Montagsinterview Mieterverein-Chef Reiner Wild: "Es fehlt an einem Schlüsselereignis"

Das Thema Mieten wird im Wahlkampf zentral, glaubt Reiner Wild. Als Grüner beschäftigt ihn vor allem, wie Mieten bezahlbar bleiben, wenn Häuser für den Klimaschutz saniert werden.

Seit 30 Jahren beim Berliner Mieterverein: Reiner Wild. Bild: Karsten Thielker

taz: Herr Wild, wohin ging Ihre letzte Städtereise?

Reiner Wild: Ich war in Madrid.

Wo haben Sie da gewohnt: Hotel oder Ferienwohnung?

REINER WILD Seit der Wende hat der Berliner Mieterverein seinen Sitz in der Behren-/Ecke Wilhelmstraße in Mitte, unweit des Brandenburger Tors und des Adlon. So ist der mit 150.000 Mitgliedern größte Mieterverband auch Zeuge der Zweckentfremdung von Wohnraum. Gerade in der Wilhelmstraße sind in den vergangenen Jahren viele Ferienwohnungen entstanden. Reiner Wild will dagegen vorgehen - lebt im Urlaub aber auch selbst gerne in einer Ferienwohnung.

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Geboren 1954 in Hannover, erlebte Reiner Wild die dortigen Proteste gegen die geplante Privatisierung der Verkehrsbetriebe. Er beteiligte sich als Schüler an den sogenannten Rote-Punkt-Aktionen, mit denen Autofahrer signalisierten, Reisende mitzunehmen. Gleichzeitig wurden die Gleise der Straßenbahnen blockiert. Der Protest war erfolgreich.

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Reiner Wild studierte Soziologie in Konstanz und Berlin. In Berlin war seine erste Wohnung in der Hohenfriedbergstraße in Schöneberg. Seine Anfänge in der Mietenpolitik begann er mit der Stadtteilarbeit. Im Berliner Mieterverein ist er seit 1981 beschäftigt. Ende 2009 löste Reiner Wild Hartmann Vetter als Geschäftsführer des Mietervereins ab.

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Heute lebt Reiner Wild mit seiner Frau und drei Kindern in einem Reihenendhaus am Breitenbachplatz. Das Mieterdasein hat er als Eigentümer beendet.

In einem Hotel. Aber demnächst fliege ich mit meiner Familie nach Barcelona. Und ich gebe zu, dass ich da das tue, was auch viele machen, die nach Berlin kommen: Wir nehmen uns eine Ferienwohnung im Stadtzentrum. Wir sind zu fünft. Ein Hotel wäre dort ziemlich teuer. Da ist eine Ferienwohnung eine echte Alternative.

Die Kreuzberger Grünen haben beim Thema Ferienwohnungen, überhaupt beim Thema Tourismus, Alarm geschlagen. Gerechtfertigt oder nicht?

Tourismus und Stadtverträglichkeit ist ein altes Thema, das haben nicht erst die Kreuzberger Grünen erfunden. Mit dem Wachsen des Städtetourismus ist das Thema noch dringlicher geworden. Die Nutzung von Wohnraum für Ferienunterkünfte ist ein Problem. Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun, sondern mit einer Touristisierung der Innenstädte, die nicht nur positive Effekte hat.

Was soll Berlin gegen die zunehmende Zahl an Ferienwohnungen machen?

Die Entwicklung des Tourismus in den Innenstädten bedarf einer besonderen Beobachtung. Die betroffenen Städte sollten sehr wohl auch das Interesse der Bewohner berücksichtigen. Die Einschränkung solcher Unterkünfte ist ein probates Mittel, ohne dass man dabei in den Verdacht gerät, Fremde vertreiben zu wollen. Ich würde es auch akzeptieren, wenn die Stadt Barcelona dies täte.

Nun beschwört Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) wie ein Mantra die angebliche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt. Ist die Mietenpolitik bei der SPD in guten Händen?

