Politische Spiritualität in der Kirche: "Nichts gegen Toastbrot"

Petra Bahr, Kulturbeauftragte der Protestanten, spricht über Feminismus, das deutsche Verhältnis zu Israel und neue Bündnisse gegen die Milieuverengung der Kirche.

"Meine religiösen Vorbilder sind alle weiblich" - Petra Bahr. Bild: imago/Gerhard Leber

Petra Bahr lebt in Berlins Mitte. Die Wohnung der Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland ist picobello aufgeräumt. Auf dem Filztischläufer allerdings liegt ein schwarzer "Mensch ärgere Dich nicht"-Stein, ein unordentliches Moment. Unsere Gesprächspartnerin klärt auf. Der gehöre zum Sand des Baggers ihres adoptierten Sohnes, der auf den Namen Matthäus getauft ist.

Petra Bahr erzählt, dass sie und ihr Mann von einer Minute auf die andere gefragt wurden, ob sie ein eben geborenes Kind adoptieren wollten, dessen Mutter gleich nach der Geburt untergetaucht war. Ja, sie wollten, und wie! Als sie von ihrem Kind berichtet, von ihrer Elternschaft, wirkt sie plötzlich wie aufgetaut, weich und zugewandt. Momentan liebt ihr Junge das Spiel in der Küche, gern wäscht er ab - typisch Jungs in diesem Alter. "Ja?", fragt sie. Ja, Jungs spülen fast meditativ ab. Das theologische Gespräch kann beginnen.

taz: Frau Bahr, Sie wollen Bischöfin von Hamburg werden. Kleiner Test: Wie viele Dialekte gibt es in Hamburg?

Petra Bahr: Ich vermute, es gibt so einige Mundarten.

Es gibt etwa 120 Dialekte allein in Hamburg.

PETRA BAHR, Jahrgang 1966, ist Theologin und Pfarrerin, verheiratet, hat ein Kind und lebt in Berlin. Sie ist Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Nach einer journalistischen Ausbildung studierte Petra Bahr Theologie und Philosophie. Im Anschluss an ihre Promotion arbeitete sie als Unternehmensberaterin.

Geist: Promotion mit einer religionsphilosophischen Arbeit zur Kritik der Urteilskraft von Immanuel Kant; freie Autorin und Kolumnistin u. a. beim Deutschlandradio und für den rbb; hat ein Weblog auf www.evangelisch.de. Schönster Titel eines Aufsatzes von ihr im Rheinischen Merkur: "Gott verträgt Kritik".

Ambition: Bewirbt sich - als Außenseiterin neben der Hamburger Hauptpastorin Kirsten Fehrs - um die Nachfolge von Maria Jepsen im Bischofsamt von Hamburg, Lübeck und Lauenburg.

Credo: "Wer die Kirche im Dorf lassen will, ohne sie in ein Museum zu verwandeln, sollte ihre Türen weit öffnen."

Oje! Und dann noch all die Zugereisten, die so tun, als seien sie immer schon Hamburger gewesen.

Aber die hört man sofort raus.

Ein hanseatischer Freund gab mir den Rat: immer Dunkelblau mit Weiß tragen. Nur nicht auffallen. Aber der Sprengel ist weltläufig genug, um im Zweifel eine Westfälin aus Berlin zu verkraften.

Was ist schicker, Hamburger zu sein oder Berliner?

Hamburg ist in Wahrheit die härtere Stadt: Da gibt es ganze Straßenzüge in Weiß, in denen Dreck und Elend unvorstellbar sind. Das Elend hinter dem Reichtum sieht man ja nicht so leicht. In Berlin ist Armut auch in bürgerlichen Vierteln präsent. Man sieht auf dem Alex die Kids, die sich die neuesten Turnschuhe im Adidas Flagstore kaufen - und auf demselben Platz Kinder, die überhaupt keine Schuhe anhaben.

Beim Thema Gerechtigkeit denken wir an Theologinnen wie Dorothee Sölle. Sind Sie durch sie geprägt worden?

