Castor-Protest: "Die kriegen wir nicht"

Eine Gruppe aus Göttingen ist unter den Antiatomaktivisten, die den Castortransport bei einer Brücke über dem Fuldatal stoppen. Die Polizei kommt auf dem unwegsamen Gelände nur schwer hinterher.

Altmorschen in der Nacht zum Sonntag: Aktivisten stoppen den Castor. Bild: Reuters

Das Dröhnen der Rotoren kommt näher. Auch wenn der Hubschrauber wegen der Wolken nicht zu sehen ist, bricht Hektik aus. Rund 50 Aktivisten sind im freien Gelände unterwegs. Sie wollen den Castor blockieren, der Hubschrauber droht es zunichte zu machen. Es ist verabredet, in solchen Fällen hinter Bäumen Schutz zu suchen - Kapuze auf, das Gesicht nahe an die Rinde. Technisches Gerät - Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras - könne einen dann nicht allzu leicht erfassen, heißt es.

Wir befinden uns nahe dem hessischen Altmorschen, einige hundert Meter entfernt von einer ICE-Brücke über das Fuldatal, über die der Castor-Transport nach Gorleben rollen soll. Einige Aktivisten aus Göttingen sind eigens für die Aktion über die niedersächsische Landesgrenze gereist. "Hier geht das viel besser als in Göttingen", sagt einer. Durch die Universitätsstadt soll der Castor auch kommen, aber hier ist nur eine kleine Demonstration geplant.

Auf der Wiese bei Altmorschen droht die Hektik in Panik zu kippen, denn dort ist kein Baum, der Schutz vor dem Hubschrauber böte. "Hinlegen und Gesicht in den Dreck", brüllt eine Aktivistin. Die Wiese ist schlammig, nass, doch der Erfolg wird ihr recht geben: Am Ende der Nacht haben die 50 gemeinsam mit anderen Aktivisten, von denen zwei die Fuldatal-ICE-Brücke erklettert haben, den Castor-Transport rund zweieinhalb Stunden lang aufgehalten.

Rund 200 Atomkraftgegner haben in der Castor-Nacht von Samstag auf Sonntag in Göttingen demonstriert.

Eine Gedenkminute legten die Teilnehmer für den jüngst verstorbenen SPD-Energiepolitiker Herrmann Scheer ein.

In den Redebeiträgen wurde kritisiert, dass die Bundesregierung Gorleben weiter als Endlager ausbauen wolle, obwohl der Standort nachweislich nicht geeignet sei.

Mit rund acht Stunden Verspätung erreichte der Castor-Zug am Sonntag um 7.31 Uhr Niedersachsen.

Zwei Stunden später wurden in Lehrte bei Hannover die Lokomotive und das Zugpersonal gewechselt.

Um 13 Uhr wurde der Zug in Eschede nördlich von Celle erneut gestoppt, weil sich Demonstranten an die Bahngleise ketteten.

Gegen zwei Uhr erreicht die Gruppe die Gleise. Es wird gewartet, irgendwann glaubt keiner mehr, dass der Castor tatsächlich kommt. "Er hat bestimmt eine andere Route genommen, sonst müssten längst Polizisten zu sehen sein", sagt einer.

Der Castor steht zu dieser Zeit im hessischen Bebra, es gibt kein Indiz, dass er seine Fahrt bald fortsetzen wird. Dann die Information: Er rollt, und zwar genau auf der Route, an der die Blockierer hängen und stehen. Stundenlang hatten die Aktivisten versucht unauffällig zu bleiben, jetzt packen sie Taschenlampen und Tröten aus und stimmen ein euphorisches Gebrüll an. Sie informieren die Verantwortlichen bei der Bahn, und plötzlich ist Blaulicht auf der parallel zu den Gleisen verlaufenden Bundesstraße 83 zu sehen. Einsatzwagen fahren auf und ab, verschwinden wieder. Sie finden keinen Zugang zu den Gleisen, die von einer verwilderten Böschung abgeschirmt werden.

Der Spott der Aktivisten

Irgendwann brechen Zugscheinwerfer die Dunkelheit auf, ein kleiner Teil der Gruppe bewegt sich auf der Schiene hin und her, die Böschung hinauf und hinunter. Das Gros wartet und begrüßt die Bundespolizisten, die aus den Personenwaggons steigen, hinter denen die weißen Castorbehälter angehängt sind. Sie kommen nur langsam näher, die Aktivisten weichen zurück, verlassen die Gleise und lassen sich auf einem angrenzenden Acker stellen. Die wenigen, die illegal auf dem Gleis hin und her gependelt waren, schlagen sich in die Büsche.

Die Bundespolizisten und ihre hessischen Kollegen, die mittlerweile die Böschung überwunden haben, werden in den nächsten zwei Stunden dem Spott der Aktivisten ausgesetzt sein, die, geschützt von Nacht und Bewuchs, über den matschigen Acker gejagt werden. "Wir haben noch ein paar, denen wir nicht habhaft werden, die kriegen wir auch nicht - die sind zu weit weg", funkt einer der Polizisten resigniert an seine Zentrale.

Die, die sie kriegen, müssen ihre Ausweise abgeben, werden vor Ort abfotografiert und verwickeln die Ordnungshüter in Gespräche. Die wirklichen Verbrecher seien die Konzernchefs der großen Energieversorger, sagt einer. "Wenn ich einen von denen erwische, dann wäre ich froh", entgegnet sein Bewacher. Er sei auch nicht für Atomkraft, aber in Deutschland gebe es nun mal bestimmte Gesetze, an die man sich halten müsse, "und wenn Ihnen das nicht passt, dann gehen Sie doch nach Holland", fügt er an.

Um halb sechs ist alles vorbei. Der Castor ist mit Schrittgeschwindigkeit unter den Kletterern hindurch gefahren. Sie haben kurz zuvor noch ihre Position geändert, um möglichst wenig Strahlung abzubekommen. So werden sie noch einige Zeit hängen, dann in Gewahrsam genommen werden. Die, die auf den Gleisen waren, können gehen und schlendern zurück -Richtung Altmorschen.

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