Methadon-Eltern unter Verdacht: Wahlkampf um Drogenkinder

Haben Bremer Substituierte ihren Kindern Drogen verabreicht? Die Sozialbehörde misstraut ihrer eigenen Untersuchung - und gibt zwei neue in Auftrag.

"Wenn ihr nicht ruhig seid, kommt der Papa mit der Spritze": Wahlkampf-Propaganda oder Realität? Bild: dpa

BREMEN taz | Die Bremer Ausgabe der Bild-Zeitung nahm das Szenario schon mal vorweg: Auf einer ganzen Seite druckte sie am Freitag das Foto eines Polizisten, der ein Mädchen in einem rosa Pullover aus dem Haus einer "Methadon-Familie" trägt. Überschrift: "Noch mehr Kinder mit Drogen ruhig gestellt."

Das Bild war zwar eine Suggestion, die Situation selbst hatte so gar nicht stattgefunden. Dennoch diskutiert die Bremische Bürgerschaft am Donnerstag einen 14-Punkte-Dringlichkeitsantrag der CDU. Sie will "Sofortmaßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls" gegen Substituierte einleiten. "Die Zeit der Verharmlosung ist ein für allemal vorbei", sagt die Fraktionsvorsitzende Rita Mohr-Lüllmann, eine Apothekerin.

Auslöser der Debatte ist eine Untersuchung des Sozialressorts bei 15 Kleinkindern aus Substituiertenfamilien. Bei 14 von ihnen, so meldete die Behörde Mitte März, seien Drogenrückstände in den Haaren gefunden worden - und zwar das ganze Programm: Methadon, Heroin, Kokain, Cannabis, Antidepressiva und weitere Drogen. Zur Erklärung mutmaßte der Gesundheits-Staatsrat: "Eltern, die manchmal selbst mit den Nerven am Ende sind, könnten versucht sein, quengelige oder schreiende Kleinkinder ruhigzustellen."

Dass die Behörde den Untersuchungsergebnissen selbst nicht ganz traute, ging unter. Das Schicksal von Kevin, der nach langen Misshandlungen durch seinen heroinabhängigen Stiefvater 2006 tot im Kühlschrank der Eltern gefunden wurde, ist noch allgegenwärtig.

Doch niemand weiß zurzeit, welche Mengen in der Untersuchung genau nachgewiesen wurden und wie die Drogenrückstände in die Haare gelangt waren - ob durch Verabreichung, Konsum, Kontakt oder "Grundrauschen".

Die Trefferquote von 14 aus 15 "widerspricht allen Erkenntnissen, die man bisher hatte", sagt denn auch die Sprecherin des Sozialressorts Petra Kodré. "Das hat uns auf der Seite der Methodik stutzig gemacht. Wir haben uns gefragt, ist das wirklich so?" Bei zwei weiteren Laboren hat die Behörde deshalb neue Gutachten in Auftrag gegeben.

In der Politik allerdings war fünf Wochen vor der Landtagswahl für solche Zweifel keine Zeit. Sie würden "inzwischen Hinweise erreichen, dass drogenabhängige Eltern ihren Kindern sogar die Haare abschneiden, um Haaranalysen zu verhindern", berichtet etwa Mohr-Lüllmann.

Schwer Heroinabhängige können in Deutschland auf Kosten der Krankenkasse den synthetischen, heroinverwandten Stoff Methadon bekommen.

Die Substitution soll einen geregelten Alltag trotz Suchtkrankheit und langfristig die Abstinenz ermöglichen.

Die Behandelten müssen sich verpflichten, keine anderen Drogen mehr zu konsumieren. Gegen diese Auflage wird jedoch häufig verstoßen.

Rund 1.000 Heroinabhängige werden in Bremen mit Methadon substituiert, in 90 solcher Familien leben rund 160 Kinder.

Der SPD-Abgeordnete Klaus Möhle stellte gleich das Methadon-Programm als solches in Frage. Daran sei die "Hoffnung geknüpft, dass Abhängige wieder arbeiten und ihre Kinder erziehen". Doch nun war für Möhle klar: "Das Konzept funktioniert anscheinend nicht."

Ebenso wie die CDU fordern die Grünen "regelmäßige obligatorische Haaranalysen und gegebenenfalls Blutproben bei Kindern von Substituierenden-Familien". Und die Kassenärztliche Vereinigung klagte: "Bremer Kinder mit Methadon ruhiggestellt: Wir warnen schon seit Jahren!"

Nur die Linkspartei meldete Zweifel an. "Ich verstehe überhaupt nicht die angebliche Motivationslage der Eltern", sagte der Linken-Abgeordnete Peter Erlanson. Illegale Drogen seien kostspielig, Methadon nur begrenzt verfügbar. "Es macht aus meiner Sicht wenig Sinn zu glauben, dass Eltern Kleinkinder mit Drogen versorgen."

Ähnlich äußerte sich der Geschäftsführer der Ambulanten Drogenhilfe in Bremen, Bethold Reetz. "Ich habe gedacht, das kann nicht sein", sagt er. "Wir kennen viele Substituierte, für die wir unsere Hand ins Feuer legen würden. Und auch bei deren Kindern wurden Spuren gefunden. Das wundert mich und macht mich misstrauisch."

Marco Jesse vom Verband der "Junkies, Ehemaligen und Substituierten" hat erfolglos versucht, die genauen Werte herauszufinden, die in den Kinderhaaren gefunden wurden. Solange die nicht bekannt seien, sei Skepsis angebracht. "Im Moment ist das nur Panikmache und stellt alle unter Generalverdacht."

"Wenn die ihre Substitutionsvereinbarung unterschreiben, haben die ihre Finger oft schon hinter dem Rücken gekreuzt", sagt dagegen der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Jörg Herrmann, die das Methadon-Programm evaluiert. Wenn Eltern abhängig seien und substituieren, dann stelle das "grundsätzlich eine Gefährdung des Kinder dar". Bremer Ärzte hätten es deshalb von sich aus an das Jugendamt gemeldet, wenn sie mitbekommen hatten, dass ihre Substitutionspatienten kleine Kinder haben.

Der Senat habe zwar Datenschutzbedenken gehabt. "Die haben gesagt, man kann das nicht so pauschal machen, sondern nur, wenn es einen Verdacht gibt." Doch darüber habe man sich zunächst hinweggesetzt und weiter gemeldet. Schließlich sei "Gefahr im Verzug" gewesen. Herrmann fordert, dass Ärzte künftig grundsätzlich, also ohne jeden weiteren Verdacht auf Misshandlung oder Beikonsum, Methadon-Eltern melden sollen.

Das Sozialressort hat die Kinder vorübergehend aus den Familien genommen. Ende des Monats soll die Berliner Charité ihre endgültigen Ergebnisse zu den Kinderhaaren vorlegen.

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