Milliardenprojekt City-Tunnel: Das schwarze Loch zu Leipzig

In der Sachsen-Metropole gibt es manche Parallelen zu Stuttgart 21, aber keine Proteste gegen den teuren City-Tunnel. Dabei ist das Milliardenprojekt für den Fernverkehr nutzlos.

Das Stuttgart 21 des Ostens: Der City-Tunnel in Leipzig. Bild: dpa

DRESDEN taz | Funktional ist der im Bau befindliche Leipziger City-Tunnel so etwas wie das Stuttgart 21 des Ostens, wenn er auch keine Massenproteste auslöst. Der Leipziger S-Bahn-Verkehr soll künftig nicht mehr über den Hauptbahnhof, ebenfalls ein Kopfbahnhof, sondern in einem durchgehenden Tunnel unter der Innenstadt hindurchgeführt werden - ein unterirdisches Milliardenprojekt. Die ursprünglich geplanten Kosten von 572 Millionen Euro haben sich beinahe verdoppelt, Geld, das fast ausschließlich der Steuerzahler aufzubringen hat. Anfang April rügte der Sächsische Rechnungshof die Leichtfertigkeit der sächsischen Staatsregierung beim Vertragsabschluss.

Schon unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg konnte die alte Idee einer Verbindung von Hauptbahnhof und Bayerischem Bahnhof in Leipzig teilweise realisiert werden. Der Tunnel wurde jedoch nie fertig, erhielt im Zweiten Weltkrieg schwere Bombentreffer und existierte nach Bauarbeiten am Hauptbahnhof am Ende des 20. Jahrhunderts nur noch in Resten. Das Vorhaben lebte wieder auf, als mit der Wende die Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten angebrochen schien. Wie die Dresdner Waldschlösschenbrücke ist der Leipziger Tunnel ein Prestigeprojekt der 2002 abgetretenen CDU-Regierung Biedenkopf und des inzwischen verstorbenen Wirtschaftsministers Kajo Schommer.

Ein "politisch gewolltes" Bauwerk sei der Tunnel, kritisierte jetzt der Sächsische Rechnungshof in seinem Gutachten, das die neue schwarz-gelbe Regierung des Freistaats ein Jahr zuvor bestellt hatte. Pikant: Das Risiko der Kostensteigerungen verbleibt fast ausschließlich beim Land. Der Finanzierungsanteil des Bundes von 360 Millionen Euro steigt nur geringfügig, die Deutsche Bahn ist mit lächerlichen 18 Millionen dabei, und die Stadt Leipzig kommt konstant mit knapp 13 Millionen weg. Der Freistaat Sachsen aber muss statt ursprünglich geplanter 182 Millionen Euro jetzt rund 500 Millionen berappen.

Ingenieurtechnisch gilt der Tunnel mit seinen beiden Röhren zwar als ein Meisterwerk. Und publikumswirksam wurde für den Bau beispielsweise das eindrucksvolle Portal des historischen Bayerischen Bahnhofs verschoben. Die Liste der Planungsfehler und der unvorhergesehenen Bodenprobleme aber ist lang und wird gegenüber dem "idealisierten Bauablauf" vom Gutachten erfasst. Schon vier Jahre nach dem Baubeginn 2003 war von einer Kostenexplosion die Rede. Der ursprüngliche Fertigstellungstermin 2009 ist vorläufig auf Ende 2013 verschoben worden. Mehrfach regte sich bei Kommunen, aber auch bei der CDU-Regierungsfraktion des Landtags Protest, weil Investitionen in Schiene und Straße wegen der Tunnelkosten zurückgestellt wurden.

Der Fernverkehr kann aus logistischen Gründen gar nicht durch den Tunnel geleitet werden und profitiert nicht von dem Bau. Wegen der Bauverzögerung verlor 2009 die Deutsche Bahn zwei Drittel ihres Regionalverkehrs Leipzig, als die Stadt den Konkurrenten Veolia bei der Vergabe von Nahverkehrsleistungen bevorzugte. Nach der empfindlichen Kürzung der Nahverkehrsmittel im aktuellen Landeshaushalt könnte sich der S-Bahn-Verkehr auch durch diesen Tunnel reduzieren, für den der Freistaat so viel Geld ausgibt.

Nur gegen die bis zum Bauabschluss geplante Einstellung des S-Bahn-Verkehrs Richtung Leipzig-Grünau regte sich erstmals Protest. Das "Schwarze Loch" sei zwar häufigstes Kabarettthema in Leipzig, aber wegen der geringen einzusetzenden städtischen Mittel nicht ganz unbeliebt, sagt der Linken-Stadtvorsitzende Volker Külow. So motzen die Sachsen kaum und erfreuen damit ihren Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU). Im Oktober 2010 hatte der den Westdeutschen zu viel Bequemlichkeit vorgeworfen und stolz auf die Ostdeutschen gezeigt, die Großprojekte widerspruchslos hinnähmen.

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