Hamburger Nahverkehr in der Nazi-Zeit: "SA-Leute nahmen ihren Dienst lässig"

Die bundesweit erste Studie zum Nahverkehr während des "Dritten Reichs" von Christoph Strupp zeigt, dass die Hochbahn zügig nazifiziert wurde und große Pläne hatte. Umgesetzt wurde davon allerdings aus Geldmangel nichts.

Nazi-freundliche Symbolpolitik: Hamburger Hochbahn-Brücke 1934. Bild: Hochbahn-Archiv

taz: Herr Strupp, war der Nahverkehr für Hamburgs Nazis ein Machtinstrument?

Christoph Strupp: Er war vielleicht kein Machtinstrument im engeren Sinne, aber er gehört zur städtischen Infrastruktur, die man braucht, um eine Gesellschaft funktionieren zu lassen. Funktioniert sie nicht, fällt es auf das Regime zurück. Deshalb war man daran interessiert, dass die Hochbahn funktionierte, und das ab 1933 unter den spezifischen Bedingungen des NS-Herrschaftssystems.

Das heißt?

Zunächst hat man das Unternehmen von oben her nazifiziert: erst im Aufsichtsrat, dann auch auf den unteren Ebenen. Insgesamt wurden 260 der 9.000 Mitarbeiter ausgetauscht - vor allem Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten.

Das sind ja nur vier Prozent …

Bestimmte Positionen erforderten Fachkenntnisse. Und die Qualität der Dienstleistung wäre zurückgegangen, wenn man zum Beispiel keine gut ausgebildeten Fahrer gehabt hätte. Das wollten die Nazis nicht. Aber exponierte Leute - Betriebsräte etwa - wurden 1933 sofort entlassen und durch Nazis ersetzt. Damit hat man sich aber auch Probleme eingehandelt, weil die neuen Leute ihren Dienst teils sehr lässig nahmen, nicht erschienen oder sich wegen SA-Terminen entschuldigten.

44, Historiker, ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Zu seine Forschungsschwerpunkten zählen deutsche und niederländische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Und die Hochbahn-Führung war einverstanden?

Nein. Der Vorstandsvorsitzende Friedrich Stanik, hat, obwohl selbst Nazi, gegenüber der SA deutlich Position bezogen und gesagt: Wenn wir schon diese soziale Wohltat begehen, diese Leute einzustellen, erwarten wir auch, dass sie regulär arbeiten.

Wer war Stanik?

Er war im April 1933 von den Nazis gegen Wilhelm Stein ausgetauscht worden. Er hatte allerdings keinerlei Erfahrung im Verkehrsgewerbe.

Wie hat er den Posten erledigt?

Den wenigen Akten nach zu urteilen hat er durchaus im Interesse des Unternehmens gehandelt. Er hat die Hochbahn keineswegs bedingungslos den Wünschen der NS-Führung ausgeliefert, sondern bei Forderungen, die an das Unternehmen herangetragen wurden, immer versucht, die finanziellen Interessen der Hochbahn zu wahren.

Aber er hat deren Ideologisierung betrieben.

Ja. In dieser Hinsicht betrieb er eine dezidiert nationalsozialistische Politik, die indirekt durchaus mit Kosten verbunden war. Denn bei Aufmärschen, Umzügen und Festveranstaltungen der Nazis war die Hochbahn teilweise mit Hunderten Mitarbeitern vertreten. Dafür fiel natürlich Arbeitszeit aus. Diese Kosten finden sich in keiner Kalkulation. Generell würde ich aber schon sagen, dass Stanik stärker wirtschaftlichen Motiven folgte, als es die NSDAP-Mitglieder im Frühjahr 1933 erwarteten. Sie glaubten, dass jetzt alle billiger, vielleicht umsonst fahren könnten. Einer solchen Haltung hat sich Stanik stets widersetzt.

Hat er sich so Freunde gemacht?