Von der Politik der SPD in der Landesregierung bin ich in der Tat sehr enttäuscht. Es ist nicht zu erkennen, dass dort der Mieterschutz wirklich ernst genommen wird. Nehmen Sie die Bundesratsinitiative, mit der unter anderem die Mieten bei Neuvermietungen begrenzt werden sollen. Wir begrüßen natürlich diese Initiative als ersten Schritt. Aber es ist überhaupt nicht zu erkennen, dass Frau Junge-Reyer und der Senat dafür etwas tun. Mehrfach haben wir vorgeschlagen, um die Erfolgsaussicht der Initiative zu erhöhen, Kontakt zu anderen Stadtstaaten und Großstädten aufzunehmen und eine große Mietenkonferenz in Berlin abzuhalten. Nichts. Da passiert nichts Wahrnehmbares.

Also bloße Symbolpolitik.

Die SPD will sich, auch im Hinblick auf den Wahltag am 18. September, nun als Mieterpartei darstellen. Doch hier sind Zweifel angebracht. Über Jahre hat die Stadtentwicklungssenatorin mit dem Hinweis auf angeblich mehr als 100.000 dem Berliner Wohnungsmarkt zur Verfügung stehenden leeren Wohnungen jedwede Notwendigkeit für eine Einflussnahme abgestritten. Ob Mietentwicklung, Zweckentfremdung von Wohnraum, sozialverträglicher Klimaschutz, Mieterschutz bei Umwandlung in Eigentumswohnungen und vor Verdrängung aus Sozialwohnungen, die Liste der unerledigten Probleme des Berliner Wohnungsmarktes ist lang.

Und der Regierende Bürgermeister freut sich, dass steigende Mieten auf den wirtschaftlichen Erfolg Berlins hinweisen.

Das Mieter sich mit solchen Sprüchen nicht ernst genommen fühlen, liegt auf der Hand. Von einer wachsenden Kaufkraft verspüren die meisten Berliner eben nichts. Wem nutzen denn die steigenden Mieten bei den neuen Mietverträgen? Mit den Mehreinnahmen wird noch lange nicht in die Häuser investiert. Im Grunde geht dieser Aufschwung auf dem Immobilienmarkt nur in die Kassen der Vermieter und beispielsweise nicht in die gebotene energetische Verbesserung der Wohngebäude.

Die Berliner sind sehr verunsichert. Es gibt viele Ängste, auch vor Verdrängung. Wird das Thema Mieten am 18. September wahlentscheidend sein?

Ich hoffe, wir können etwas dazu beitragen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich einen Gewöhnungseffekt. Die Entwicklung, die wir jetzt haben, besteht im Grunde seit 2007. Mieter sind seit drei oder vier Jahren gewohnt, bei neuen Mietverträgen einen höheren Preis zu zahlen. Sie haben auch festgestellt, dass es bei den Bestandsmietverhältnissen einen deutlichen Trend nach oben gibt. Es fehlt also an einem Schlüsselereignis, das die Menschen mobilisieren könnte.

In Hamburg war das die Besetzung des Gängeviertels.

Richtig. Eine Zeitlang dachte ich, in Berlin könnten die dramatischen Mietsteigerungen im sozialen Wohnungsbau, die ja ganz deutlich zu Verdrängungen führen, wachrütteln. Aber offenbar ist die Situation derer, die da verdrängt werden, für die Mehrheit der Bevölkerung und der Politik zu weit weg. Da war offenbar die Situation der Künstler in Hamburg anders.

Eine Forderung, die aus Hamburg die Runde gemacht hat, heißt "Recht auf Stadt". Wo sehen Sie denn dieses Recht in Berlin politisch am besten vertreten? Bei der SPD ja ganz offenbar nicht. Bei der Linken?

Ich muss bei meiner Kritik an der Landesregierung die Linken miteinbeziehen. Ich sehe nicht, dass es den Linken gelungen ist, innerhalb dieser Koalition Markenzeichen zu setzen. Lange Zeit hat die Linke die Konflikte mit der SPD gescheut. Ich habe mal geguckt, wie viele Pressemitteilungen wir von der Linken zum Thema Wohnen und Stadtentwicklung bekommen haben. Sehr wenig. Viele Vorstellungen der Linken decken sich mit den Forderungen des Mietervereins, aber es fehlte an Leidenschaft und Konfliktbereitschaft.

