Frauenfußball bei Berlins Türkiyemspor: Auf dem Prinzessinnenplatz

Das Frauenteam von Berlins Türkiyemspor ist so bunt wie seine Heimat Kreuzberg. Zu Besuch beim Freundschaftsspiel gegen die Nationalmannschaft Jordaniens.

„Wir sind die Coolsten!“: Anisa (l.), Zeynep und Karla von Türkiyemspor Bild: Stefan Schmidt

BERLIN taz | 15 Mädchen zwischen 17 und 19 Jahren sitzen in Kabine 7 des Lasker-Sportplatzes in Treptow. „Wir wissen nie, wie viele Mädchen kommen. Aber heute sind fast alle da, und jetzt haben wir sogar ein Trikot zu wenig“, sagt Giovanna, Betreuerin des Frauenteams von Türkiyemspor. Fast alle Mädchen tragen Make-up zum Pferdeschwanz und zuppeln an ihren Strümpfen. Einige sitzen, die Arme um die Knie geschlungen, auf dem Boden, andere breitbeinig auf der Bank.

An diesem Tag spielt das erste Frauenteam des Vereins nicht gegen irgendeine Bezirksmannschaft, sondern gegen das jordanische Nationalteam. Dieses hatte im Vorfeld der WM den vom Auswärtigen Amt in Bahrain ausgerichteten Arabia Cup gewonnen und damit eine Woche Trainingslager in Deutschland mit anschließendem Freundschaftsspiel gegen den Kreuzberger Verein Türkiyemspor. Er ist der bekannteste von Migranten 1978 gegründete Fußballverein in Deutschland und Berlins drittgrößter. Seit 2004 wurden vier Mädchen- und ein Frauenteam aufgebaut. Derzeit spielen dort etwa 80 Mädchen Fußball.

„Simay, hast du Lust drauf?“, rufen die Mädchen in der Kabine mehrmals im Chor. Simay sitzt in der hintersten Ecke und guckt lustlos in die Runde. „So ist die immer“, sagt Zeynep, die vor lauter Aufregung kaum ruhig auf der Bank sitzen kann. Ersatztrainer Nico spricht zu den Mädchen: „Das Spiel soll vor allem Spaß machen. Aber es geht auch um Ernst. Wir vertreten hier den Verein und einen ganzen Bezirk.“

Anisa, Jessy und Zeynep können es kaum abwarten, auf die Jordanierinnen zu treffen. Doch erst mal müssen sie zum Aufwärmtraining. Die Mittagshitze brennt und die meisten legen sich – statt Liegestützen zu machen – einfach auf den Rasen und witzeln: „Ich bin zu dick dafür.“

„Wir müssen härter spielen“

Auf der Betontribüne des Platzes haben sich inzwischen etwa 30 Zuschauer eingefunden. „Für unsere Verhältnisse ist es ganz schön voll heute“, lächelt Jutta, die Mutter von Toya, die nicht mitspielen kann, weil sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben muss. Zurück in der Kabine, gibt der Trainer die Aufstellung bekannt: „Wir spielen heute 4-2-3-1.“ – „Hä? Das haben wir noch nie gespielt, das musst du uns erklären“, beschwert sich Zeynep.

Aber zum Erklären reicht die Zeit nicht. Das Spiel beginnt. Schon nach den ersten Minuten ist klar, dass die Jordanierinnen haushoch überlegen sind. Doch die Türkiyem-Mädchen geben 90 Minuten lang alles, was sie geben können. Wird eine jordanische Spielerin gefoult, schreit Torfrau Jessy: „Entschuldige dich bei ihr, ja?“ Als Anisa ausgewechselt wird, ist sie sauer: „Die spielen immer über links. Dabei war ich rechts die ganze Zeit frei.“ Und Fidelia knurrt: „Wir müssen härter spielen.“

Fidelia stammt aus Togo und hat dort mit den Jungs auf der Straße gekickt. Das Team von Türkiyem ist, so abgedroschen es klingen mag, so bunt wie Kreuzberg. Anisas Eltern sind Deutsche, Mandanas Iraner, Zeynep, Gamze und Sinem haben türkische Eltern, spanische und polnische Mütter gibt es auch. „Die Rolle der Eltern ist sehr wichtig“, betont Giovanna. „Es gibt immer noch Spielerinnen, die heimlich zum Training kommen. Aber es gibt auch Spielerinnen, die uns sagen, dass sie beim Zahnarzt sind, und den Eltern, dass sie trainieren gehen.“

Frauen-WM gucken sie nicht

Zeyneps Vater ist einer von den härteren Fällen. „Er hatte immer was dagegen, dass ich spiele, und hat sich nur ein Mal ein Spiel angeguckt. Die Hälfte der Zeit hat er telefoniert“, erzählt Zeynep. Auf die Frage, ob sie für das deutsche Nationalteam spielen würde, antwortet sie prompt: „Ich würde nicht Nein sagen. Aber hier kommt ja sowieso keiner vorbei.“

Das stimmt nicht so ganz. „Wenn wir ein Talent sehen, dann versuchen wir den Spielerinnen alles zu ermöglichen“, versichert Giovanna. Die kurze Geschichte des Mädchenfußballs bei Türkiyemspor hat schon mehrere Talente hervorgebracht, eine davon ist Hülya Kaya, die in die türkischen U-17- und U-19-Nationalteams berufen wurde.

Für die meisten Türkiyemspor-Spielerinnen ist Fußball aber nur ein Hobby. So auch für Asya und Seda, die auf der Tribüne sitzen und ihre Kolleginnen anfeuern. Die Frauen-WM gucken sie nicht: „Nur Männerfußball“. Wenn man sie fragte, würde Asya für das türkische Nationalteam spielen: „Das ist meine Herkunft.“ Seda hingegen für das deutsche: „Hier bin ich zu Hause und fühle mich wohl.“

Türkiyemspor versteht sich nicht als türkischer Verein. Jeder, der Lust hat, Fußball zu spielen, ist willkommen. Murat Dogan, Trainer der Frauen, und die Betreuerin Giovanna kümmern sich rührend um ihre Schützlinge. Das Wort „Integration“, erzählt Giovanna, mögen sie nicht. „Wir wollen die Leute einfach zusammenzubringen.“ Und das ist ihnen auch gelungen. Nach dem Spiel gegen Jordanien verabreden sich die meisten Mädchen zum Essen in Kreuzberg. „So etwas hätte es vor einem Jahr noch nicht gegeben. Die Gruppe ist erst nach einer gemeinsamen Reise nach Israel zusammengewachsen“, erzählt Giovanna.

Das Spiel gegen Jordanien endet übrigens 1:9. Das Tor für Türkiyemspor hat ausgerechnet Simay geschossen. Alle jubeln, nur Simay nicht. „Das ist normal. So ist sie immer“, lacht Anisa.

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