Atom-Katastrophe: Japan-GAU im Norden möglich

Auch in norddeutschen Atomkraftwerken gibt es Probleme mit der Notstromversorgung und Überschwemmungen. Politiker fordern Abschaltung alter AKW.

Achillesferse Notstromversorgung: das AKW Brunsbüttel. Bild: dapd

HAMBURG taz | Eine Naturkatastrophe oder auch ein schlichter Ausfall der Notstromversorgung stellt auch für die norddeutschen Atomkraftwerke ein Risiko dar. So warnt der Umweltverband BUND, dass der Hochwasserschutz des AKW Esensham an der Unterweser nicht mehr den neuesten Erkenntnissen entspreche.

Im abgeschalteten AKW Brunsbüttel ist die Notstromversorgung unzureichend. Politiker von SPD, FDP und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) forderten nun die Abschaltung der ältesten Atommeiler.

"Es stellt sich immer wieder heraus, dass die Phantasie nicht ausreicht, um sich die Auslöser von Katastrophen vorstellen zu können", sagt Gerd Rosenkranz, Sprecher der Deutschen Umwelthilfe (DUH), mit dem Blick auf die Ereignisse in Japan.

Obwohl es eigentlich nahe gelegen habe, hätten die Japaner die beiden Katastrophenfälle Erdbeben und Tsunami nicht zusammengedacht. Im japanischen Atomkraftwerk Fukushima war aufgrund des starken Erdbebens vom Freitag der Strom ausgefallen.

Um weiter Kühlwasser in den Reaktor pumpen zu können, sind offenbar zunächst wie vorgesehen Dieselgeneratoren angesprungen. Diese fielen jedoch nach einer Stunde aus - offenbar aufgrund des Tsunamis, der auf das Erdbeben folgte.

Die Notstromversorgung ist auch eine Achillesferse des AKW Brunsbüttel. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde sie im Sommer 2006 nach einem Reaktorunfall am schwedischen Atomkraftwerk Forsmark.

Die Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel gehören zur ältesten Generation der AKWs.

Als Siedewasserreaktoren wie im japanischen Fukushima betreiben sie die Turbine zur Stromerzeugung mit radioaktivem Dampf aus dem Reaktor. Das macht ihren Betrieb besonders riskant. Modernere Kraftwerke haben hierfür einen zweiten, in sich geschlossenen Dampfkreislauf.

Notstrom ist wichtig, weil sich Kernreaktoren bei einer Trennung vom Netz nicht selbst mit Strom versorgen können. Er kommt aus Dieselgeneratoren oder Batterien. In Krümmel brannte 2007 ein Trafo der Notstromversorgung.

Der schwedische Meiler ist wie jene in Brunsbüttel, Krümmel und Fukushima ein Siedewasserreaktor, gehört also zur ältesten Generation der Atomkraftwerke.

In Forsmark hatte es einen Kurzschluss im Stromnetz gegeben, sodass sich das AKW automatisch vom Stromnetz trennte. Der Strom für die weitere Steuerung des Reaktors und dessen Kühlung sollte aus Dieselgeneratoren oder Batterien kommen. Das klappte nicht richtig, so dass Reaktor etwa 20 Minuten lang nicht zu steuern war.

Wegen der Ähnlichkeiten von Brunsbüttel und Forsmark ließ die Kieler Atomaufsicht die Notstromversorgung des AKW Brunsbüttel untersuchen. Der Untersuchungsbericht, der der DUH zugespielt wurde, weist auf eine Reihe von Mängeln hin, die kurz-, mittel- und langfristig behoben werden sollten.

Im Gegensatz zu Forsmark gibt es in Brunsbüttel nur drei Notstromgeneratoren, die über zwei Leitungen mit dem Reaktor verbunden sind. Außerdem sei die Notstromversorgung auf einer niedrigen Spannungsebene zu stark vernetzt.

Das macht für einen Notbetrieb komplizierte Schaltvorgänge notwendig und ist somit störungsanfällig. Als langfristige Maßnahme schlagen die Gutachter eine neue Notstromversorgung mit vier unabhängigen Generatoren vor.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall als Betreiber von Brunsbüttel ist nach eigenen Angaben gerade dabei, die Notstromversorgung des AKW zu verbessern.

"Wir haben festgestellt, dass bei einer Überschneidung von bestimmten seltenen Ereignissen und gleichzeitigem Ausfall von Anlagenteilen die Versorgung der Notstromschienen eingeschränkt sein kann", heißt es auf der Vattenfall-Website.

Deshalb würden die Abläufe jetzt überprüft. "Im Moment sind wir noch bei den Planungen", sagt Vattenfall-Sprecherin Barbara Meyer-Bukow.

Eine Sturmflut sei für das Atomkraftwerk, das unweit der Elbmündung direkt hinterm Deich liegt, kein Problem, versichert die Sprecherin. Für den Fall, dass der Deich breche, gebe es ein "Unabhängiges Notstandssystem" (UNS), sagt Meyer-Bukow.

"Das kann überflutet werden, ohne dass seine Funktion beeinträchtigt wird." Das System sei verbunkert, enthalte zwei Notstromdiesel und Batterien. Im äußersten Notfall könne der Reaktor durch das Feuerlöschsystem mit Hilfe von Elbwasser gekühlt werden.

Zumindest für das AKW Unterweser in Esensham zwischen Bremen und Bremerhaven erwartet der Umweltverband BUND allerdings gravierende Folgen im Falle eines Deichbruchs. Er stützt sich dabei auf ein Gutachten von Oda Becker und Wolfgang Neumann von der Umweltberatungsfirma Intac.

Sie kritisieren, dass die kerntechnischen Regeln, auf die der Deich vor dem Kraftwerk ausgelegt sei, veraltet seien. Heute müsse mit einem Hochwasser gerechnet werden, wie es alle 10.000 Jahre auftreten könne und nicht alle 100 Jahre. Der Deich sei deshalb zu niedrig.

Im übrigen müsse wegen des Klimawandels künftig mit höher auflaufenden Sturmfluten gerechnet werden. Eine Überschwemmung des Anlagengeländes könnte wie in Fukushima die Notstromversorgung ausfallen lassen.

Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen und Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (beide SPD) verlangten am Montag, dass das AKW Unterweser sofort abgeschaltet werden müsse.

Die Ereignisse in Japan zeigten, dass die Atomenergie nicht beherrschbar sei. "Die Laufzeitenverlängerung war ein Riesenfehler", sagte Böhrnsen. Nach dem Atomkonsens hätte das Kraftwerk schon im nächsten Jahr vom Netz gehen sollen.

Der parteilose schleswig-holsteinische Energieminister Emil Schmalfuß forderte wie die FDP des Landes, die alten AKW Krümmel und Brunsbüttel vom Netz zu nehmen und dafür modernere Meiler länger laufen zu lassen. SPD-Landeschef Ralf Stegner und Lars Harms (SSW) verlangen die Rückkehr zum Atomkonsens.

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