Großeinsatz in Rios Favelas: Die Macht der Banden brechen

Die Polizei rückt in die von Drogenhändlern besetzten Siedlungen ein. Bei schweren Schießereien gab es bisher mindestens 38 Tote. 200 Personen wurden bei Razzien festgenommen.

Mit Panzern rückt die Polizei in die Favelas von Rio vor. Bild: dapd

BUENOS AIRES taz | Brasiliens Polizei und Militär sind am Samstagmorgen in die Favelasiedlungen des Complexo do Alemão von Rio de Janeiro eingerückt. Unterstützt von Panzerfahrzeugen und Hubschraubern besetzen sie das Gelände und durchsuchten Häuser, Hütten und Straßen nach Mitgliedern von Drogen- und Waffenhändlerbanden. Nach ersten Berichten stießen die Einheiten auf wenig Widerstand. In der Nacht zuvor war es zu einigen schweren Schießereien gekommen.

Seit einer Woche gehen Brasiliens Polizei und Militär gegen die Banden in den Armenviertel von Rio vor. "Das ist nicht der Augenblick, um Risiken zu vermeiden, sondern sich ihnen zu stellen", rechtfertigte Verteidigungsminister Nelson Jobim den Einsatz seiner Soldaten. Dieser war von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva genehmigt worden. Am Donnertag hatten Polizeieinheiten mit Panzerfahrzeugen und Hubschraubern in einer fünfstündigen Operation die Favela Vila Cruzeiro gestürmt.

"Vila Cruzeiro gehört wieder zum Staat" gab sich Rios Vizepolizeichef Rodrigo de Oliveira nach der Erstürmung der Favela erfolgsbewusst. Vila Cruzeiro galt als eine Hochburg der schwer bewaffneten Banden, darunter ist mit dem Comando Vermelho (Kommando Rot) auch Rios größte und mächtigste Gruppe. Fernsehbilder zeigten, wie über 200 mutmaßlich bewaffnete Bandenmitglieder aus der als undurchdringlich geltenden Favela mit ihren mehr als 30.000 Einwohnern flüchteten.

Der Gouverneur des Bundesstaates Rio, Sérgio Cabral, feierte die Einnahme der Favela Vila Cruzeiro als einen historischen Moment. "Kein Teil Rios steht außerhalb der Reichweite des Gesetzes", so der Gouverneur. Am vorherigen Wochenende hatten Drogen- und Waffenhändlerbanden damit begonnen, Autofahrer zu überfallen sowie Busse und Autos in Brand zu stecken. Zuvor sollen Mitglieder verschiedener Banden ein vorübergehendes Bündnis geschlossen haben. Die Gewalttätigkeiten seien eine Reaktion darauf, dass diese Banden aus 13 Favelas erfolgreich vertrieben worden seien, kommentierte der Gouverneur die Vorfälle.

Letzten Montag hatte die Polizei mit Razzien und Festnahmen reagiert. Seither eskaliert die Auseinandersetzung. Die bisherige Bilanz: mindestens 38 Tote und über 200 Festnahmen. Über 100 Busse und Autos brannten aus.

Zumindest vorübergehend versuchten die Flüchtenden in den benachbarten Favelasiedlungen von Alemão Unterschlupf zu finden. Bis Freitagabend hatten Polizei und Militär mit der Unterstützung von 800 Fallschirmjägern und etlichen Panzern die gut 15 Favelasiedlungen des Complexo do Alemão abgeriegelt. Am Samstag wurde den Bandenmitgliedern ein Ultimatum gestellt. Knapp über 30 sollen sich gestellt haben.

2014 findet in Brasilien die Fußballweltmeisterschaft statt, zwei Jahre später werden in Rio de Janeiro die Olympischen Spiele ausgetragen. Als Nagelprobe gelten jedoch 2013 die Fußballspiele um den Confederations Cup. Bis dahin wollen sich Brasilien und vor allem Rio herausputzen. Im Mittelpunkt der "Reinigungsaktionen" steht die Sicherheitsfrage. Nach Auffassung der Regierung des Bundesstaates Rio geht die Unsicherheit in erster Linie von der Macht der Drogenbanden in den Elendsvierteln aus. Zentrale Aufgabe ist es, diese Macht zu brechen.

Die Strategie der Regierung ist, durch neue Polizeiposten in den Favelas die Banden aus den Elendsquartieren zu drängen - kein leichtes Unterfangen angesichts der zwischen 700 und 900 existierenden Favelas im Großraum von Rio. Seit gut zwei Jahren läuft der Aufbau der Unidades de Polícia Pacificadoras, die die Armenviertel befrieden sollen. In den von Gouverneur Cabral genannten 13 Favelas sollen sie erfolgreich arbeiten, in vier Jahren sollen es 40 sein.

Für Marcelo Freixo, Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates Rio, werden die Aktionen von Polizei und Militär jedoch wirkungslos verpuffen. "Die Polizei kann in Vila Cruzeiro einmarschieren und weitere hundert Menschen töten. Das wird das Problem in Rio de Janeiro nicht lösen." Die Aktion richte sich gegen Straßenkriminelle. Für die mächtigen Hintermänner des Drogen- und Waffenhandels bestehe keine Gefahr.

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