Debatte Tunesien: Ein Hauch von Jasmin

Die Revolution in Tunesien steht erst noch an ihrem Anfang. Vom Westen haben die Demokraten dort allerdings wenig Hilfe zu erwarten.

Polizisten prügeln, treten auf Demonstranten ein. Sie jagen die Teilnehmer eines friedlichen Sit-in stundenlang durch die Innenstadt, bezahlte Provokateure heizen die Gewalt an. Szenen aus Kairo? Nein, all das spielte sich vor zwei Wochen in Tunesien ab. Und als sich der neue Innenminister Fahrat Rahi am Tag danach erkundigen wollte, wer für den überzogenen Polizeieinsatz verantwortlich war, wurde er fast selbst von Polizisten fest genommen. Als Reaktion auf diesen Putschversuch löste er daraufhin landesweit 27 Polizeidirektoren ab.

Erst am Wochenende kam es in der nordwestlichen Provinzstadt Kef zu einen weiteren Ausbruch der Gewalt. Ein Polizeioffizier hatte dort eine Demonstrantin geohrfeigt, woraufhin ihn eine wütende Menschenmenge verfolgte; vier von ihnen erschoss er mit seinem Dienstrevolver. Der Vorfall zeigt, wie verwurzelt das Gefühl von Allmacht und Straflosigkeit bei den Sicherheitskräften weiterhin ist.

Noch immer kommt Tunesien nicht zur Ruhe. Landesweit hat die Übergangsregierung jetzt die Reservisten der Armee aufgerufen, sich zu melden: ein Zeichen dafür, dass sie ihren eigenen Ordnungshütern offenbar noch immer nicht traut. Doch auch die politische Polizei ist nach wie vor präsent und observiert Oppositionelle. Und die Parteimiliz der einstigen Regierungspartei RCD, die jetzt verboten wurde, schürt unter der Oberfläche weiter die Unsicherheit.

Zwei Gefahren drohen Tunesien derzeit. Erstens könnte der noch immer hervorragend organisierte und vernetzte Apparat der Diktatur neue Parteien, die im Entstehen begriffen sind, infiltrieren. Zweitens könnte er versucht sein, das Chaos neu anzufachen, damit sich die erfahrenen Manager des ancien régime dann als Retter in der Not profilieren. Und von Tunesiens langjährigen europäischen Partnern dürften sie dabei sogar erneute Rückendeckung erhalten.

Zwar sind aus Washington, Paris und Berlin viele Lippenbekenntnisse zur arabischen Demokratiebewegung zu vernehmen. Nur, den pflichtschuldigen Gruß begleitet noch kein außenpolitisches Konzept. Sobald die mediale Aufmerksamkeit wieder abflaut, könnten sich wieder die Strategen von gestern durchsetzen und auf eine Politik des "Containment" setzen.

Denn bilden die autoritären Regimes der Region nicht immer noch das beste Bollwerk gegen den islamischen Extremismus? So jedenfalls lautete die offizielle Begründung der EU- Außenpolitiker, warum man so lange und so gut mit Tunesiens Exdiktator Ben Ali zusammenarbeitete. Dabei ließen sich bei den tunesischen Islamisten der An-Nahda-Partei nur schwer irgendwelche Parallelen zur Ideologie algerischer Dschihadisten oder afghanischer Taliban erkennen, die sich tatsächlich Terror gegen den Westen auf die Fahnen geschrieben haben.

Strategische Ziele des Westens

Dass Ben Alis eigentliche Gegner die Demokraten waren, zeigte sich bei dessen höchst brutalem Vorgehen gegen alle, die es wagten, sich unter seiner Herrschaft für Meinungsfreiheit und Pluralismus zu engagieren, ob Blogger oder Oppositionspolitiker. Sein Regime ließ keine öffentliche Debatte zu, drängte moderate Kräfte in den Untergrund und förderte damit den radikalen Islamismus sogar.

Paris, Washington, Brüssel und Berlin aber hofften und hoffen, mithilfe von Ben Ali, Mubarak, Bouteflika und anderen kurzfristig ihre wirtschaftlichen und strategischen Claims verteidigen zu können. Diese arabischen Potentaten kooperieren mit allen, die ihnen nützen - sie müssen das sogar tun, weil ihre eigenen Bevölkerungen sie ja kaum wählen würden, vorausgesetzt, sie hätten eine Wahl. Dass es dem Westen bei seiner Unterstützung solcher Diktatoren um den Kampf gegen religiösen Extremismus ginge, ist dabei eine reine Schutzbehauptung. Schließlich läuft die Zusammenarbeit mit religiös extremistischen Regimes anderswo ja recht reibungslos, wie das Beispiel Saudi-Arabien zeigt.

Auch in Afghanistan setzt die internationale Gemeinschaft, und mit ihr Deutschland, längst nicht mehr auf "Demokratisierung", sondern auf Mullahs, Stammeschefs und "traditionelle Autoritäten". Dabei bedient sich das Karsai-System inzwischen bei Scharia-Interpretationen aus der Mottenkiste der Mudschaheddin - und agiert derart fundamentalistisch, dass sich die ägyptischen Muslimbrüder oder die tunesische an-Nahda dagegen wie Varianten einer islamischen CDU ausnehmen. Und Tunesiens gestürzter Präsident Ali müsste nur mal aus seinem Exil in Saudi-Arabien ins deutsche Regionalkommando nach Masar-i-Scharif fliegen, um sich beim Gouverneur dort Tipps zu holen, wie eine wirklich effiziente Vettern- und Milizenwirtschaft aussieht.

Von Tunis nach Afghanistan

In Afghanistan gibt es jede Menge Mini-Mubaraks oder kleine Ben Alis: korrupte Provinz- und Bandenchefs, die nur dank der Unterstützung der Isaf-Truppen überleben. Doch sobald solche Fundamentalisten unsere politischen Partner sind, wird ihr Islam schnell zur "Kultur" und zur jahrhundertelang gewachsenen "Tradition" erklärt. Beliebt ist dann das Argument: Sollen wir den Menschen dort etwa "unsere" Demokratie und "unsere" Menschenrechte aufzwingen? Würde so etwas nicht den Hass auf uns erst recht hochkochen lassen? Anders gesagt: Sind die Einheimischen nicht zufrieden so?

"Wir sind nicht 1956 unabhängig geworden, sondern jetzt erst", meinte jüngst ein Student an der Universität von Tunis. In seiner Sicht dauerte die Kolonialzeit von 1881 bis 2011: vom klassischen Kolonialismus (Modell 1850) über das Protektorat (1900) und Mandat (1920) bis zur Scheinsouveränität unter dem von Europa gestützten Diktator Ben Ali.

Tatsächlich fängt der Umbruch gerade erst an. Denn alle Faktoren, die Ben Alis Herrschaft in Tunesien begründeten, bestehen noch unverändert weiter: die strategischen Interessen des Westens, die alte Machtelite Ben Alis, die ihren einstigen Chef heute scheinheilig als Kleptokraten verwünscht und sich schon neue Plätze in der Politik sucht, sowie der Islam - als Argument mal für, mal gegen die Demokratisierung. Die Revolution beginnt. Hoffentlich auch in unseren Köpfen.

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