Aktivisten über Papstbesuch: "Wir ermuntern nicht zu Eierwürfen"

Wenn der Papst im September nach Berlin kommt, werden nicht nur jubelnde Gläubige die Straßen säumen. Ein Bündnis aus Lesben und Schwulen, Kirchenkritikern und Atheisten bereitet Protestaktionen vor.

Im September landet er in Berlin - und es wird Protest geben. Bild: dpa

taz: Am 1. April machte die Meldung die Runde, der Papst werde sich bei seinem Berlinbesuch im September mit Lesben und Schwulen treffen. Herr Steinert, haben Sie sich diesen Scherz ausgedacht?

Jörg Steinert: Sagen wir, die Idee wurde hier im LSVD spontan geboren. Der Berliner Landesverband hatte so etwas noch nie gemacht. Aber wir dachten, man muss ja Themen nicht immer nur todernst angehen.

In einigen Redaktionen wurde die Nachricht für bare Münze genommen. Ist das nicht ein gutes Zeichen? Anscheinend ist so etwas heute nicht mehr gänzlich unvorstellbar.

Thomas Beckmann, 49, ist Religionslehrer in Brandenburg und predigt in einer Berliner Innenstadtgemeinde. Er ist in der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) tätig.

Anna Lena Schnaars, 25, ist Sexualpädagogin. Seit 2009 arbeitet sie bei der Beratungsorganisation pro familia.

Jörg Steinert, 29, arbeitet seit 2005 beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, seit 2010 als Geschäftsführer.

Bündnisinfos im Internet: derpapstkommt.wordpress.com

Anna Lena Schnaars: Als ich es gelesen habe, habe ich es nicht ernst genommen, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit dem Thema vertraut bin. Vorstellen kann ich mir schon, dass viele Menschen die Botschaften der Kirche nicht mehr so ernst nehmen und davon ausgehen, dass das kein Problem mehr sein sollte.

Steinert: Wir wissen, dass viele es ernst genommen haben, und klären natürlich darüber auf, dass es nur ein Aprilscherz war. Aber dieser Scherz beinhaltet eine ernste Komponente, nämlich die reale Missachtung, die der Papst gegenüber Lesben und Schwulen an den Tag legt.

Sie sind Teil des Bündnisses "Der Papst kommt", das Protest zum Benedikt-Besuch organisiert. Wie kam das zustande?

Steinert: Anfang des Jahres hat der LSVD zahlreiche Organisationen, die sich mit selbstbestimmter Sexualität beschäftigen, zu einem Netzwerktreffen eingeladen - sowohl lesbisch-schwule Organisationen als auch mehrheitlich heterosexuell geprägte wie pro familia. Die Resonanz war groß. Bereits beim ersten Treffen im Februar haben sich Vertreterinnen und Vertreter von über 20 Organisationen sehr leidenschaftlich an der Diskussion beteiligt. Der Verleger Bruno Gmünder hat dem LSVD sogar eine größere Spende zukommen lassen, damit es eine Koordinierungsstelle geben kann. Beim zweiten Treffen im April haben wir eine Resolution beschlossen, die Arbeitsgrundlage für unsere Bündnisaktivitäten ist. Das Bündnis wächst stetig weiter, im Mai gibt es schon das dritte große Netzwerktreffen.

Wofür genau kritisieren Sie denn den Papst?

Schnaars: Vor allem für seine Geschlechter- und Sexualpolitik. Es geht um das Verbot von Verhütungsmitteln und die Gefährdung gläubiger Menschen, die damit einhergeht. Um das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Um alles, was die sexuelle Selbstbestimmung einschränkt, was Menschen verbietet, zu leben, wie sie möchten, und frei zu wählen, wen sie lieben. Besonderen Wert legen wir auf das Thema Kondompolitik.

Steinert: Es geht um selbstbestimmte Sexualität, die Akzeptanz von Homosexualität und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Aber auch um die negative Haltung des Papstes zu demokratischen Gesellschaften. Der Papst spricht da von einer "Diktatur des Relativismus". Das ist eine demokratiefeindliche Einstellung, die uns erschreckt. Und wenn er vor dem Bundestag als Staatsoberhaupt über seine Wertvorstellungen spricht, um die eigenen Dogmen zur staatlichen Norm zu erheben, mischt er sich in die Innenpolitik eines anderen Landes ein. Andere Staatsoberhäupter kämen gar nicht auf die Idee.

