Revolution in Ägypten: "Wir brauchen Brot und Würde"

Die Jugendlichen, die auf dem Tahrir-Platz ausharren, treiben alle vor sich her, das Regime wie die Opposition. Auf jedes Manöver des Regimes finden sie eine Antwort.

Demonstranten auf dem Tahrir-Platz: "Danke, Jugend Ägyptens". Und: "Wir werden nicht gehen, bis wir 70 Milliarden Dollar kriegen." Bild: dpa

KAIRO taz | Es ist eine Dynamik, der sich derzeit niemand in Ägypten entziehen kann. Der Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt Kairo bestimmt die Tagesordnung. Die jungen Menschen, die dort ausharren, treiben alle vor sich her. Nicht nur das Regime, sondern auch die Opposition. Hatte diese noch am Sonntag versucht, mit dem von Präsident Husni Mubarak ernannten Vizepräsidenten Omar Suleiman Gespräche zu führen, um sich gegenseitig abzutasten, kam bald das "Nein zu Verhandlungen" vom Platz.

Die Vertreter der verschiedenen Jugendbewegungen von links bis hin zu den jungen Muslimbrüdern, deren Führung gleichzeitig mit Suleiman am Verhandlungstisch saß, erklärten unisono, bei diesen Gesprächen spreche keiner in ihrem Namen. Ein Verdikt, dem sich die Opposition schnell beugen musste, die sich am Abend für den Verhandlungsversuch mit dem Regime fast entschuldigen musste.

Die Leute auf dem Platz haben eine klare politische Linie: Erst wenn Mubarak geht, sind sie bereit zu sprechen. Das Regime versucht indes, möglichst viel vom alten System in die neue Zeit hinüberzuretten, während Mubarak offiziell noch im Amt ist. Und Teile der Opposition wollen das Spiel mitspielen, um sich selbst einen Platz für die Zeit nach Mubarak zu sichern.

Keine Sprecher, keine Führung

Doch bisher hat sich der Tahrir-Platz nicht instrumentalisieren lassen. Dabei ist es seine Stärke, dass er bisher keine Sprecher und keine politische Führungen hervorgebracht hat. Niemand konnte bislang von einer organisierten Opposition vereinnahmt oder vom Regime verhaftet werden.

Das Regime spielt auf Zeit und setzt als Propagandainstrument das mächtige staatliche Fernsehen ein. Es macht die Demonstranten dafür verantwortlich, dass die Ägypter nicht wieder zur Normalität zurückkehren können. Dabei geht es um so existenzielle Dinge wie die Auszahlung der Löhne. Eines der großen Themen, die die Menschen in diesen Tagen bewegen, ist, dass viele nicht wissen, wie sie ihre Familie durch den Monat bringen sollen.

Zugleich hetzt das staatliche Fernsehen offen gegen Ausländer und behauptet, diese hätten die Revolte angezettelt. Man versucht, ein ganzes Land im 24-stündigen Programmtakt gehirnzuwaschen. Dagegen steuern die arabischen Satellitenkanäle mit ihrer Berichterstattung vom Platz. Es ist ein Zermürbungskrieg. Das Regime versucht dabei, jeden gegen jeden auszuspielen: Ägypter gegen Ausländer, Reiche gegen Arme, Stadt gegen Land.

Erst Brot, dann Freiheit

Zu Beginn der Proteste hatten vor allem die Jugendlichen aus den Armenvierteln die Polizei verjagt und von ihren Problemen wie den Preissteigerungen für Lebensmittel gesprochen. Danach waren es sehr viele Ägypter aus der Mittel- und Oberschicht, die sich auf dem Tahrir-Platz versammelten und vor allem politische Freiheiten forderten. Auch diesen Widerspruch hat das Regime auszunutzen versucht. Deswegen ist heute eine neue Parole auf dem Platz aufgetaucht: "Wir brauchen Brot und Würde", heißt es jetzt.

Wieder einmal hat der Tahrir sensibel auf die Stimmungsmache des Regimes reagiert. Sowohl das Regime als auch die Demonstranten kämpfen heftig um die Gunst der zahlreichen Ägypter, die zu Hause sitzen und sich abwechselnd die Hetze im staatlichen Fernsehen oder die Berichterstattung der Satellitenkanäle vom Platz ansehen. Wie deren Stimmung ist, vermag niemand mit Bestimmtheit zu sagen.

Aber vielleicht ist meine vollkommen unpolitische Cousine Nermin aus Alexandria ein Barometer. Sie rief am Montag an und sagte, sie hätte das Spiel durchschaut. "Ich hoffe, dass die Leute auf dem Tahrir den längeren Atem haben."

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