Hausprojekt vor Räumung: Warten auf Tag X

Zwei Wochen hat die Liebig 14 noch, dann soll geräumt werden. Nach außen gibt man sich kämpferisch. Trotzdem packen die Bewohner schon mal ihre Sachen.

Könnten sich am 2. Februar wieder gegenüberstehen: Linker und Polizei. Bild: reuters

Immer wieder geht der Blick vom Tisch zur Fensterscheibe, nach draußen ins Dunkel der Liebigstraße. Dann, wenn im Zehn-Minuten-Takt wieder ein Mannschaftswagen der Polizei vorbeischleicht. Ein "Scheißgefühl" sei das, sagt Fiona, 21 Jahre, schwarzer Kapuzenpullover, blonde, teils grün-gefärbte Dreadlocks. Weil es jedes Mal daran erinnere, was demnächst anstehe.

In einer Bäckerei, gleich neben der Liebig 14, sitzen am Montagabend Fiona, Gerrit, Fabian, Sarah und Eric um einen kleinen Tisch. Es sind junge, freundliche Gesichter, keiner ist älter als 25 Jahre. Sie tragen dunkle Pullover, mummeln sich in Schals. Die Fünf sprechen unaufgeregt, nur selten wird gescherzt, gelacht. Es gibt wenig Grund dazu.

Denn seit dem 10. Januar ist es offiziell: Die Liebig 14, eines der letzten großen Hausprojekte im Friedrichshain, soll geräumt werden. Am 2. Februar um 8 Uhr morgens. So steht es im Räumungsbescheid. Jahrelang haben Fiona, Gerrit, Fabian, Sarah und Eric dagegen gekämpft. Und nun verloren.

Die Liebigstraße 14 wurde Anfang 1990 besetzt. 1992 wurde legalisiert, das Haus erhielt Mietverträge von der Wohnungsbaugenossenschaft Friedrichshain. +++ 1999 übernahmen der Ingenieur Suitbert Beulker und der Familientherapeut Edwin Thöne das Haus. Diese kündigten 2007 den Bewohnern wegen einer unrechtmäßig eingebauten Zwischentür im Treppenhaus, zu denen sie keinen Schlüssel hatten. Die Gerichte erklärten dies für rechtmäßig, den letzten Prozess verloren die Bewohner im November 2009. +++ 2010 scheiterten auch runde Tische mit Bezirksvertretern. Weder fand sich ein Ersatzquartier, noch klappte ein Kauf des Hauses durch eine Stiftung. Die Eigentümer lehnten alle Gespräche ab. (ko)

In ihr Haus lassen die Liebig-Leute keine Fremden mehr, auch keine Journalisten. Nicht jetzt, in den letzten Tagen. Man wolle sich einen Rückzugsort bewahren, sagt Fiona. Bei all dem Trubel wenigstens dort geschützt unter sich sein. Noch.

Die Eltern mit kleinen Kindern zogen bereits nach den letzten verlorenen Gerichtsprozessen im November 2009 aus. Jetzt packen auch die anderen ihre Sachen zusammen, schaffen das Wichtigste aus dem Haus. Ausziehen wollen sie nicht. 25 Bewohner sind noch da, zwischen 18 und 40 Jahren, darunter auch Engländer, Spanier, Italiener. Bis zu acht Jahre leben sie im Haus. Als der Räumungsbescheid im Briefkasten lag, sei die Stimmung im Haus "sehr emotional" gewesen, erzählt Sarah. Man versuche trotzdem einen Alltag zu wahren. Wer studieren oder arbeiten geht, tue dies weiter. Nur ein Plenum gebe jetzt täglich statt einmal die Woche.

Geht es um den 2. Februar werden die Fünf einsilbig. Man werde sehen, was passiert. "Für uns ist das ja auch relativ offen", sagt Sarah. Alle 25 Bewohner seien gewillt bis zum Ende zu bleiben. "Wir werden das Haus nicht widerstandslos übergeben."

