Filmfestival Saarbrücken: Tom Kummer und die Kakerlake

Beim diesjährigen Festival Max Ophüls Preis hinterließen nur wenige Filme bleibenden Eindruck. Darunter ein Dokumentarfilm über den Collagekünstler Kummer.

Der Regisseur Johannes Naber ist für seinen Film «Der Albaner» mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichnet worden. Bild: dpa

Sollten irgendwann einmal in ferner Zukunft Aliens in Saarbrücken landen und per Zufall auf die Filme des diesjährigen Max Ophüls Preises stoßen, sie wären wohl zutiefst erschüttert. Was, würden diese Aliens denken, waren das bloß für fürchterliche gesellschaftliche Zustände, denen die Menschen in diesem Land ausgeliefert waren? Denn in auffällig vielen Wettbewerbsfilmen des Jahrgangs 2011 ging es um Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Krankheit oder Wahn.

In gewissem Sinne spiegelt diese Themenwahl eine generelle Tendenz jüngerer deutschsprachiger Filmemacher wider, sich immer weniger mit Problemen der bürgerlichen Mitte zu befassen und sich stattdessen auf die Ränder und Abgründe der Gesellschaft zuzubewegen. Über die Gründe darf man rätseln, und grundsätzlich ist daran ja auch gar nichts auszusetzen, doch offenbarte sich im Verlauf des Festivals, dass viele Filme ihren Themen - vor allem was Erzählstil und Dramaturgie anbetrifft - nicht immer voll und ganz gewachsen waren.

Etwa der Schweizer Spielfilm "180 Grad" von Cihan Inan, der in mehreren Parallelplots von Angehörigen unterschiedlicher Generationen und Kulturkreise erzählt, die jeder für sich schwere Traumata zu verarbeiten haben. Leider verzettelt sich der Film bei dem Versuch, all seinen Protagonisten in ihrem Umgang mit dem erfahrenen Leid zu folgen. Was bleibt, ist eine von elegischer Musik untermalte erzählerische Leere.

Weitaus gelungener war da schon Barbara Eders mit dem Spezialpreis der Jury prämiertes englischsprachiges Werk "Inside America" über eine Gruppe von überwiegend illegalen mexikanischen Einwanderern im texanischen Brownsville. Ursprünglich hatte Eder einen Dokumentarfilm drehen wollen, doch letztendlich ließ sie ihre Laiendarsteller zu Schauspielern ihrer eigenen Biografien werden. Nach und nach - und darin erinnert Eders Film ein wenig an Gus Van Sants "Elephant" - schälen sich aus einem anfangs noch recht wüsten Durcheinander an High-School-Charakteren diverse ineinanderverschränkte Plots heraus, ohne dass das Ganze jedoch wie bei Van Sant auf die große finale Katastrophe hinauslaufen würde, obwohl der Film permanent mit dieser Möglichkeit spielt.

Durchwachsen war in diesem Jahr die Qualität der Dokumentarfilme. Was zum einen damit zusammenhing, dass sich erstaunlich wenige Filmemacher tatsächlich die Mühe machten, über Beobachtungen und nicht fast ausschließlich über Worte zu erzählen. Zum anderen versperrten sich viele Regisseure den Blick auf ihre Protagonisten, indem sie wichtige Fragen einfach ausblendeten. So geschehen in "Gangsterläufer" von Christian Stahl, einem Film über einen Intensivgewalttäter aus Berlin-Neukölln. Derart beharrlich wich Stahl der doch eigentlich zentralen Fragestellung aus, wie ein solcher Mensch zu seiner eigenen Gewalttätigkeit steht, dass sich schon ein wenig der Eindruck von filmemacherischem Helsinki-Syndrom einstellte: Als habe er sich unbewusst mit seinem soziopathischen Protagonisten solidarisiert.

Weitaus konfrontativer war da schon "Bad Boy Kummer" von Miklós Gimes. Der Eröffnungsfilm des Festivals handelt vom Paddle-Tennislehrer Tom Kummer, der es in den neunziger Jahren mit intimen Interviews aus Hollywood, die vor allem in den Magazinen des Zürcher Tages-Anzeigers und der Süddeutschen Zeitung publiziert wurden, zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hat. Noch berühmter wurde Kummer, als herauskam, dass er den überwiegenden Teil seiner Interviews mit Stars wie Sharon Stone, Sean Penn oder Quentin Tarantino erfunden hatte.

Sosehr man sich auch dagegen sperrt, den leicht prollig herüberkommenden Kummer zu mögen, so wenig kommt man umhin, ihm mit der Zeit nicht doch einen gewissen Respekt dafür entgegenzubringen, wie viel Selbstironie und Akribie er in die Entwicklung seiner Interviews gesteckt hat. Wer sonst käme schon auf die Idee, Mike Tyson nicht nur unterzujubeln, sich im Gefängnis von Kakerlaken ernährt zu haben, sondern auch ein großer Anhänger von Tolstoi, Dostojewski und Dickens zu sein? Und wer glaubt eigentlich, dass niemand gewusst oder zumindest geahnt hat, was der Collagierkünstler Kummer da veranstaltet hat?

Zumindest Erwähnung finden sollte der skurrile Kurzfilm "Dot" der Amerikanerin Bennett Elliott, der an das Frühwerk von Wes Anderson erinnert. Das gilt auch für die die tolle schauspielerische Leistung der 16-jährigen Mathilde Bundschuh in Pia Strietmanns "Tage, die bleiben". Darin spielt Bundschuh ein Mädchen, das seine Mutter verloren hat und nicht so recht weiß, wie es damit umzugehen hat. Wie Bundschuh zwischen sperriger Teenager-Schroffheit und fragiler Verlorenheit changiert, das ist wirklich sehenswert.

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