Großbritannien diskutiert über Police.uk: Google Maps der Unterwelt

Auf der Website police.uk können Briten herausfinden, welche Verbrechen in ihrer Nachbarschaft begangen wurden. Kritiker wittern Überwachung und weisen auf Fehler hin.

"Crime Mapping": Verbrechensüberblick am Beispiel Liverpool. Bild: screenshot police.uk

LONDON taz | "Es gibt nur ein Land, das seinen Bürgern nachspürt wie das Vereinigte Königreich, und das ist Nordkorea", meckerte der britische Kolumnist Chris Blackhurst im kürzlich im Evening Standard. Großbritannien gilt als eines der meistüberwachten Länder der Erde und trotzdem hat sich das Innenministerium ein weiteres Überwachungsinstrument angeschafft. Auf der Internetseite police.uk können Briten jetzt herausfinden, welche Verbrechen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft begangen wurden.

Die Seite ist eine Art "Google Maps der Unterwelt": Man gibt Postleitzahl oder Straßenamen ein, und schon zeigt die Website an, wieviele Raubüberfälle, Morde, Einbrüche, Vergewaltigungen und Autodiebstähle dort passierten. Wozu ist das gut? "Die Bürger sollen wissen, welche Verbrechen in ihrer Straße begangen wurden", erklärte die britische Innenministerin Theresa May, "auf diese Weise sollen sie die Vorgehensweisen der Polizei kritisieren können."

Nick Herbert, Staatsminister für Polizeiwesen und Kriminaljustiz im britischen Innenministerium betonte: "Ich bin ein Anhänger des 'Crime Mapping' auf Straßenniveau, seit ich es in Los Angeles im Einsatz gesehen habe. Wir geben der Bevölkerung ein Mittel an die Hand, die Polizei vor Ort zur Rechenschaft zu ziehen, und so die Kriminalität in der Nachbarschaft zu senken."

Bereits einige Stunden nachdem police.uk live gegangen war, brach die Website unter der Last der Aufrufe zusammen, so überwältigend war die Reaktion der Öffentlichkeit. Die britische Boulevardzeitung The Sun berichtete, die Seite wäre mit bis zu "18 Millionen Hits pro Stunde bzw. 300.000 pro Minute" völlig überlastet gewesen. Anderen Medienberichten zufolge waren es nur vier bis fünf Millionen Aufrufe pro Stunde. Wie dem auch sei – die Polizei war begeistert angesichts des regen Interesses der Öffentlichkeit: "Wir freuen uns über diese Reaktion", sagte eine Polizeisprecherin, "die zeigt, wie populär diese Informationen bei der Bevölkerung sind."

Leider tauchten nach wenigen Tagen die ersten Ungereimtheiten auf. Glover's Court, eine ruhige Straße im nordenglischen Preston wurde auf police.uk die höchste Kriminalitätsrate in England und Wales verpasst. Kriminalhauptkomissar James Lee von der Dienststelle Preston reagierte empört: "Die Zahlen tun uns Unrecht, es ist eine sichere Gegend. Prestons Bewohner sollten stolz sein, hier zu leben. Die Kriminalität in der Innenstadt ist im Dezember 2010 um 4,5 Prozent gefallen."

Das Innenministerium sah sich keiner Schuld bewusst: "Die Informationen stammen von der Polizei in Lancashire. Wir geben die Daten nur ein." Simon Nash, Einwohner der Innenstadt von Preston, erklärte entrüstet: "Ich lebe seit acht Jahren in dieser Gegend und habe noch nie ein Verbrechen gesehen. Ich bin sauer, denn ich wohne sehr gerne hier."

Ein ähnliches Schicksal wurde der Surrey Street im englischen Portsmouth in der Grafschaft Hampshire zuteil. Obwohl sich dort lediglich ein Pub, ein Wohnblock und ein Parkplatz befinden, verzeichnete police.uk im Dezember letzten Jahres 136 kriminelle Delikte – darunter diverse gewalttätige Übergriffe und Einbrüche. Stadträtin Eleanor tobte: "Diese Website ist eine totale Farce. Sie identifiziert die falschen Epizentren des Verbrechens und Delikte in anderen Gegenden werden unter den Tisch fallen gelassen – die Seite ist unzuverlässig."

Polizeiminister Nick Herbert verteidigte sein Lieblingsprojekt: "Wir müssen die Wahrheit über Kriminalität sagen, und wir müssen diese Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen." Die kritischen Stimmen rissen jedoch nicht ab. Michael White gab im Guardian zu Bedenken, dass die Internetseite den Informationsgraben in der britischen Bevölkerung noch tiefer machen könnte: "Gebildete und wohlhabende Leute, die Zeit, Geld und einen DSL-Internetzugang haben, werden solche Daten begierig aufsaugen und damit etwas konstruktives anfangen können. Wer nicht zu dieser Gruppe gehört, dem dürften vor dem gewählten Polizeichef schlagkräftige Argumente für eine verbesserte Polizeiarbeit fehlen."

Die Informationen auf der Polizeiwebseite sind in sechs Kategorien unterteilt: Einbruch, Raub, Kfz-Kriminalität, Gewaltverbrechen, antisoziales Verhalten und andere Verbrechen. Darunter fallen Diebstahl und Sexualverbrechen, um Opfer vor möglicher Identifikation zu schützen.

Die Kriminalitätsraten weisen zum Teil frappierende Unterschiede auf: So kommt eine Einkaufsstraße im noblen Londoner Vorort Teddington zum Beispiel auf nur 206 kriminelle Delikte. Broadway Markt, eine Einkaufsstraße im berüchtigten Londoner East End, erreicht mit 1824 Delikten fast die zehnfache Anzahl. Auch der Regierungssitz in der Downing Street scheint mit 4416 Zwischenfällen in einer nicht ganz ungefährlichen Gegend zu liegen. Vielleicht sollten sich Regierungschef David Cameron und seine Minister nach einer neuen Bleibe umsehen.

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