Das Montagsinterview: "Ich kam mit 80 Mark in der Tasche"

Der Biologe Garabed Antranikian hat sich vom Flüchtlingskind in Jordanien in die Wissenschafts-Elite hochgearbeitet; im April wird er Präsident der TU Harburg.

Lebendiges Beispiel: Garabed Antranikian ist armenischer Deutscher aus Jordanien - und wird im April Präsident der TU Harburg. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Antranikian, kochen Wissenschaftler anders?

Garabed Antranikian: Wahrscheinlich. Im Labor sind wir gewohnt, sehr präzise zu arbeiten und alles genau abzuwiegen. Diese Präzision plus die Kreativität der Wissenschaftler prägt einen ganz eigenen Kochstil.

Darum Ihr Kochbuch "Science meets Cooking"?

Irgendwann habe ich festgestellt, dass viele Wissenschaftler so wie ich gerne kochen und auf Kongressen Rezepte austauschen. Besonders die Italiener. Da hatte ich die Idee, diese Menschen und ihre Rezepte in einem Buch zusammenzubringen.

Was kochen Sie am liebsten?

Armenische und orientalische Gerichte, die ich aus meiner Kindheit und Jugendzeit kenne. Durch meine Reisen nach Japan habe ich auch die asiatische Küche für mich entdeckt.

GARABED ANTRANIKIAN 59, wurde in der jordanischen Hauptstadt Amman geboren, hat 1970 bis 1976 an der Amerikanischen Universität in Beirut Biologie studiert, 1980 an der Georg-August-Universität Göttingen promoviert und 1988 auf dem Gebiet der Mikrobiologie habilitiert. Seit 1989 forscht und lehrt er an der Technischen Universität Hamburg-Harburg auf dem Gebiet der Mikrobiologie und Biotechnologie. Antranikian steht seit 2003 dem Institut für Technische Mikrobiologie vor. Seit 2009 hat er das Amt des Vizepräsidenten für Lehre inne, am 1. April wird er das Amt des Präsidenten der TUHH antreten. 2004 erhielt er den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Er ist Mitglied zahlreicher akademischer Vereinigungen und Herausgeber der Fachzeitschrift Extremophiles. Er spricht fünf Sprachen, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Seit 1989 ist Antranikian deutscher Staatsbürger.

Haben Sie überhaupt Zeit zum Kochen?

Man muss sich die Zeit nehmen, am Wochenende zum Beispiel. Ich habe auch gemerkt, dass man durch Kochen Menschen besser kennenlernen kann. Wenn ich Wissenschaftler aus anderen Ländern zu Gast habe, dann kochen wir oft zusammen.

Kann man Küchenabfälle in der Biotechnologie verwenden?

Im Prinzip schon. Ein Stück Kuchen, das nicht gegessen wird, enthält zum Beispiel Stärke, und die ist ein hochwertiger Grundstoff in der Biotechnologie. Für die Biotechnologie sind Stoffe, die in der Natur gebildet werden, wie Stärke, Cellulose oder Holz, sehr bedeutsam. Aus ihnen kann man chemische Grundstoffe gewinnen - und Energie.

Sie gelten als Pionier der "weißen Biotechnologie". Was ist das?

Darunter ist der Einsatz von Biokatalysatoren, also biologischen Systemen wie Bakterien, Hefezellen oder Enzymen, zur Herstellung industrieller Produkte zu verstehen. Das heißt, ich brauche keine chemischen Katalysatoren sondern kann durch Biologie Reaktionen beschleunigen. Viele dieser Biokatalysatoren nutzen wir schon heute im Alltag.

Und was machen die?

Sie können zum Beispiel Stärke in ein Vitamin oder Medikament umwandeln. Früher brauchte man dafür harte Chemie. Mit der Biologie kann man aber oft genauer und damit umweltfreundlicher und nachhaltiger arbeiten. Das Ausgangsmaterial ist dabei häufig Biomasse. Sie kann Erdöl ersetzen. Ein Beispiel aus dem Alltag sind Waschmittel: Da können Enzyme helfen, waschaktive Chemikalien zu reduzieren und Energie zu sparen, weil man bei niedrigen Temperaturen waschen kann.

Arbeiten Sie für die Zeit nach dem Erdöl?

Ja, es wird eine Post-Erdöl-Ära geben. Keiner weiß wann genau das Erdöl zur Neige gehen wird, aber fest steht: es ist eine endliche Ressource. Daher werden biomassebasierte Technologien zukünftig eine große Rolle spielen.

Was passiert mit den mehr als 100 Patenten, die Sie entwickelt haben?

Sie ermöglichen der Industrie, neue Prozesse zu entwickeln und die teuren Entwicklungen auch wirtschaftlich zu nutzen. Nicht alle Patente werden kommerziell verwertet, aber wenn, dann erhalten die Hochschulen einen Anteil aus den Erlösen.

Ist das noch unabhängige Wissenschaft, wenn Sie so eng mit der Industrie kooperieren?

Die Unabhängigkeit ist nicht in Gefahr. Die Zusammenarbeit mit der Industrie schafft oft sogar finanzielle Freiräume, um auch mal richtig verrückte Sachen auszuprobieren und Grundlagen zu erforschen. Angewandte Forschung bedeutet aber auch, dass die Gesellschaft die Ergebnisse unserer Forschung nutzen kann. Immerhin sind es vorwiegend Steuern, aus denen sie finanziert wird.

Was wollen Sie als Präsident der TU Hamburg-Harburg erreichen?

Ich will, dass wir ein neues Wir-Gefühl schaffen, dass die Studierenden sich mit der Universität verbunden fühlen. Und ich will die Methoden der Lehre ändern: Es soll weniger Frontalvorlesungen geben. Dafür soll das interaktive und lösungsbasierte Lernen gefördert werden.

