Zu wenig Thujon: Absinth-Rausch ist nur ein Mythos

Absinth, "die grüne Fee", war einst ein Kultgetränk der Bohème. Bis heute hält sich der Mythos, dass Absinth eine halluzinogene und aphrodisierende Wirkung hat.

Mit Feuer und Flamme: So macht Absinth-Trinken Spaß. Am Thujon zumindest liegt's nicht. Bild: Chobe / photocase.com

Der Forschungsalltag des Karlsruher Wissenschaftlers Dirk Lachenmaier ist alles andere als dröge. Mehrere Jahre hat er in alten Weinkellern nach historischen Absinthflaschen gefahndet, nach Flaschen, die vor dem Verbot in Frankreich 1915 hergestellt wurden. 13 Flaschen hatte er schließlich zusammen, die der Wissenschaftler als authentisch einstufte. Diese verstaubten Preziosen unterzog er dann in seinem Labor im Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt diversen Analysen.

Eines seiner vielen Ergebnisse lautet: Thujon, das für die halluzinogene und gesundheitsschädliche Wirkung des Absinths verantwortlich sein soll, ist in sehr unterschiedlichen Mengen - zwischen 0,5 und 48,3 mg pro Liter Absinth vorhanden. Damit liegt der Durchschnitt bei rund 25 mg pro Liter und damit unterhalb des heute geltenden europäischen Grenzwertes von 35 mg. Der Gehalt an Thujon in den alten Tropfen ist also nicht ausreichend für den immer wieder beschworenen besonderen Absinthrausch. "Die psychoaktive Wirkung ist ein Märchen gewesen", resümiert Lachenmaier.

"Die grüne Fee" wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in Pariser Cafés von der Oberschicht konsumiert. Absinth wurde schließlich das Kultgetränk der französischen Boheme. Maler und Schriftsteller thematisierten die Spirituose in ihren Werken. Van Gogh soll sich im Absinthrausch ein Ohr abgeschnitten haben. Später wurde Absinth in großen Mengen und in allen sozialen Klassen konsumiert. Französische Ärzte waren es auch, die den "Absinthismus" zur Krankheit erhoben.

Absinth wird unter Zugabe von verschiedenen Kräutern, vor allem Wermut (Artemisia absinthium), hergestellt. Wermutkraut hat eine medizinische Wirkung, die bereits bei den alten Ägyptern und Römern bekannt war - aus einem Arzneirezept entstand schließlich auch die Absinthherstellung. Richtig ist, dass Thujon als aktive Komponente des Wermutöls in großen Mengen neurotoxisch ist. Es blockiert die Andockstellen für Botenstoffe im zentralen Nervensystem.

Bereits 1869 machte der französische Arzt Valentin Magnan erste Experimente zur Wirkung von Absinth: Er verabreichte Hunden Alkohol plus Wermutöl, anderen mit Anisöl versetzten Alkohol. Die Effekte waren unterschiedlich: So hatten die Wermuthunde etwa epileptische Anfälle sowie Krämpfe - und der Absinth seinen schlechten Ruf unter Gesundheitswächtern weg. Magnan publizierte die Studie in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet im Jahr 1874. Ein Verbot der Volksdroge erwirkte die politische Klasse jedoch erst bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, andere europäische Staaten folgten.

Bis heute hält sich der Absinthmythos hartnäckig. Schließlich hatten noch in den 1980er und 1990er Jahren theoretische Berechnungen wissenschaftliche Erklärungen geliefert: Laut diesen kam man auf sagenhafte 260 Milligramm Thujon pro Liter Absinth. Konsumenten berichten nach wenigen Gläsern von einem leichten Schweben und verstärkter Sinneswahrnehmung. Der Gemütszustand sei ausgelassen, erregt und euphorisch. Zudem wird Absinth eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt. Hunger und ein verändertes Zeitgefühl sollen sich einstellen. Doch vermutlich ist all dies schlicht auf den hohen Alkoholgehalt, der zwischen 40 und 90 Prozent schwankt, zurückzuführen. "Die Krankheit Absinthismus gab und gibt es nicht. Dabei handelte es sich schlicht um eine besondere Art des Alkoholismus", so Lachenmaier.

Seit 1998 sind die Herstellung und der Genuss von Absinth in der EU auch wieder mit gemäßigtem Thujongehalt erlaubt. Neuere Studien besinnen sich nun wieder auf die medizinischen Potenziale des Wermutkrauts. So gibt es Hinweise, dass die Pflanze bei der Behandlung von Morbus Crohn oder Schlaganfall hilft.

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