Und was soll während des Papstbesuches passieren?

Steinert: Es gibt sehr viele Ideen. Einig waren wir uns ganz schnell darüber, dass am Tag des Papstbesuchs in Berlin eine große Demonstration stattfinden soll. Der Berliner CSD e. V. wird sie organisieren. Wobei wir ja nicht gegen den Besuch an sich demonstrieren - wir nehmen den Besuch zum Anlass, die Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes kritisch zu beleuchten. Aber wir wissen auch, dass es nicht genügt, nur an diesem Tag etwas zu machen. Wir wollen schon im Vorfeld inhaltlich arbeiten. Es wird Lesungen geben, Vorträge, Aktionen. Das meiste findet nach der Sommerpause statt. Der LSVD wird die Aktivitäten koordinieren, die einzelnen Organisationen leisten ihren jeweiligen Beitrag. Jede wird für sich ihr Pflänzchen gedeihen lassen. Wir lassen viele Blüten blühen, aber wir ziehen zugleich alle am selben Strang.

Die Rede war von Kiss-ins.

Steinert: Es wird vielfältige Aktionen geben. Zum Teil sehr bunte, sehr kreative, wie beim Karneval. Kiss-in-Aktionen haben in der lesbisch-schwulen Community Tradition. Es ist ein ganz einfaches Bild mit großer Ausstrahlung, das ausdrückt: Liebe verdient Respekt - was kannst du dagegen haben?

Schnaars: Es kommt darauf an, zwei Seiten zu zeigen. Einmal, dass es um Liebe geht und auch um Lust. Dafür eignen sich solche Aktionen. Andere Gruppierungen werden die Anliegen mit einem anderen Ernst darstellen. Wichtig ist beides.

Steinert: Genau, manche werden stärker mit Argumenten arbeiten, andere mit plakativen Bildern. Gerade beim Religionsverständnis gibt es eine große Vielfalt im Bündnis, von Atheisten und Laizisten bis hin zu gläubigen Menschen. Das müssen wir unter einen Hut bringen. Platz ist im Bündnis für alle.

Herr Beckmann, Ihr Verein "Homosexuelle und Kirche" (HuK) ist Teil des Protestbündnisses. Gibt es für die religiöse Teilnehmer eine Grenzlinie, die nicht überschritten werden soll?

Thomas Beckmann: So eine Linie würde es schon geben, aber sie zeichnet sich bislang nicht ab. Ich denke, bei der Demonstration sind Situationen vorstellbar, die ein religiöses Empfinden verletzen könnten. Als HuK werden wir uns da eher zurückhalten.

Schnaars: Jede Organisation transportiert die Kritik so, wie es ihr entspricht. Aber wir sind noch an keinen Punkt gekommen, wo man die verschiedenen Positionen nicht mehr miteinander verbinden könnte.

Beim Berlinbesuch des letzten Papstes, Johannes Pauls II., flogen 1996 Farbeier auf das Papamobil. Schließen Sie aus, dass diesmal Ähnliches passiert?

Steinert: Ausschließen kann man es nicht, aber wir werden dazu nicht ermuntern. Wir wollen, dass der Protest friedlich bleibt, es geht auch ohne Eierwürfe. Zu 1996 ist zu sagen: Das war eine relativ spontane Aktion, nicht langfristig geplant oder strukturiert wie diesmal. Ein glücklicher Umstand war damals, dass gleichzeitig mit dem Papstbesuch das Lesbisch-Schwule Stadtfest stattfand und Menschen kurzfristig mobilisiert werden konnten. Aber diesen Fehler wird die katholische Kirche so schnell nicht wieder machen. Diesmal kommt der Papst an einem Wochentag, also wenn die Leute arbeiten gehen und schwer für eine Demonstration zu mobilisieren sind.

Mal grundsätzlich gefragt: Ist es nicht naiv, zu denken, man könne eine katholische Kirche haben ohne Homophobie? Kann man aus Bibel oder Kirchengeschichte eine tolerante Haltung zu nichtheterosexuellen Lebensentwürfen ableiten?

Beckmann: Die evangelische Kirche macht es uns doch vor. Gerade unsere Landeskirche hat eine klare Position der Akzeptanz ihrer homosexuellen Mitglieder, die sich auch in den offiziellen Äußerungen abzeichnet. Bei den Katholiken dagegen geht die Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre an der Leitungsebene vorbei. Es gibt allerdings einzelne progressive Bistümer, die das Gespräch suchen, und auch Gemeinden, in denen sich homosexuelle Paare wohlfühlen.

