Parlamentswahlen in Ägypten: Gespenstische Ruhe in den Wahllokalen

Jeder weiß schon im Voraus, wie die Wahlen im Land am Nil ausgehen werden. Denn nicht jeder darf an die Urne gehen und seine Stimme abgeben.

Der Geheimdienst entscheidet, wer das Wahllokal betreten darf. Bild: dpa

KAIRO taz | Es mutet wie ein Triumphzug an, als Muhammad El-Beltagi der Kandidat der Muslimbrüder die Moschee nach dem Mittaggebet verlässt und am Tag der Parlamentswahlen durch die Straßen des Arbeiterviertel Schubra El-Kheima im Norden Kairos zieht. Mehrere hundert seiner Anhänger begleiten und feiern ihn lautstark.

Selbst für die kleinen Touk-Touks, die Motorrikschas, das Haupttransportmittel in den Armenvierteln, gibt es kein Durchkommen mehr. Die Seitengassen sind so eng, dass sich die Einwohner auf den gegenüberliegenden Seiten fast die Hände reichen können. Wie hier leben 40 Prozent der Ägypter, die nach Weltbankstatistiken mit etwas mehr als einem Euro am Tag auskommen müssen.

Beim Eingang zum Wahllokal, einem Mädchengymnasium, wird deutlich wer die Macht im Land am Nil innehält und was von den Wahlen wirklich zu halten ist. Es sind die Männer des Mabahis - des internen Geheimdienstes, die bestimmen, wer die grüne Eisenpforte zum Wahllokal betreten darf. Selbst El-Beltagi, der wichtigste Oppositionskandidat im Viertel, der gegen die Regierungspartei des seit drei Jahrzehnten herrschenden ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak antritt, darf erst nach langer Diskussion die Schule betreten. Seine Anhänger draußen johlen und feiern das bereits als einen kleinen Sieg. Sie müssen draußen bleiben.

Das Schreien der Anhänger der Muslimbrüder wird von der Schulmauer verschluckt. Drinnen herrscht eine fast gespenstische Ruhe. Ein paar Vertreter der verschiedenen Sicherheitsdienste stellen nicht nur sicher, dass die „richtigen Wähler“ Zutritt bekommen, sie versuchen auch zu verhindern, dass die wenigen Journalisten vor Ort die Schulklassen mit den Urnen nicht von innen filmen. Ein kurzer Blick durchs Fenster macht deutlich warum.

Am frühen Nachmittag ist gerade mal der Boden der gläsernen Uhren mit Stimmzetteln bedeckt. Das und die unheimliche Stille im Wahllokal deuten an, wie niedrig die Wahlbeteiligung ist. Vielleicht ist auch die lange Reihe von zwei Dutzend leeren Stadtbussen ein Hinweis darauf, die an der Uferstraße zum Nil abgeparkt wurden. Traditionell lässt die Regierungspartei damit die Beamten zu den Wahllokalen karren.

„Das ganz ist ein großes Theaterstück“, sagt El-Beltagi. In seinem Wahlbezirk gäbe es fast 300 Wahlurnen. Seine Vertreter hätte gerade einmal die Erlaubnis erhalten 48 von ihnen zu überwachen, und selbst von denen wurden die meisten nicht in die Wahllokale gelassen. „Sie lassen keine internationale Beobachter zu, sie schließen die Vertreter der Oppositionskandidaten aus und selbst die unabhängigen Beobachter ägyptischer Menschenrechtsgruppen wurden nicht zugelassen“, erzählt El-Beltagi. „Das alles, damit sie von A-Z betrügen können“, wettert er. Auf die Frage, warum die Muslimbrüder unter diesen Bedingungen überhaupt an der Wahl teilgenommen haben, hat er eine kurze Antwort: „Wir wollten unter Beweis stellen, was für ein Skandal diese Wahlen sind“.

Draußen steht der Arbeiter Muhammad Ali und betrachtet das Treiben vor dem Wahllokal in gebührender Entfernung. „Was soll ich da“, sagt er, “jeder weiß, dass sie von vorne bis hinten betrügen und das Ergebnis schon im Vorhinein klar ist“.

Blieb es in Kairo bis zum Redaktionsschluss relativ ruhig, flammten vor allem in den Provinzen einige Auseinandersetzungen vor den Wahllokalen auf. Dort verrichteten von den Kandidaten angeheuerte Schlägertruppen die Arbeit, die Wähler des Gegners einzuschüchtern. Mindestens zwei Menschen starben dabei. Interessant ist auch der Verkehr des Internet-Kurznachrichten-Dienstes Twitter an diesem Tag.

Dort kursieren den ganzen Tag Meldungen über den Preis, den eine Stimme in den verschiedenen Wahlbezirken kostet. In Armenvierteln ist die Stimme bereits für hundert Pfund, umgerechnet etwas mehr als sieben Euro zu haben. In den Mittelklassevierteln müssen die Kandidaten schon das Fünffache hinlegen. Die Prozedur ist einfach. Jeder, der seine Stimme vor dem Wahllokal verkauft hat, geht mit einem Handy hinter den Vorhang und muss seinen ausgefüllten Stimmzettel fotografieren.

Wahrscheinlich hat der Mann recht, der heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit in der Kairoer Innenstadt mit im Taxi saß. „Er hasst die unnützen Wahltage“, erklärte er, „wo wir doch alle wissen, dass egal was passiert, am Ende die Regierungspartei doch wieder mindestens 2/3 der Stimmen haben wird. Sagt´s, steigt aus und streicht beim Weggehen noch einmal seine Polizeiuniform glatt.

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