Stehen Sie für den Internationalisierungskurs der TU?

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, dass man sich anderen Menschen und Kulturen gegenüber öffnet. Wir haben rund 70.000 offene Stellen für Ingenieure. Diese Lücke müssen wir schließen, auch dadurch, dass wir kluge Menschen nach Deutschland bringen.

Sie wurden als Kind armenischer Flüchtlinge in Jordanien geboren. Wie lebte es sich dort damals, als Nicht-Araber?

Das war überhaupt kein Problem. Die Armenier sind dort zwar eine Minderheit, aber eine respektierte. Armenier sind als sehr tüchtige und loyale Menschen bekannt, die sich nicht in die Politik einmischen. Sie sind in arabischen Ländern deshalb allgemein beliebt.

Anders als in der Türkei …

Mein Vater stammte aus Sivas in der Türkei und hat als einziger aus seiner Familie den Völkermord überlebt.

Warum sind Sie nach dem Abitur in den Libanon gegangen?

Ich wollte studieren. Die einzige Universität, die in der Region wirklich gut war, war die Amerikanische Universität in Beirut. Dort habe ich dann meinen Masterabschluss gemacht. Danach wollte ich noch promovieren - eigentlich in den USA.

Und wie sind Sie dann in Deutschland gelandet?

Das war Zufall. 1976 herrschte im Libanon Bürgerkrieg. Um in den USA zu studieren, brauchte ich ein Visum. Die amerikanische Botschaft lag etwa 1.000 Meter vom Campus entfernt. Ich habe drei Mal versucht, diesen Weg zu gehen. Er lag aber unter ständigem Beschuss. Da habe ich gedacht: Es lohnt sich nicht zu sterben, nur um in den USA zu studieren. Sicherer lag die deutsche Botschaft. Ich bin dann dort hingegangen und habe das Visum für Deutschland erhalten, mit dem Ziel von dort aus nach Amerika zu gehen.

Sie sind aber in Deutschland geblieben.

Ja. Ich habe eine gute Stelle als Doktorand in Göttingen bekommen und habe mich so wohl gefühlt, dass ich blieb.

Wurde Ihr Abschluss damals anerkannt?

Ja, das war gar kein Problem. Schwieriger war es eher, im Libanon mein Abschlusszeugnis zu bekommen. Einen Tag vor meiner Abreise hatte ich es immer noch nicht in der Hand. Da habe ich gedacht: Ich muss die Sache irgendwie beschleunigen. So habe ich sechs Gurken gekauft und bin zur Verwaltung gegangen. Für die sechs Gurken bekam ich dann mein Masterzeugnis.

Heute müssen viele Migranten unqualifizierte Jobs ausüben, weil ihr ausländisches Diplom nicht anerkannt wird.

Die Vergleichbarkeit von Abschlüssen und damit deren Anerkennung wird durch die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem in Zukunft leichter. Natürlich kann es nicht angehen, dass hoch qualifizierte Menschen ihre Potenziale nicht in die Gesellschaft einbringen können. Es ist traurig, wenn tolle Physiker und Mathematiker ihren Lebensunterhalt als Taxifahrer verdienen müssen.

Stammen Sie aus einer Akademikerfamilie?

Nein. Mein Vater war Polsterer, meine Mutter Näherin. Aber ich wollte unbedingt studieren. Wahrscheinlich weil ich ahnte wie es für mich ausgeht, wenn ich nicht studiere. Wir lebten in einem kleinen Ort, wo nicht viel los war und es keine großen Perspektiven gab. Da wollte ich immer raus. Einfach war das aber nicht, weil ein Studium extrem teuer war und wir kein Geld hatten.

Wie haben Sie das Studium finanziert?

Ich erhielt ein Stipendium. Das reichte aber nicht. So musste ich an der Universität nachts Telefondienst machen. Zusätzlich habe ich meinen reichen Mitstudenten Nachhilfe gegeben. Im ersten Jahr habe ich Tag und Nacht gearbeitet.

Wie standen Ihre Eltern dazu?

Sie haben mir das Wenige gegeben, was sie gespart hatten. Mehr konnten sie nicht machen. Ich war dauernd damit beschäftigt, Geld zu suchen. Das war immer ein Kampf. Ich habe es aber irgendwie hingekriegt.

Kann so ein Aufstieg durch Bildung jedem gelingen?

Ja natürlich. Ich habe es geschafft, warum sollten es andere nicht schaffen? Als ich nach Deutschland kam, hatte ich 80 Mark in der Tasche. Heute bin ich der designierte Präsident der TUHH. Ich bin ein lebendiges Beispiel für Aufstieg durch Bildung - und für Integration. Natürlich findet auch Diskriminierung statt. Aber Deutschland ist insgesamt ein offenes Land. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich eine Stelle nicht bekomme, weil ich Ausländer bin. Ich war mir aber auch bewusst, dass ich als Ausländer vielleicht einen Tick mehr leisten muss, um aufzufallen.

Dann kann man seine Herkunft abschütteln?

Warum sollte man seine Herkunft abschütteln? Man kann doch zu seinen Wurzeln stehen und sich trotzdem integrieren. Die Leute dürfen nicht denken: Ich bin Migrant, ich schaffe es eh nicht, deswegen versuche ich es erst gar nicht. Das ist nicht die richtige Einstellung. Jeder kann etwas erreichen, wenn er sich bemüht. Wichtig ist, dass man sich als Ausländer integriert und die Sprache lernt. Die Deutschen wiederum müssen die Ausländer als Bereicherung sehen und nicht als Last.

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