Dorothee Sölle habe ich eher aus der Ferne gelesen und bewundert, auf Kirchentagen zum Beispiel. Es gab auch Widerspruch, und ich hätte gern einmal im Leben mit ihr persönlich geredet. Vielleicht ist das mein unausgetragener theologischer Generationenkonflikt. Stattdessen habe ich mich an Männern abgearbeitet. Von meinem Großvater über Eberhard Jüngel bis zu den Philosophen, bei denen ich in Jerusalem studiert habe. Meine religiösen Vorbilder sind aber alle weiblich.

Nun, welche Tochterkonflikte haben Sie denn mit Frau Sölle ausgetragen?

Der Konflikt wurde eher mit ihren Bewunderinnen ausgetragen. Sölle selbst hat es verstanden, Fragen der Theologie und Spiritualität mit Fragen des politischen Engagements der Kirche zu verbinden. Das hat mich angezogen. Bei den politischen Konsequenzen fehlte mir manchmal ein Zögern, die Antworten kamen so schnell und zu sicher. Fragen war auch in feministischen Kreisen nicht immer gewollt.

So war die Stimmung der Zeit.

Aber auch verquer, weil es viele Frauen meiner Generation dazu verleitet hat, sich auf das harte theologische Schwarzbrot von Luther über Schleiermacher und Hegel bis Kant gar nicht mehr einzulassen. Waren ja alles Kerle. Dorothee Sölle hat übrigens ein ambitioniertes Buch über Kunst und Religion geschrieben, "Realisation", in dem ich immer wieder blättere.

Gleich das schwere Schwarzbrot?

Nichts gegen Toastbrot, aber ich finde es reizvoll, mich an den großen Klassikern der Theologie und Philosophie zu reiben. Wir stehen auf den Schultern dieser Riesen. Auch in der Angrenzung.

War das auch ein politisches Problem, dass Sie vielleicht etwas konservativer waren als Dorothee Sölle?

Nein, ich bin im Rückblick eher erschrocken, wie sehr in den 80er Jahren politische Überzeugungen, auch meine, eine Art Geistesmode waren. Wir fuhren im Klassenverband zu den großen Bonner Demos. Eine Frage, die mich damals beschäftigt hat, war aber politisch nicht ganz so korrekt. Wie stehen wir zu Israel? Wie gehen wir mit dem Nahostkonflikt um? Gegen antizionistische Parolen der Linken war ich von zu Hause aus geimpft. Gegen die proisraelischen Parolen der Evangelikalen auch. Aber wie geht es anders? Vielleicht deshalb mein Studienaufenthalt in Israel.

Sie wollten tiefer in das deutsch-jüdische Verhältnis eindringen?

Zuerst wollte ich nur die jüdische Philosophie kennenlernen, die aus Deutschland vertrieben wurde. Dann habe ich in einem Altersheim in Jerusalem mit Überlebenden der Schoah und am Leo Baeck Institut gearbeitet. Und ich habe die israelische Friedensbewegung kennengelernt. Allerdings sind alle ehemaligen israelischen Studienfreunde inzwischen ausgewandert. Sie haben es im eigenen Land nicht mehr ausgehalten.

Die Pro-Palästina-Fraktion in der evangelischen Kirche, die neulich in der Evangelischen Akademie Bad Boll sogar erörterte, ob Wirtschaftssanktionen gegen Israel nötig seien, wird allerdings immer stärker, oder?

Ich teile die Verzweiflung über das, was in Israel passiert. Die Politik von Benjamin Netanjahu konserviert den Unfrieden. Und die religiöse Aufladung des Konflikts ist bedrohlich. Doch leider wird aus der Betroffenheit zu schnell wieder die Rede von "den Juden". Das ist eine Formulierung, die ich in Deutschland einfach nicht mehr hören will. Nicht weil sie nicht politisch korrekt ist, sondern weil sie falsch und dumm ist.

Dennoch hört man sie auch in kirchlichen Kreisen immer wieder.

