Blogger-Treffen re:publica beendet: Weniger suchen, mehr fragen

Die Blogger-Konferenz re:publica geht zu Ende. Kontrovers diskutierte die Netzcommunity die iranische "Twitter-Revolution", Bezahlinhalte und Privatsphäre.

Auch nach 165 Veranstaltungen zum Thema Internet und Gesellschaft bleiben Fragen offen. Star der re:publica 2010 bleibt Jeff Jarvis. Bild: dpa

Netzneutralität und Open Data. Vermutlich zwei Begriffe, die auch nach der vierten re:publica bei den meisten Menschen nur Schulterzucken auslösen. Die vierte Social-Media-Konferenz mit dem Doppelpunkt im Namen ging gestern in Berlin zu Ende und Initiator Markus Beckedahl sieht es als zentrales Verdienst der Konferenz, dass damit die wichtigsten Fragestellungen der digitalen Gesellschaft in die öffentliche Diskussion Einzug halten: Der gleichberechtigte Transport von Daten aller Art im Netz steht in Deutschland und Europa zur Disposition, weil Betreiber von Datennetzen neue Bezahlangebote bevorzugen wollen - die Frage der Netzneutralität.

Zudem "Open Data", dahinter steckt die Forderung, dass der Staat im Netz für den Bürger transparenter wird - von den Terminen der nächsten Müllabfuhr bis hin zu geheimen Verträgen bei der Lkw-Maut. Schon im Wortsinn re:publica steckt die Idee, Öffentlichkeit mit der Hilfe des Internets zurückzugewinnen.

Insgesamt 2.800 Blogger, Twitterer und sonstiges Netzvolk besuchten in diesem Jahr 165 Veranstaltungen mit über 250 Referenten aus 30 Nationen. Das WLAN war chronisch überlastet. Ein Teil der Veranstaltungen wurde live im Internet übertragen.

Immer wieder erinnert die Konferenz daran, dass das Internet zu einem zentralen Medium für freie Meinungsäußerung geworden ist - aber natürlich ökonomischen Zwängen unterworfen ist. Sie war ernsthafter als im Jahr zuvor, als man euphorisch über neue Tools zur Vitalisierung der Demokratie war. Barack Obama war mit einer explizit aufs Netz ausgerichteten Kampagne zum US-Präsidenten gewählt worden, man befand sich mitten im Europa- und Bundestagswahlkampf.

In diesem Jahr hinterfragte Evgeni Morozov dagegen die These von der "Twitter Revolution" im Iran. Autoritäre Machthaber könnten das Netz genauso nutzen wie Bürgerrechtsaktivisten. Die Konferenz ist ernsthafter und kontroverser geworden. So brachte ausgerechnet der Pirate-Bay-Gründer Peter Sunde Ideen zur Vergütung für digitalen Inhalte im Netz mit, sein Portal war jahrelang Umschlagplatz für kostenlose Musik, Videos oder Software. Auch der niederländische Netzpionier Geert Lovink brachte unter dem Slogan "Stop searching, start questioning" Kritik mit.

Er war Ideengeber für die "re:campaign", eine Veranstaltungsreihe speziell gedacht für Aktivisten sozialer Bewegungen und die Frage, wie im oder mit dem Netz politische Kampagnen organisiert werden können. "Das Web 2.0 hat keinen Nutzen, wenn keine soziale Bewegung dahinter steckt. Es kann niemals einen Mangel an Einsatz ersetzen", sagte Lovink. Seine Grundthese: Protest im Netz ohne Protest auf der Straße ist wirkungslos.

Lovink vermutete mutig, der Hype um Facebook werde bald ein Ende nehmen, weil die Nutzer langfristig ihre Daten nicht auf einer zentralisierten Plattform im immer gleichen Design preisgeben wollen. Er wünschte sie einen Brückenschlag zwischen sozialen Bewegungen und "Open Source" - Programmierern, die ihre Software frei im Netz verfügbar machen. Während immer wieder Kritik an der Datensammelwut der großen sozialen Netzwerke oder Google zu hören ist, brach der Journalistik-Professor Jeff Jarvis eine Lanze für "das Öffentliche".

Privatsphäre würde die Möglichkeiten, die das Netz biete, unterminieren. Das Netz sei im Grundsatz Kommunikation - und es würden viele Möglichkeiten verschenkt, wenn die Privatsphäre weiterhin den starken Stellenwert habe, den sie in Deutschland aktuell hat. Er forderte eine neue Debatte über den Wert von Öffentlichkeit im Netz. "Öffentlichkeit soll der Normalfall sein", sagt Jarvis.

Bloggern wird regelmäßig vorgeworfen, nur über sich selbst zu reden und harten Themen zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken. "Wer uns jetzt noch Selbstreferenzialität vorwirft, hat was nicht verstanden", sagte Markus Beckedahl deshalb zum Auftakt der Konferenz. Am Ende der Konferenz hat er damit Recht behalten.

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