Debatte Rechtspopulismus: Nicht immun gegen Parolen

Steht Deutschland bald eine neue Rechtspartei ins Haus? Ein Jörg Haider oder Geert Wilders hätte auch hierzulande gute Chancen. Schuld daran ist die Sarrazin-Debatte.

Gar nicht so einfach, rechtspopulistische Themen zu umgehen: Protest gegen Sarrazin in Potsdam. Bild: reuters

Ein Dialog, irgendwo in Deutschland: "Wird Sarrazin der deutsche Haider?" - "Ach nein, das hat der nicht in den Genen." Die Umstehenden lachen gequält.

Für die Rolle eines Populistenführers wäre der tapsige, vollkommen charismafreie Erfinder eines muslimischen Deppen-Gens die absolute Fehlbesetzung. Doch die Debatte über seine Thesen und vor allem die Art und Weise, wie er medial gehyped wurde, hat gezeigt, dass es auch in Deutschland ein Potenzial für eine populistische Kraft rechts von der Union gäbe.

In der Vergangenheit gelang es immer wieder mal, dieses Potenzial zu mobilisieren. Ronald Schill, der ehemalige "Richter Gnadenlos", holte bei der Hamburger Bürgerschaftswahl vor knapp zehn Jahren fast zwanzig Prozent. Die Frage ist: Welche Umstände müssen eintreten, damit sich so ein Potenzial zu einer politisch relevanten Kraft formiert und dauerhaft stabilisiert? Wieso war das in Deutschland bisher nicht der Fall? Und hat sich daran etwas geändert?

"Klartext"-Rebellen vs. "Eliten"

Eine rechtspopulistische Partei aus dem Boden zu stampfen, ist schwerer, als es scheint. Sie würde alle Irren dieser Republik anziehen, und mit denen müsste sich ein Volkstribun erst einmal herumschlagen. Viel Spaß dabei. Kein Wunder, dass Gert Wilders "Freiheitspartei" in Holland bisher nur ein Mitglied hat: Wilders selbst. Der Mann weiß bestimmt, warum.

Franz Walter wiederum hat (in der taz vom 13.12.) den Gedanken ins Spiel gebracht, die FDP könnte sich einem "Lafontaine von rechts" an die Brust werfen, ein Populismus der Fleißigen würde schließlich zur DNA dieser Partei passen. Undenkbar ist das nicht, aber auch so einer muss erst einmal vom Himmel fallen - und zwar weniger buchstäblich als seinerzeit Jürgen Möllemann.

Die wesentlichste Vorbedingung für eine neue populistische Partei ist aber die Delegitimierung der etablierten politischen Parteien: ein grassierendes Anti-Eliten-Ressentiment. Weite Milieus der Bevölkerung müssen zur Auffassung gelangen, dass "die Politik" und "die Parteien" nur mehr abgekapselt ihren Geschäften nachgehen, dass sie die "wahren Sorgen der Menschen" nicht mehr kennen und nicht die "wirklichen Probleme". Diese Auffassung muss nicht sehr bewusst sein - es reicht, wenn sie gewissermaßen atmosphärisch herumwabert. Und diese schlechte Stimmung muss medial geschürt werden.

Diese Stimmung muss sich zu einer Erwartungshaltung und zu einer sensationalistischen Stimmung verdichten in dem Sinne, dass jetzt auch in Deutschland die Stunde einer solchen Kraft geschlagen habe. Jedes Indiz für diese These muss aufgeregt in Schlagzeilen verwandelt werden, wobei fast irrelevant ist, ob dies dann "positive" oder "negative" Schlagzeilen sind.

Der Rechtspopulismus braucht nicht das Wohlwollen der Medien. Was er braucht, ist ihre überproportionale Aufmerksamkeit. Und die hat er leicht, wenn auch die seriösen Journalisten die normale Politik als langweilig empfinden. Sicherlich, der Rückenwind des Boulevards hilft ihm. Aber er lebt auch gut von der scheinbaren Skandalisierung durch seriöse Medien. Nur eines kann er nicht brauchen: dass man ihn ignoriert.

Sucht nach Aufmerksamkeit

Diese diskursive Konstellation - hier die "abgehobenen" Eliten, da die populistischen Rebellen, "die Klartext reden" - ist wesentlich für den Erfolg des Populisten. Sie ist wichtiger noch als die politischen Inhalte, für die er sich stark macht: gegen Ausländer, gegen Muslime, gegen Kriminalität - die politischen Forderungskataloge, wie man sie heute bei allen erfolgreichen populistischen Formationen findet, sie sind nicht unwichtig, aber sie sind sekundär.

Primär ist das populistische Arrangement: Hier das Volk, dem der populistische Führer seine Stimme verleiht, und da die politischen und medialen Eliten, die ihn angeblich "mundtot" machen wollen. Die amerikanischen Tea-Party-Irren etwa kommen fast ganz ohne Muslime aus.

Eine paradoxe Tatsache ist, dass diese Rechnung nur dann aufgehen kann, wenn die Immunreaktionen gegen die populistische Herausforderung erlahmen - wenn also in Wirklichkeit gar niemand mehr versucht, diese Kräfte wirklich mundtot zu machen, sondern sich im Gegenteil praktisch alle gegenseitig darin überbieten, als Verstärker zu wirken, der ihre populistischen Themen und Thesen über alle Kanäle hinausposaunt.

Natürlich werden dann auch Gegenstimmen laut. Und diese Gegenstimmen nutzen die Populisten, um zu beweisen, dass man ihnen das Wort verbieten wolle. Selbst wenn sie von den Titelseiten aller Zeitungen und Zeitschriften starren, präsentieren sie sich in einem Akt der Selbstheroisierung als verfolgte Unschuld, der man das Recht auf Meinungsfreiheit abschneiden will.

Es wäre ein Fehler zu glauben, es sei erst das Beschweigen von Problemen - etwa der Einwanderungsgesellschaft -, das die Populisten erstarken ließe. Aus der österreichischen Erfahrung lässt sich sagen: Seit zwanzig Jahren wird nicht zu wenig, sondern viel zu viel über reale und eingebildete Probleme mit der Migration gesprochen. Gerade das hat die Rechtspopulisten starkgemacht und starkgehalten.

Medien als willige Verstärker

Der Humus, auf dem der Populismus wächst, ist die völlig unverhältnismäßige Fokussierung von Politik und Medien auf ein Problem, das dann im öffentlichen Diskurs vollkommen aus den Proportionen gerät und nunmehr als das zentrale gesellschaftliche Problem überhaupt angesehen wird.

Der Blick nach Österreich lehrt: Populisten wachsen stabil, wenn die Themen, die sie auf die Agenda setzen, als das zentrale Problem unserer Gemeinwesen angesehen werden, mögen das nun "die Ausländer", "der Islam" oder "die gescheiterte Integration" sein. Insofern kann man Populisten kaum in Schach halten, wenn man bei "ihren Themen" gegen sie argumentiert. Man darf schon ihre Themensetzung nicht akzeptieren. Wenn man ihnen auch nur ein bisschen nachgibt, wird man sie nicht mehr los.

In den letzten zwanzig Jahren haben Populisten in Deutschland nicht dauerhaft einen Fuß auf dem Boden gekriegt, weil die Immunreaktion der politischen und medialen Öffentlichkeit funktioniert hat. Die Sarrazin-Debatte hat gezeigt, dass das vorbei ist.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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