SPD-Neukölln schickt Deutschtürken in den Wahlkampf: Der Mann, der Ernst mit Multikulti macht

Erstmals schickt auch die SPD im Einwandererbezirk Neukölln einen Kandidaten mit Migrationshintergrund ins Rennen um Parlamentssitze. Er sei kein "Jammertürke", sagt Erol Özkaraca, der sich vor allem um die Wirtschaft kümmern will.

Auf den ersten Blick passt Erol Özkaraca in die Neuköllner SPD wie die Faust aufs Auge: Der Mann fällt auf, er ist ein Typ - und erfüllt damit schon mal eine wichtige Voraussetzung, um in die Riege der für ihre Eigenwilligkeit bekannten Neuköllner Sozialdemokraten zu treten. Schließlich haben es der amtierende Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky oder der kürzlich in den Ruhestand getretene Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang zu mindestens stadtweiter Bekanntheit gebracht.

Özkaraca trägt gern braune, eiszapfenspitze Schlangenlederstiefel - "natürlich Imitat!" - zum seriösen dunklen Businessanzug. Aus der Türkei habe er sie mitgebracht, hier trage solche Schuhe sonst niemand. "Alle, wirklich alle!" fragten ihn nach diesen Stiefeln, erzählt Özkaraca und bricht dabei in ein zünftiges Lachen aus, das seinen ganzen Körper zum Beben bringt. Doch nicht nur in Sachen Mode bietet er einige Alleinstellungsmerkmale: Özkaraca, 1963 in Hamburg geboren, ist eines der ersten deutsch-türkischen Kinder, die nach dem 1961 mit der Türkei abgeschlossenen Arbeitskräfteanwerbevertrag zur Welt kamen. Der Vater war einer der ersten türkischen Migranten in Deutschland, die Mutter Hamburgerin. Sein Lachen klingt etwas weniger voll, wenn er sich daran erinnert, wie die Lehrer ihn, das "Ausländerkind", damals "Ötzkarahka" (statt "Öskaradscha") nannten.

Er sei wegen seines Nachnamens immer für einen Türken gehalten worden und habe sich auch als solcher gefühlt, erinnert sich der heute 47-Jährige. Und sich deshalb als Jugendlicher viel mit der Türkei und seiner bikulturellen Herkunft befasst. Das sei damals gut und wichtig für ihn gewesen: "Doch mittlerweile stehe ich da drüber. Ich bin hier geboren, das ist mein Land." Dass er heute immer noch oft als Migrant betrachtet werde, stört ihn nicht: Er sei in Berlin ja wirklich Einwanderer, aus Hamburg eben: "Ich bin Hansetürke", sagt Özkaraca und lacht sein Gewitterlachen.

Dass er sich ausdauernd über Migranten aufregen kann, die ihre Chancen nicht erkennen und nutzen, die sich nicht genug um die Bildung ihrer Kinder kümmern oder ihre Frauen in Burkas stecken, lässt ahnen, was ihn in den Augen der dem rechten Parteiflügel zugerechneten Neuköllner SPD zum geeigneten Kandidaten für das Abgeordnetenhaus macht. "Sehr viel Unterstützung", bekomme er von Buschkowsky und von Fritz Felgentreu, dem Neuköllner SPD-Vorsitzenden und bisherigen Vertreter des Bezirks im Landesparlament.

Fragt man den bikulturellen Deutschen nach Heinz Buschkowskys berühmtestem Ausspruch, Multikulti sei gescheitert, kontert Özkaraca: "Der Mann hat doch recht!" Um gleich darauf hinzuzufügen, es komme eben darauf an, was man unter "Multikulti" verstehe: "Wenn wir alle zusammen hier ein bisschen Sirtaki tanzen und ein paar Deutsche gern in die Türkei in Urlaub fahren, heißt das doch noch lange nicht, dass Integration gelungen ist!" Man müsse Buschkowsky einfach mal ein bisschen besser zuhören: "Er redet von mehr Bildung für Kinder, die für ihn, egal welcher Herkunft, alle Teil unserer Gesellschaft sind und für die wir deshalb Verantwortung tragen!"

Buschkowsky spreche jedenfalls nicht von "Kopftuchmädchen und Genen". Auf eine Diskussion über seinen Parteigenossen Thilo Sarrazin, der es mit rassistischen Thesen über MigrantInnen zu einem Bestseller und einem immer noch unentschiedenen Parteiausschlussverfahren brachte, will sich Özkaraca aber nicht einlassen: "Den Gefallen will ich ihm nicht tun." Was der an Ansichten verbreite, findet der Anwalt schlicht "dämlich": "Mit meinem Menschenbild ist das nicht vereinbar." Dennoch ist der Jurist kein Befürworter des Parteiausschlussverfahrens, und zwar aus formalen Gründen: "Dass Sarrazin der Partei geschadet hat, sehe ich nicht." Das aber sei eine formale Bedingung für den Ausschluss: "Und wenn das Verfahren scheitert, haben die Sarrazin-Gegner eins drauf und er hat recht gekriegt!"

Bildung, Arbeitsplätze, sozialer und ökonomischer Aufstieg: die politischen Kernthemen des Neuköllner Bezirksbürgermeisters sind auch Erol Özkaraca wichtig - obwohl er sich als Abgeordneter lieber um Wirtschaftspolitik kümmern will: "Aber die Themen Bildung, Arbeit und Migration werden dabei sicher eine Rolle spielen."

Sein zehnjähriger Sohn besucht eine Grundschule am nördlichen Berliner Stadtrand, wo der Anwalt mit Frau und Kind seit Kurzem wohnt. Dem Bezirk Neukölln sieht sich der Rechtsanwalt nicht nur politisch, sondern auch emotional eng verbunden. Sechs Jahre lang habe er eine Kanzlei an der Hermannstraße geführt: "Das macht man nicht nur, um Geld zu verdienen. Da lernst du von der Pike auf, wie die Leute hier leben, welche Probleme sie haben und was ihnen fehlt."

Dass es in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, "bittere Armut gibt", das nervt ihn: "Wenn ich Gäste aus der Türkei durch Neukölln führe, sehen sie den Müll auf der Straße, die heruntergekommenen Häuser. Die glauben gar nicht, dass sie in Deutschland sind!"

Er sei aber "keiner von den Jammertürken", darauf legt Özkaraca Wert: "Ich will wirklich etwas verändern. Ich tanze nicht Folklore, um von den echten Problemen hier abzulenken." Arbeitsplätze brauche Neukölln, insbesondere im unteren Qualifikationsbereich, um auch denen etwas anbieten zu können, die keine Ausbildung haben. "Da müssen wir etwas bewegen und endlich aufhören, immer nur von Problemen mit fremden Kulturen und fremden Religionen zu reden."

Kommt da doch eine gewisse Distanz zu den sonstigen Tönen der Neuköllner Sozialdemokraten zum Vorschein? Özkaraca bleibt locker: "Wenn ich zu bestimmten Themen mal anders Stellung nehme als Buschkowsky, hört man mir in der Partei sehr genau zu und setzt sich damit auseinander." Ob solches Wohlwollen mit seiner Herkunft zusammenhängt, ist Özkaraca schnuppe: "Ist doch völlig egal, wo einer herkommt. Da hat doch keiner ein Problem mit, wenn sich einer für dieses Land und diese Stadt einsetzt."

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