Der Nahostkonflikt ist kompliziert, seine Lösung auch, weil es nicht nur eine Angelegenheit zwischen Israelis und Palästinensern ist. Man kann Israel, bei all dem, was passiert, nicht mit einem Apartheidstaat wie Südafrika vergleichen. Israel ist ein Rechtsstaat, in dem sogar ein ehemaliger Staatspräsident wegen Vergewaltigung verurteilt wird. Andererseits beugt Israel das Recht, wenn es zum Beispiel um Wasser oder Land von Palästinensern geht.

Was kann die Kirche da tun?

Die kritischen Kräfte in Israel unterstützen, die geschwächte Friedensbewegung, die Intellektuellen, die Künstler, die Geistlichen, die ihr eigenes Land fast ohne mediale Öffentlichkeit in Deutschland kritisieren. Genauso wie wir die palästinensischen Kräfte stützen müssen, die zum Beispiel im Gazastreifen sagen: Auf mafiösen Strukturen und erpresserischer Gewalt gegen Andersdenkende entwickelt sich kein demokratischer palästinensischer Staat.

Derzeit gibt es in der Evangelischen Kirche in Deutschland nur noch eine Bischöfin. Ist das ein Zeichen für einen Backlash?

Ich hoffe, nicht. Eher die unglückliche Kreuzung von zwei unterschiedlichen Geschichten, den Rücktritten von Margot Käßmann und Maria Jepsen. Das ist tragisch, weil Frauen in Kirchenleitungen allmählich Normalität wurden. Jetzt wird daraus wieder ein Thema. Sogar in der taz.

Maria Jepsen ist in Hamburg eine Bischöfin der Mühseligen und Beladenen gewesen, etwa in ihrer Hilfe für die Aids-Arbeit. Werden Sie das fortsetzen?

In einer Metropolenregion, wo Reichtum und Armut so zusammenstoßen, kann es sich die Kirche nicht in der Mitte gemütlich machen. Berlin ist darauf eine gute Vorbereitung. Meine Aufmerksamkeit gilt den Illegalen. Unter uns leben zigtausende Menschen, die sozusagen gar nicht existieren. Schattenmenschen ohne Pass, ohne Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung. Das muss Christen nervös machen.

Aber wie erreicht die evangelische Kirche die sogenannte Unterschicht? Die scheint ja verloren zu sein.

Die ist schon seit mehr als hundert Jahren schwer erreichbar. Die Reichen und die Gebildeten allerdings sind es auch. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine Debatte über die Milieuverengung der Kirche. Damals ist man dahin gegangen, wo die sind, die weggeblieben sind. Das gilt auch heute. Kultur ist übrigens eine Möglichkeit, aus dem fatalen Generationenvertrag der vererbten Armut auszubrechen. "Ey, ich bin ein Bildungsverlierer." Das sagen schon Zehnjährige - die übernehmen, was in den Medien über sie gesagt wird.

Was ist da zu tun?

Wir dürfen den Staat nicht aus der Verantwortung lassen. Aber wir brauchen auch Bündnisse zwischen lokalen Initiativen, zwischen Diakonie, Gemeinden, auch der Moscheegemeinden, neue zivilgesellschaftliche Netzwerke. In Amerika nennt man das "community building". Dazu gehört auch die Kooperation zwischen denen, die sich um Soziales kümmern, den Stadtentwicklern und denen, die Kultur machen. Kultur ist dann kein Luxus, sondern ein Lebensmittel, das stark macht und Menschen wieder eine eigene Stimme gibt. Erst nur mit Musik oder Theater, dann im übertragenen, politischen Sinne. Armut fördert nicht nur schlechte Zähne und schlechte Bildung, Armut macht passiv und stumm. "Steh auf, nimm dein Bett und geh!", sagt Jesus den Gelähmten. Das könnte das Motto einer Bewegung zu mehr Teilhabe sein. Wieder Subjekt des eigenen Lebens werden. Das ist ein zutiefst evangelischer Gedanke.

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