Kolumne Das Schlagloch: Bio ist auch keine Lösung

Auch "Bio" ist dem Effizienzgedanken unterworfen. Und bei der Geflügelhaltung sieht es generell ganz besonders düster aus. Tiergerechtigkeit? Fehlanzeige.

Alles bio oder was? Zahmes Huhn in einem Garten. Bild: kusabi – Lizenz: CC-BY-SA

Neulich schrieb ich anlässlich des Dioxinskandals einen Kommentar über Bioeier. Ich wies darauf hin, dass es sich der Biokunde zu einfach macht, wenn er glaubt, dank eines Biosiegels automatisch ein ethisch vertretbares Nahrungsmittel zu erwerben. Auf meinen kurzen Kommentar hin bekam ich einige heftige Leserbriefe, von denen mir die meisten vorwarfen, ich würde Bioeier sozusagen nestbeschmutzen. Hier nun meine ausführliche Antwort.

Vorab sei die Bemerkung erlaubt, dass der Grundsatz "Artgerechtigkeit", den wir mit "bio" assoziieren, in Bezug auf Legehennen streng genommen ohnehin keinen Sinn ergibt. Artgerecht ist es, wenn ein Vogel eine bestimmte Anzahl von Eiern legt, sich darauf setzt und brütet. Doch genau das vereiteln wir ja, damit wir Eier als Nahrung nutzen können. Den Legehennen, die heute an die 300 Eier pro Jahr legen, wurde der Bruttrieb weitestgehend weggezüchtet. Die Arterhaltung liegt daher komplett in Menschenhand.

Es gibt kein Biohuhn

Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Legehennenzucht immer stärker dem Imperativ der Effizienz gebeugt, und so ist Geflügelhaltung heute derjenige Zweig der Biolandwirtschaft, in dem Tiergerechtigkeit am schwierigsten umzusetzen ist. Fast alle heute auf dem Markt verfügbaren Hühner sind Hochleistungshybriden.

Rentable Biozüchtungen gibt es fast nicht. Die Zuchtunternehmen, die die Elterntiere liefern, sind große, quasimonopolistische Firmen. (Der Weltmarktführer Lohmann Tierzucht zum Beispiel empfiehlt auf seiner Website "Lohmann Tradition" und "Lohmann Brown-Classic" als "für die alternative Haltungsform gut geeignet".)

Nach einer Legeperiode von zwölf bis vierzehn Monaten sind die Tiere oft völlig ausgemergelt, ihre Legeorgane bis hin zur chronischen Entzündung überlastet. Wenn die Produktivität unter einen bestimmten Prozentsatz fällt, werden sie eingefangen, abtransportiert und geschlachtet. Weil diese Hühner so stark auf Legeleistung statt auf Muskelwachstum gezüchtet wurden, sind die Hähne nicht als Masttiere verwertbar, werden bereits in den Brütereien nach dem Schlupf aussortiert, in einer Art Häckselmaschine zerstückelt oder mit Kohlendioxid erstickt.

Die weiblichen Tiere kommen im Alter von vier, fünf Monaten in die Legefarm. Nun ist Biofreilandhaltung zwar dafür bekannt, den Tieren mehr Platz zur Verfügung zu stellen, aber die Quadratmeterzahl allein ist keine Garantie für wirklichen Freilauf. Es kommt auf die Gestaltung des Stalls und des Auslaufs an, ob die 3.000 Tiere, die pro Stall zulässig sind, die Außenflächen auch tatsächlich nutzen.

Warum einem auch in vielen Biolegefarmen blasse, zerrupfte und verletzte Tiere begegnen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich habe mit Tierärzten gesprochen, die sagen, dass Hühner ab etwa 30, 50 oder 100 Tieren keine stabile Rangordnung mehr aufbauen können. Die schwächeren Tiere seien daher also ständig vor den aggressiveren auf der Flucht.

Leben in der Masse

Der Agrarwissenschaftler Bernhard Hörning (FH Eberswalde) hingegen meint, gerade weil Hühner keine großen Gruppen mit stabilen Hierarchien ausbilden können, blieben die entsprechenden Rangkämpfe aus. Verhaltensstörungen wie das Federpicken hätten andere Ursachen, zum Beispiel plötzliche Schwankungen in Fütterung und Stallklima sowie einen Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten. Ein besonderes Problem des Biobereichs sei auch, dass es nicht genügend nicht genmanipuliertes Soja gibt und im Ökolandbau künstliche Aminosäuren verboten sind, weswegen die ausreichende Eiweißversorgung der Hochleistungshybriden schwer zu gewährleisten ist.

Abgesehen davon gibt es natürlich auch im Biobereich Betriebe, die Auflagen zu umgehen versuchen. Offizielle Kontrollen finden nur einmal im Jahr (nach Anmeldung!) sowie gelegentlich stichprobenartig statt. Tierschützer und Landwirte, die privat (andere) Bio-Legebetriebe besuchen, erleben immer mal wieder, dass Freilaufflächen ungenutzt und die Tiere drinnen sind.

"Und zwar gibt es für jeden der sieben Wochentage einen Grund, warum sie nicht rausgelassen werden: Entweder ist es zu heiß oder zu kalt, zu nass oder zu trocken, zu grell oder zu dunkel. Und am siebten Tag gibt es Vitamine", erzählt Eckard Wendt von der Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e. V.

Wie viel Ei brauche ich?

Zur Sicherheit möchte ich nochmals beteuern: Es leugnet niemand, dass "bio" eine deutliche Verbesserung bei der Tierhaltung bietet, und unbestritten gibt es in diesem Sektor viele Idealisten, die versuchen, neue Wege zu gehen. Zum Beispiel lassen manche Biobetriebe die Tiere nicht gleich nach einem Jahr schlachten, sondern warten die Mauser ab, bis eine zweite Legeperiode beginnt. Der Verband Demeter versucht, mittelfristig die Zucht alternativer Hühnerrassen aufzubauen, und wiederum Demeter und die Erzeugergemeinschaft "Die Biohennen" setzen sich höhere Standards für Auslauf und Haltung.

Doch über solche Details ihrer jeweiligen Anbieter müssen sich Biokunden selbst informieren. Der rasche Blick aufs Biosiegel allein genügt nicht, und die zentralen Fragen bleiben: Ab wann ist eine Verbesserung gut genug, und wie lassen sich weitere Verbesserungen vorantreiben? Auch Bioproduktion ist schließlich ein Wirtschaftszweig und muss wirtschaftlichen Erwägungen gehorchen.

Die vom Handel gezahlten Eierpreise decken bereits jetzt oft nicht die Kosten. Wenn die Landwirte zu alten, robusteren Hühnerrassen zurückkehren würden (rein hypothetisch), die nur halb so viele Eier legen wie die Legehybriden, würde jedes Ei doppelt so teuer. Noch teurer, wenn die Tiere in kleineren Gruppen gehalten würden. Ist der Biokunde dazu bereit?

Wenn ja, dann muss er dies den Anbietern von Bioeiern signalisieren und mehr Tiergerechtigkeit von ihnen fordern, denn auch bei "bio" sind es kritische Kunden, die die ethischen Standards vorantreiben. Oder man isst einfach keine Eier mehr. Ich habe mich für Letzteres entschieden und fühle mich äußerst wohl damit.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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