Urteil: Wunderheiler-Sex soll kein Missbrauch sein

Freispruch für einen Mann, der eine Schmerzpatientin mit sexuellen Handlungen "therapierte". Das Amtsgericht Tiergarten sah es nicht als erwiesen an, dass der "Heiler" tatsächlich heilen wollte.

Justitia - die Göttin der Gerechtigkeit. Bild: DAPD

Es geschieht selten vor Gericht, dass ein Staatsanwalt nach der Beweisaufnahme von der Richtigkeit seiner Anklage überzeugt ist, aber - leider, leider - Freispruch fordert. Im Fall des 53-jährigen Dietmar F., der gestern abschließend vor dem Amtsgericht Tiergarten verhandelt wurde, war es so: Der angeklagte "Heiler" soll eine Frau missbraucht haben - aber weil er kein staatlich anerkannter Psychotherapeut ist, kann er auch keinen "sexuellen Missbrauch im Behandlungsverhältnis" begehen. So hatte der Bundesgerichtshof 2009 in einem Präzedenzfall entschieden. Den Freispruch für F. begründete der Richter dann aber ganz anders: Er könne nicht ausschließen, dass die sexuellen Handlungen wirklich zu therapeutischen Zwecken begangen wurden: "Das Ganze war doch nicht lustvoll, sondern bizarr."

"Das Ganze" begann Anfang 2007. Die heute 43-jährige Physiotherapeutin Franziska B.* leidet seit über zehn Jahren unter starken Bauchschmerzen. Sie sucht Ärzte und Psychologen auf, sie mutmaßt, ihre Beschwerden könnten von einem möglichen sexuellen Missbrauch herrühren, also psychosomatisch sein. Sie greift nach jedem Strohhalm.

Als ein Freund ihr von einem Reiki-Heiler berichtete, meldete sie sich bei Dietmar F. Sie sei eine wichtige Patientin, habe er ihr geschmeichelt, sagte die schüchtern wirkende Frau vor Gericht. "Im Traum habe er erfahren, dass ich komme." Er sei ein "Tulku", ein "Erkannter", habe er erklärt und von einer Privataudienz beim Dalai Lama berichtet. Die Gespräche hätten einen "psychotherapeutischen Touch" gehabt. Schon beim ersten Mal habe der Heiler die Hand auf ihre "Yoni" gelegt: "Er sagte, ich hätte eine Narbe in der Scheide", so B. Bei der dritten Sitzung riet er zur "inwendigen Therapie".

Schrittweise habe F. die Intimitäten gesteigert. Zunächst reinigte er ihren "Kanal von schlechten Energien": Dazu habe er Rauch in ihre "Yoni" geblasen und an ihrer Klitoris geleckt. "Das hat mich irritiert", so die Nebenklägerin. "Als er zwei Finger in meine Yoni einführte, habe ich mich gefragt, ob das Missbrauch ist." Zweifel habe sie aber ausgeschaltet, denn sie hatte sich in den Heiler verliebt: "Ich fühlte mich angesprochen. Hätte ich Herrn F. auf der Straße getroffen, wäre er mir nicht aufgefallen. Es kam nur durch die Intimität."

Dann habe F. seinen "Wunder-Samen" angepriesen, so Franziska B. Sie fragte einen Freund, ob sie mit dem Therapeuten schlafen solle. "Wenn es der Heilung dient", habe der geantwortet. Nachdem sich F. in Mexiko "die Erlaubnis vom Meister" geholt habe, kam es auch dazu: zwei, drei Minuten, rein, raus, fertig.

Danach muss die Patientin aufgewacht sein. "Wo war die Heilung?", fragte sie sich. Der Richter vermutete gestern, erst durch die Enttäuschung sei es zur Umdeutung gekommen. Franziska B. fühlt sich ausgenutzt: "Ich schäme mich. Wie kann man nur so doof sein?" Ihre Bauchschmerzen führt sie inzwischen auf eine Kuhmilch-Unverträglichkeit zurück.

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