Proteste in Ägypten: Alternativen schleierhaft

Noch ist völlig unklar, wer das Vakuum nach Husni Mubarak füllen wird. Innerhalb der Opposition ist vor allem eine Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern umstritten.

Seine Vorstellung von einer Übergangsregierung der nationalen Einheit gefällt nicht allen Oppositionellen. Mohammed el Baradei am Sonntag auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Bild: dpa

Da es in Ägypten keine freien Wahlen und keine "Sonntagsfrage" gibt, weiß niemand genau, wo die politischen Sympathien der Bevölkerung liegen. Das gilt für die regierende Nationaldemokratische Partei (NDP) ebenso wie für die Muslimbrüder, andere Oppositionsgruppen und -bündnisse sowie für die Akzeptanz von Mohammed al-Baradei, Friedensnobelpreisträger und ehemaliger Leiter der Atomenergiebehörde in Wien.

Im Oktober vergangenen Jahres, sechs Wochen vor den Parlamentswahlen am 28. November, veröffentlichte die staatliche Zeitung al-Ahram so etwas wie eine Prognose, allerdings ohne Angaben von Prozenten. Danach würde die NDP die Wahlen deutlich gewinnen, die Muslimbrüder, die 2005 trotz Fälschungen immerhin ein Fünftel der Sitze gewannen, würden genauso deutlich abstürzen und die liberale Traditionspartei Wafd würde als stärkste oppositionelle Kraft aus den Wahlen hervorgehen.

Überraschung, Überraschung: Die NDP räumte ab, die Muslimbrüder gingen leer aus. Kleiner Schönheitsfehler für den 82-jährigen Präsidenten Husni Mubarak: Neben den Muslimbrüdern boykottierte auch die Wafd angesichts der schamlosen Pfuschereien die Stichwahl.

Die Muslimbrüder

Die Muslimbrüder, 1928 von Hassan al-Banna gegründet, gelten als die größte und am besten organisierte Oppositionspartei. Offiziell sind sie verboten, weil die Verfassung keine religiös orientierten Parteien zulässt. Dennoch werden sie in gewissem Maße toleriert, bei Wahlen treten sie als Unabhängige an.

Trotzdem verschwinden ihre Mitglieder regelmäßig in den Gefängnissen des Landes. So wurden vergangenen Freitag 20 führende Mitglieder festgenommen, während des Wahlkampfes waren es ihren eigenen Angaben zufolge über 1.000.

Die Entscheidung der Muslimbrüder, bei der ersten Runde der Wahlen anzutreten, wurde in den Reihen der Opposition, aber auch innerhalb der Organisation kritisiert. Die Argumente der Führung: den Wahlkampf für die Information und Mobilisierung zu nutzen und die Wahlfälschungen zu entlarven. Ihr Slogan: "Der Islam ist die Lösung".

Abdul Monem Mahmud ist einer der Kritiker in den Reihen der Muslimbrüder. Der Journalist lässt seine Mitgliedschaft derzeit ruhen, weil er Differenzen mit der Führung hat. Er zählt sich zu dem sogenannten Reformflügel der Organisation.

"Ich bin der Meinung, alle Parteien hätten die Wahlen boykottieren sollen", sagte er bei einem Gespräch in Kairo im Vorfeld der Wahlen. Mahmud, der bereits dreimal im Gefängnis saß, zuletzt 2007, tritt auch für eine Trennung zwischen Politik und Religion ein. "Die Konservativen haben die Mehrheit in der Führung", analysiert der eloquente junge Mann. "Der kontinuierliche Druck auf die Muslimbrüder, die jahrzehntelange Atmosphäre der Angst haben zur Herausbildung einer geschlossenen Gruppe geführt, die sich nicht öffnen kann."

