildern stets glücklich sind und nie allein. Wo es mitunter gute Filme gibt, hinreißendes Ballett getanzt wird und kluge Lehrer walten, wo aber den Regierenden der politische Wille fehlt, Tabubrüche in der Kunst auch nur zu diskutieren. Und wo an die Existenz einer juristischen Person auch dann geglaubt werden soll, wenn ihr Name nicht genannt werden darf. Wer Russland sucht, kann es hier finden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.