Verhandlung zur Sicherungsverwahrung: Karlsruhe kontra Straßburg

Das Bundesverfassungsgericht will klagenden Straftätern nicht helfen. Seiner Ansicht nach habe der Gerichtshof für Menschenrechte "Sicherheitsinteressen" übersehen.

Wollen sich nicht beugen: Karlsruher Richter. Bild: dpa

Das Bundesverfassungsgericht steuert auf einen Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu. Karlsruhe will wohl mehrere Schwerverbrecher in der Sicherungsverwahrung belassen - unter Missachtung Straßburger Urteile, die eine Entlassung fordern. Das zeichnete sich am Dienstag bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe ab.

Geklagt hatten vier wegen Vergewaltigung und Mord verurteilte Straftäter. Ihre Haftstrafen haben sie abgesessen und befinden sich nun in Sicherungsverwahrung, weil sie noch als gefährlich gelten. In zwei Fällen wurde die Sicherungsverwahrung rückwirkend über die ursprünglich angeordneten zehn Jahre hinaus verlängert. In den anderen Fällen wurde die Verwahrung erst nachträglich, während der Haftzeit, angeordnet.

Beides verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, hatte der Straßburger Gerichtshof in mehreren Urteilen entschieden. Strafgesetze dürften nicht rückwirkend verschärft werden. Außerdem müsse eine Freiheitsentziehung wie die Sicherungsverwahrung im Strafurteil angeordnet werden und nicht erst Jahre später. Doch Teile der deutschen Justiz wollen die Straßburger Urteile nicht umsetzen, deshalb muss jetzt Karlsruhe über die Freilassung der Kläger entscheiden.

Karlsruhe ist eigentlich festgelegt. Schon 2004 hatte das Verfassungsgericht entschieden, dass Gesetze über die Sicherungsverwahrung auch rückwirkend verschärft werden dürfen. Grund: Die Verwahrung sei keine Strafe für begangenes Unrecht, sondern eine präventive "Maßregel". Daran wollen die Richter offensichtlich festhalten. Die Unterscheidung ermögliche moderate Strafen im Regelfall, während die dauerhaft gefährlichen Straftäter zielgerichtet mit der Sicherungsverwahrung länger inhaftiert werden können, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Weil die Verwahrten aber nur vorsorglich inhaftiert werden, müssten ihre Haftbedingungen besser sein als die der Strafgefangen. Dieses 2004 aufgestellte "Abstandsgebot" war in der Praxis zu wenig beachtet worden, stellten die Richter jetzt fest. Hier muss wohl nachgebessert werden: Größere Zellen, mehr Besuchszeiten, höhere Arbeitslöhne werden die Richter wohl fordern. Die Folge: Für die Sicherungsverwahrung gilt das Rückwirkungsverbot auch künftig nicht.

Damit wäre das Problem aber nicht gelöst, sondern zementiert, denn Straßburg sieht die Verwahrung immer noch als Strafe und fordert eine Freilassung. Die aber will Karlsruhe zumindest nicht in allen Fällen anordnen. Deshalb berufen sich die Richter nun auf staatliche "Schutzpflichten", die sie ins Grundgesetz hineininterpretieren. "Die Menschenrechtskonvention hat nur Individualprobleme im Blick, unsere Verfassung ist aber aufs Ganze bezogen", sagte der konservative Richter Herbert Landau. Auch Voßkuhle kritisierte, der Straßburger Gerichtshof habe "die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung nur ganz am Rande in den Blick genommen".

Renate Jaeger, ehemalige Richterin am Straßburger Gerichtshof, warnte am Montag im taz-Interview, die Menschenrechtskonvention dürfe nicht unter Verweis auf staatliche Schutzpflichten missachtet werden, "dann müsste Deutschland aus der gemeinsamen Konvention aussteigen".

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