"Tag des Zorns" in Ägypten: "Diebe, Diebe" rufen die Menschen

In mehreren Städten wurde gegen die 30-jährige Herrschaft von Präsident Mubarak demonstriert. Vorbild ist Tunesien. In Kairo mündete der friedliche Protest in Gewalt.

Tränengas auf den Straßen Kairos nach einer Demo am "Tag des Zorns". Bild: dpa

KAIRO taz | In Ägyptens Hauptstadt ist es am Dienstag bei einer gegen das Mubarak-Regime gerichteten Demo zu Ausschreitungen gekommen. Dabei setzte die Polizei Tränengas und einen Wasserwerfer ein, um die Menschen auseinander zu treiben. Einige Demonstranten warfen Steine, griffen einen Wasserwerfer an und forderten den Fahrer zum Verlassen des Lkw auf. Als die Menschen eine Absperrung durchbrechen wollten, setzte die Polizei Schlagstöcke ein. Es war die größte Demonstration in Ägypten seit Jahren.

"Tunesien, Tunesien, lasst es uns machen wie Tunesien", hatte die kleine Gruppe von Demonstranten gerufen, die sich auf dem Tahrir, dem Platz der Befreiung im Zentrum Kairos, zur Mittagszeit versammelte. Es waren die 200 üblichen Verdächtigen aus der Kifaya-Bewegung ( "Es reicht!"), in Anspielung auf die drei Jahrzehnte dauernde Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak: ein paar Schüler und Studenten, ein paar Intellektuelle.

Und dann geschah etwas völlig Neues. Der Demonstrationszug setzte sich in Bewegung und die angerückte Bereitschaftspolizei sah untätig zu. Als der Zug die Nilbrücke erreichte, waren es bereits doppelt so viele Menschen. "Nieder mit Mubarak", riefen sie. Zwar sperrte die Polizei mit einer Kette die Nilbrücke ab, aber der Zug bog Richtung Niluferstraße ab.

"Das verspricht, ein interessanter Tag zu werden", meint Mustafa Hussein, einer der Demonstranten, der als Psychologe im Nadim-Zentrum arbeitet, das Folteropfer betreut. "Die Polizei hat offensichtlich die Anweisung, nicht einzuschreiten", glaubt er.

Dann steht der Zug vor dem Gebäude der Regierungspartei. Auf dem Dach stehen einige Mitarbeiter und blicken hinunter, nehmen die Szene mit ihren Handykameras auf. "Diebe, Diebe", schreien die Demonstranten. Ein Polizist auf der Straße zückt ebenfalls sein Handy, um die denkwürdige Szene aufzunehmen. "Das habe ich noch nie erlebt", grinst er.

"Kommt mit, streift eure Angst ab", rufen die Demonstranten den Passanten zu. Viele schließen sich spontan an. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Länge des Zuges bereits verzehnfacht. "Ich bin 20 Jahre alt, ich habe nichts anderes als Mubarak erlebt. Ich bin heute das erste Mal auf eine Demonstration gekommen, einfach um zu zeigen, dass es genug ist", erklärt Islam Hassan, der gerade begonnen hat, als Übersetzer zu arbeiten. "Ich habe Glück gehabt, viele meiner Freunde, die mit mir Deutsch studiert haben, haben keine Arbeit bekommen", erzählt er.

In Ägypten herrschen ähnliche Verhältnisse wie in Tunesien, mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, Armut, grassierender Korruption und einer Machtelite, die seit Jahrzehnten das politische Leben monopolisiert hat. Bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst war es zu massiven Wahlfälschungen zugunsten der Regierungspartei gekommen.

In Kairo finden gleichzeitig mindestens fünf weiter Demonstrationen statt. Mehrere tausend meist junge Leute haben sich in Schubra versammelt, einem Viertel im Zentrum Kairos, in dem viele Kopten leben. Dort spielten sie Katz und Maus mit der Polizei. Die hatte gerade mühevoll die Hauptstraße mit einer Polizeikette abgeriegelt, als die Jugendlichen in mehrere Seitengassen abbogen, um dann ein paar Straßen hinter der Polizeikette auf der Hauptstraße aufzutauchen. Vereinzelt kam es dort zu Prügeleien.

Gleichzeitig wurde in Alexandria demonstriert, aber auch die Arbeiter der staatlichen Textilfabriken in der Nildeltastadt Mahalla Kubra versammelten sich. Aus der Nildeltastadt Masnoura kommen Berichte, dass Demonstranten große Mubarak-Poster abgerissen hätten. Auch in Ismailia am Suezkanal begannen sich am Nachtmittag tausende Menschen zu versammeln. Selbst im Nordsinai fingen Beduinen an, in Richtung des Flughafen in al-Arish zu ziehen.

Für den "Tag des Zorns" in Ägypten steht die tunesische Revolte Pate. "Nachdem die tunesische Revolution dazu geführt hat, dass die Menschen ihre Hoffnung zurückbekommen haben, ihren eigenen Willen und ihre Rechte durchzusetzen, werden die Ägypter an diesem Tag ihre Meinung gegen die herrschende Macht zum Ausdruck bringen, die seit 30 Jahren eine Politik anführt, die nur der herrschenden Elite dient", heißt es in einem Aufruf. Fast 80.000 Menschen hatten in den letzten Tagen via Facebook versprochen, sich den Protesten anzuschließen. "Das ist der Anfang vom Ende des Regimes", schrieben die Initiatoren des Protests auf Facebook.

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