Die derzeitigen Demonstrationen finden nicht unter Führung der Muslimbrüder statt. Die Partei rief ihre Anhänger erst nach drei Tagen auf, sich an den Protesten zu beteiligen, wiewohl einige ihrer Mitglieder dennoch auf die Straßen gingen. Es soll eine interne Anweisung geben, nach der die Muslimbrüder auf den Demonstrationen keine religiösen Parolen rufen sollen, um den "nationalen Konsens" gegen Mubarak aufrechtzuerhalten.

Nationale Vereinigung für den Wechsel

Zu denjenigen, die zum Wahlboykott aufgerufen haben, gehören al-Baradei und seine Nationale Vereinigung für den Wechsel (NAC). Das Bündnis ist ein lockerer Zusammenschluss von Intellektuellen, Veteranen und unterschiedlicher Gruppen wie der Ghad-Partei von Aiman Nur oder der Bewegung Kifaja ("Es reicht!"), die im Vorfeld der Wahlen von 2005 zu Demonstrationen aufgerufen hatte, sowie Mitgliedern der Muslimbrüder. Dem "Tag des Zorns", zu dem NAC vor den Wahlen im Herbst aufgerufen hatte, folgten allerdings nur rund 200 Personen, die üblichen Verdächtigen sozusagen.

Bei einer lebhaften Diskussionsrunde in den Räumen des unabhängigen Merit-Verlages zeigt sich indes, dass die Frage eines Zusammengehens mit den Muslimbrüdern umstritten ist. "Wir können die politische Kraft der Muslimbrüder nicht ignorieren", sagt Georges Izhak, einer der Gründer der Kifaja-Bewegung, der ein Zusammengehen der verschiedenen Oppositionsströmungen begrüßen würde.

Der Filmemacher Magdi Ahmad Ali hält dagegen: "Die Muslimbrüder verfolgen eine Agenda des internationalen Islam, sie haben eine rückständige Struktur und wollen zurück zum religiösen Staat." Er setzt noch eins drauf und fügt hinzu: "Mit Faschisten kann man nicht zusammenarbeiten." Verleger Mohammed Hashim sekundiert: "Alles, was die religiöse Bewegung, den Iran und den Teufel schwächt, ist gut."

Al-Baradei hat mittlerweile angekündigt, eine Übergangsregierung der nationalen Einheit bilden zu wollen. Neben den Muslimbrüdern sollen ihr zwei Richter, ein Militär und verschiedene Oppositionspolitiker angehören. Aber auch darüber gibt es in den Reihen der Opposition keine Einigkeit. Die Wafd-Partei und zwei weitere Oppositionsgruppen erklärten, al-Baradei spreche nicht in ihrem Namen.

Jugendbewegung 6. April

Eine Gruppe, die bei den jüngsten Protesten an vorderster Front steht, ist die Jugendbewegung 6. April. Sie war es, die für den 25. Januar zum "Tag des Zorns" gegen die Regierung aufgerufen hatte. Die Gründung der Gruppe, die sich über Facebook organisiert, geht auf das Jahr 2008 zurück, als sie zur Unterstützung eines Textilarbeiterstreiks in Mahallah al-Kubra aufrief.

Anfang vergangenen Jahres hatte die Gruppe im Internet 70.000 Mitglieder; die meisten von ihnen waren vorher nicht politisch aktiv und zeigen eine höhere Bereitschaft als andere, zu Protesten aufzurufen und etwas zu riskieren.

Die Jugendbewegung setzt sich für Meinungsfreiheit ein, kritisiert Korruption und die schlechten Lebensbedingungen. Sie war es auch, die Demonstrationen für die Freilassung von Journalisten organisierte und Proteste gegen den Gazakrieg 2008/2009. Ihr Gründer, Ahmad Maher, und andere Mitglieder der Bewegung wurden wiederholt festgenommen. Als al-Baradei im Februar 2010 nach Ägypten kam, organisierten sie eine große Willkommensparty. Sie feierten ihn als eine Alternative zu Mubarak.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.