Nein, denn man hoffte, dass die Hochbahn massiv die Fahrpreise senken würde, um den Menschen in der Weltwirtschaftskrise leichteren Zugang zum Nahverkehr zu gewähren. Tatsächlich ist im Mai 1933 ein Arbeitslosen-Tarif und im Herbst 1934 eine Arbeiter-Wochenkarte eingeführt worden. Weitere Preissenkungen gab es aber nicht. Die Einnahmeausfälle fielen übrigens teilweise wieder auf die Stadt zurück, weil es für Privataktionäre eine Dividendengarantie gab. Trotzdem gab es die ganzen 1930er Jahre hindurch Druck von Reichsstatthalter Karl Kaufmann, die Fahrpreise zu senken.

War das die offizielle Linie?

Nein. Das Reichsverkehrs- und das Reichsinnenministerium hatten schon früh gesagt, dass Sozialtarife nur eingeführt werden sollten, wenn sie gegenfinanziert und für breitere Bevölkerungsschichten offen wären. Das Reichsministerium wollte keine Sondertarife für bestimmte Gruppen.

Warum konnte Kaufmann so ausscheren?

Weil er als Reichsstatthalter und Gauleiter de facto Regierungschef im Stadtstaat Hamburg war und eine riesige Machtfülle hatte. Diese Position nutzte Kaufmann, um sich als sozial engagiert zu profilieren.

Wie dachte man in Berlin darüber?

Auf Reichsebene hatte er keine schlechte Stellung: Die Idee, die Hamburger Bevölkerung durch soziale Wohltaten für das Regime zu gewinnen, kam gut an.

Gab es auch Pläne zum Ausbau des Schienen-Netzes?

Ja. Man hatte ab 1933 eine Erweiterung der U-Bahn einerseits in Richtung Hagenbecks Tierpark und andererseits eine Verbindung zwischen Jungfernstieg, Hauptbahnhof und den Arbeitersiedlungen in Hamburg-Horn im Sinn. Über Grobplanungen ist man aber nie hinausgekommen, weil das Geld fehlte.

Und das, obwohl Hamburg "Führerstadt" werden sollte.

Ja. Auch in diesem Zusammenhang gab es in den späten 30er und frühen 40er Jahren groß angelegte Ausbaupläne. Man wollte ja am Elbufer zwischen Altona und St. Pauli große Bauprojekte verwirklichen - und da war auch an neue U-Bahn-Linien entlang der Elbe gedacht. Man wollte den Hafen untertunneln, um so Harburg und Wilhelmsburg im Süden anzubinden. Wegen des Krieges ist dann nichts davon umgesetzt worden.

Wie antisemitisch war die Hochbahn unter Stanik?

Unter den 1933 Entlassenen waren auch Juden. Und was die Fahrgäste betrifft, durften Juden ja erst ab 1941 mit Einführung des "Judensterns" keine Nahverkehrsmittel mehr nutzen. Es ist aber bekannt, dass schon in den 30er Jahren Juden in Bussen und Bahnen angepöbelt wurden, ohne dass das Personal einschritt.

Durften jüdische Unternehmen in der Hochbahn werben?

Bis Mitte der 30er Jahre unangefochten. Um 1935 hat der Aufsichtsrat dann diskutiert, ob man Anzeigen jüdischer Unternehmen noch annehmen könne. Er entschied sich dafür - aus finanziellen Gründen.

Wie lange blieb das so?

Bis 1937. Da gab es Proteste aus Parteikreisen, und die Hochbahn ging dazu über, jüdische Aufträge nicht mehr anzunehmen beziehungsweise bestehende zu kündigen.

Hat die Hochbahn eigentlich Zwangsarbeiter beschäftigt?

In geringem Umfang. Es waren einige hundert Menschen, die in Werkstätten und bei der Wagenreinigung arbeiteten. Das Wenige, das sich rekonstruieren lässt, zeigt, dass die Arbeitsbedingungen sehr schlecht waren. Das ist intern diskutiert worden, aber größere Initiativen zur Verbesserung hat man nicht ergriffen.

Hat die Hochbahn entschädigt?

Sie hat sich 2000 am Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft für ehemalige Zwangsarbeiter beteiligt.

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