Nun sind Sie selbst Mitglied der Grünen. Ist Ihre Kritik womöglich parteipolitisch motiviert?

Das ist nicht der Fall. Sollte es den Grünen gelingen, nach den Wahlen die Landesregierung mit zu stellen, dann werden Sie sehr schnell sehen, dass sich der Mieterverein auch der Regierungsarbeit der Grünen kritisch widmen wird. Unsere Aufgabe ist es, die Interessen der Mieter zu wahren, und das überprüfen wir bei jeder Partei. Aber natürlich können sich Mitarbeiter auch parteipolitisch engagieren. Ich tue das landespolitisch aber nicht aktiv. So gesehen kann ich das ganz neutral bewerten.

Wie viel Berliner Mieterverein steckt denn im Wahlprogramm der Grünen?

Da gilt das Gleiche wie für SPD und Linke. In den Wahlprogrammen steht viel Richtiges. Entscheidend ist aber, was von den Versprechen übrig bleibt. Der Mieterverein hat sich in den letzten beiden Jahren zum Zwecke der Energieeinsparung und der CO2-Reduktion auf ein organisationspolitisch nicht ganz einfaches Bündnis mit der Naturschutzorganisation BUND und der Industrie- und Handelskammer eingelassen. Dass wir dafür wenigstens eine klare Unterstützung der Grünen erhalten haben, hat mich gefreut.

Sie meinen das Stufenmodell zur energetischen Sanierung, das eine Alternative war zum Gesetzentwurf von Umweltsenatorin Katrin Lompscher.

Ja. Das Bemerkenswerte ist, dass es von allen Bündnispartnern ein Umdenken verlangt hat. Gerade bei der IHK und bei uns ist ein solcher politischer Vorstoß nicht selbstverständlich gewesen. Energieverbrauch und Klimaschutz haben erheblichen Einfluss auf das Wohnen. Das Thema muss und darf dem Mieterschutz nicht zuwiderlaufen. Wir können die Prozesse aber nur mit beeinflussen, wenn wir uns dieser wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe stellen.

Die Kreuzberger Grünen fordern, dass es energetische Sanierung nur geben soll, wenn die Mietsteigerungen nicht höher sind als die Einsparungen.

Das lässt sich leider nicht immer realisieren, so unsere Erfahrung. Außerdem muss auch der Zeitfaktor berücksichtigt werden. Schauen Sie 15 oder 20 Jahre in die Zukunft. Wenn es bei einem sieben- bis zehnprozentigen Anstieg der Energiepreise bleibt und einem zwei- bis dreiprozentigen Anstieg der Grundmiete, dann werden die Heizkosten in nicht allzu ferner Zeit höher sein als die Grundmiete.

Der Geschäftsführer eines Mietervereins als Verfechter des Nachhaltigkeitsgedankens?

Im Prinzip ja. Das ist aber innerhalb einer Organisation, in der die sozialpolitische Seite im Vordergrund steht, schwer umzusetzen. Es gibt viele Mietervereine, die die Existenz dieses Problems leugnen und jede unmittelbare Zusatzbelastung ablehnen. Das Entscheidende aber ist, dass die Verknüpfung des ökologischen Themas mit dem sozialpolitischen eine ungeheure Bedeutung hat. Was wäre das für eine Stadt, in der in den schlechten Gebäuden, die nicht energetisch saniert sind, nur noch Haushalte mit geringem Einkommen wohnen und die mit hohem Einkommen in den Ökopalästen? Das ist nicht mein Ziel.

Sie sind 1954 in Hannover geboren, haben in Konstanz und Berlin Soziologie studiert. Was hat Sie politisch geprägt?

In erster Linie die Bürgerinitiativbewegung. Als Schüler durfte ich in Hannover miterleben, wie sich die Bürger der Stadt mit Blockaden und selbst organisiertem Personentransport gegen Fahrpreiserhöhungen und Privatisierung erfolgreich wehrten. Mit dieser Rote-Punkt-Aktion wurde der eingestellte öffentliche Nahverkehr durch eine Solidaritätsaktion der Autofahrer ersetzt. Damit gelang es, fast die gesamte Mobilität zu sichern. In Konstanz habe ich mich in der Anti-AKW-Bewegung engagiert, war in Wyhl, Kaiseraugst und Fessenheim.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Wohnung in Berlin?