Es klingt mehr nach Durchhalteparole als nach Kampfansage. Aber Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) prognostiziert "erhebliche Auseinandersetzungen". Die Polizei hält sich in Punkto ihrer Planung allerdings auffallend bedeckt. An der letzten großen Hausräumung waren 600 Polizisten beteiligt, Ende 2009 in der Brunnenstraße 183 in Mitte. Diesmal dürften es noch mehr Beamte werden, auch Spezialeinsatzkommandos sollen zum Einsatz kommen. Weil die Liebig 14 viel fester in der Szene verwurzelt ist. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) droht bereits, den "Linksterroristen" nicht nachgeben zu wollen.

Doch die Fünf in der Bäckerei haben wenig Terroristisches. Ruhig werben sie um Verständnis, sprechen von "dem Versuch, anders zu leben" und "einem Zuhause, das man uns nimmt". Geredet wird auf Englisch, damit die britische Mitbewohnerin Sarah nicht außen vorbleibt. Monatelang hatten sie sich mit dem Bezirk an einen Tisch gesetzt, nach Alternativhäusern gesucht. Erfolglos. Auch weil die Eigentümer alle Gespräche verweigerten. "Offenbar haben die mit uns nicht genug verdient", sagt Fabian. "Denen geht's nur um Profit."

Noch bleibt der große Protest gegen die Räumung aus. Eine Demonstration soll am 29. Januar durch Friedrichshain ziehen, auch am Räumungstag soll demonstriert werden. Unbekannte warfen einen Brandsatz aufs Bezirksrathaus im Bezirk, drohten Bürgermeister Schulz mit Gewalt. Die Mittel des Protests seien jedem selbst überlassen, sagt Eric dazu nur. Widerstand aber sei legitim.

Im Internet kursieren verschiedene Modelle, wie der Räumung begegnet werden soll. Noch gibt es keinen öffentlichen Aufruf, sich direkt im oder vorm Haus zu versammeln. Stattdessen wird diskutiert, im Umfeld "dezentral in Kleingruppen zu agieren". Ziel sei es, zumindest die "Kosten der Räumung möglichst hoch zu treiben". Es wird davon ausgegangen, dass die Polizei die Liebigstraße großräumig absperren wird. In direkter Nachbarschaft befinden sich die alternativen Hausprojekte "Liebig 34" und "Rigaer 94".

Das Haus selbst organisiert bisher nur ein Festival: Seit Montag gibt es allabendliche Konzerte, Partys und Voküs. Die Unterstützung für die Liebig sei "enorm", heißt es einstimmig in der Fünfer-Runde. Selbst in London habe es Protest vor der deutschen Botschaft gegeben. Auch im Kiez wird das Zusammenstehen sichtbar. "Solidarität mit L14" hängt ein Transparent am Nachbarhaus. "We don't want other neighbors", heißt's auf einem anderen Banner gegenüber.

Dass sich jetzt viele solidarisierten, sei ja auch ein Zeichen, sagt Fiona. Die Liebig-Räumung sei eben nur Teil eines Prozesses der Kommerzialisierung und Aufwertung der Innenstädte. Wer die steigenden Mieten nicht bezahlen könne, werde an den Stadtrand verdrängt. Die Politik schaue da nur zu. "Denen fehlen auch die Antworten", sagt Fabian. "Nicht nur zu unserem Projekt."

Sollte die Polizei die Räumung durchziehen, werden die Liebig-Bewohner nicht obdachlos auf der Straße stehen. Nachbarn und andere Hausprojekte haben Schlafplätze angeboten. Man wolle als Kollektiv weitermachen, sich möglichst in einem neuen Domizil wieder zusammenfinden, sagt Fabian. "Auch wenn die Liebig verschwindet, wird die Idee alternativen Zusammenlebens fortbestehen."

Es ist kalt geworden, als Fiona, Gerrit, Fabian, Sarah und Eric die Bäckerei verlassen. Verkäufer Mehmet Kaplankiran blickt ihnen hinterher. Schade sei das mit der Räumung, sagt er. "Da geht hier wieder ein Stückchen Kultur und Vielfalt verloren." Und langweiliger werde es auch.

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