Steinert: Im Vorfeld des diesjährigen CSD wird die evangelische Kirche in Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg einen Gottesdienst veranstalten. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Mitglied im Bündnis gegen Homophobie. Sprich: Andere Religionsgemeinschaften mit den gleichen Wurzeln öffnen sich dem Thema. Und offenbar sehen viele Katholikinnen und Katholiken zwischen Glauben und Homosexualität auch keinen Widerspruch. Der Regierender Bürgermeister ist auch beides, Katholik und schwul. Das Problem besteht seitens der Amtskirche und des Papstes.

Der schwule katholische Theologe David Berger sagt, es gebe überproportional viele schwule Priester in der katholischen Kirche. Auch den Papst selbst hält er für homosexuell. Halten Sie das für wahrscheinlich?

Beckmann: Es bringt nichts, sich darüber Gedanken zu machen. Aber dass es überproportional viele schwule Priester gibt, hat ja Gründe. Wenn man aus sehr konservativen Kreisen stammt und schwul ist, ist der Priesterberuf eine der wenigen Möglichkeiten, einer heterosexuellen Beziehung zu entgehen. Die richtige Motivation für diesen Beruf ist das natürlich nicht.

Steinert: Ich kenne die Äußerungen von Berger und anderen, die sich in der Kirche gut auskennen. Aber wir als LSVD lehnen Zwangsouting ab. Wir würden auch keinen schwulen Fußballprofi outen. Insofern äußern wir uns auch nicht über die sexuelle Identität eines Papstes.

Teilen Sie die Auffassung, dass die aggressive homophobe Haltung der katholischen Kirche auch darauf zurückzuführen ist, dass viele ihrer leitenden Mitglieder die eigene Homosexualität verdrängen?

Steinert: Es gibt Studien, die genau das sagen. Wenn Menschen ein negatives Verhältnis zur eigenen Identität und Sexualität haben, reagieren sie nicht selten besonders ablehnend. Und die Themen Sexualität und Homosexualität sind in der katholischen Kirche offenbar immer noch ein großes Tabu.

Wenn das Treffen mit Benedikt kein Aprilscherz wäre - was würden Sie ihm sagen?

Steinert: Man sollte ihm konkrete Erfahrungen von Menschen erzählen. Einzelschicksale machen emotional erfahrbar, was es heißt, Ablehnung zu erleben.

Schnaars: Mir wäre wichtig, ihm klarzumachen, dass das, was er vermeintlich für die Menschen tut, diesen Menschen nicht mehr entspricht. Die Wertvorstellungen der Kirche waren vielleicht irgendwann einmal hilfreich, aber heute sind sie in dieser Form nicht mehr gültig. Das sieht man ja daran, wie viele gläubige Katholikinnen und Katholiken leben und denken. Das entspricht den Vorstellungen des Papstes längst nicht mehr. In Ländern, in denen Menschen noch abhängiger von der Kirche sind, hat das aber massive Auswirkungen.

Beckmann: Für uns als HuK wäre es nicht das erste Gespräch. Mit Ratzinger hat es seitens der HuK oder einzelner Mitglieder wiederholt Begegnungen gegeben, als er noch Kardinal und Leiter der römischen Glaubenskongregation war. Unsere Positionen sind ihm also vertraut. Was wir ihm sagen würden? Im Fall der katholischen Kirche sind zwei Punkte für uns besonders ärgerlich. Erstens: Sie akzeptiert keine offen lesbischen und schwulen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zweitens: Es gibt immer noch keine liturgische Form der Segnung homosexueller Partnerschaften. Das ist sicherlich nicht für jeden die ideale Form, aber es wäre ein Zeichen von Akzeptanz und Liebe.

Wo würden Sie ein Treffen mit dem Papst anberaumen?

Steinert: Da sind wir ganz offen. Wir würden in eine katholische Einrichtung gehen, er könnte zu pro familia oder zum LSVD kommen. Ich glaube, an solchen Kleinigkeiten würde das nicht scheitern. Wir sind ein kritisches, aber dialogbereites Bündnis.

Ein Tässchen Tee würde Benedikt bei Ihnen also schon bekommen?

Steinert: Natürlich.

Schnaars: Und einen Platz auf dem Sofa.

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