Klar, das war in der Hohenfriedbergstraße in Schöneberg. Ich zahlte damals 73 Mark für eine 42-Quadratmeter-Wohnung. Das war 1975. Das Haus ist inzwischen abgerissen. In Berlin habe ich dann angefangen, Stadtteilarbeit zu machen. Darüber kam ich letztendlich 1981 auch zum Mieterverein.

Sie arbeiten dort seit 30 Jahren und führen seit anderthalb Jahren die Vereinsgeschäfte. Hat es Sie nie gedrängt, in die Politik zu gehen?

Politik ohne Regieren ist schwer. Regierung wiederum ist nur Macht auf Zeit. Man muss immer wieder von vorne anfangen. Im Gegensatz dazu konnte ich beim Mieterverein dauerhaft Einfluss auf die Politik zu nehmen. Als Berliner Landesverband des Deutschen Mieterbundes sind wir ein vergleichsweise politisch stark engagierter Verein.

Und wenn nach der Wahl Frau Künast anruft und sagt: Herr Wild, können Sie sich vorstellen, uns als Staatssekretär oder Senator zu unterstützen?

Sie wird sich davor hüten, einen Vertreter einer Mieterorganisation anzurufen. Das würde sie angreifbar machen. Besser wäre es, sie würde sich unabhängigere Kandidaten suchen.

Der Spielraum, den das Land in der Wohnungs- und vor allem der Mietenpolitik hat, ist gering. Was könnte ein grüner Stadtentwicklungssenator oder eine grüne Stadtentwicklungssenatorin tun?

Seit der Föderalismusreform hat sich der Spielraum der Länder vergrößert. Berlin könnte, mit Hinweis auf eine angespannte Wohnungssituation auch in bestimmten Quartieren, die Zweckentfremdung wieder untersagen. Das betrifft den Abriss, aber auch die missbräuchliche Nutzung von Wohnungen, zum Beispiel die Vermietung als Ferienwohnungen. Hamburg macht das mit einem Wohnraumschutzgesetz. Oder zum Beispiel die Geschäfte mit der Umwandlung von Wohnungen in Eigentum erschweren: Hamburg hat die Sperrfrist für Eigenbedarfskündigungen nach Umwandlung auf zehn Jahre festgelegt und stellt in Gebieten der sozialen Erhaltungsverordnung Umwandlung unter einen Genehmigungsvorbehalt. Berlin tut sich bislang schwer mit solchen Schutzinstrumenten.

Welche Stadt machts besser? Etwa Wien, die Metropole des kommunalen Wohnungsbaus?

Das österreichische Mietrecht verfolgen wir mit großem Interesse. Auch mit restriktiven Regeln für Vermieter geht weder die Welt noch Wien unter. Vorbildlich ist der kommunale Wohnungsbau in der österreichischen Hauptstadt. Da die Bedingungen an Donau und Spree aber inzwischen sehr unterschiedlich sind, setzen wir andere Akzente. Im Grunde benötigen wir eine neue Form der Wohnungsgemeinnützigkeit.

In Wien hat die Kommune selbst gebaut, in Berlin wurden Investoren im angeblich sozialen Wohnungsbau mit Milliardensummen beschenkt …

… und 15 Jahre später sind die Mieten oft höher als im frei finanzierten Wohnungsbau. Nach Verlust der Bindungen stehen die Wohnungen für eine soziale Wohnraumversorgung der Stadt nicht mehr zur Verfügung. Leider lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Wir können nur versuchen, die schlimmsten Auswüchse des Finanzierungssystems abzumildern. Wenn überhaupt, können Neubausubventionen heute über die Grundstücksvergabe oder bei der Vergabe von Baudarlehen an Baugruppen eine Rolle spielen. Umfangreiche Neubauprogramme sind so jedoch nicht zu erwarten und in Anbetracht der demografischen Entwicklung vermutlich in Berlin auch nicht erforderlich.

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