Kolumne Das Schlagloch: Hau den Muslim!

Die Hysterie um Wulff und den Islam trägt schon Züge eines Kabarettstücks.

Machokultur und befremdliche Bräuche...schlagt Euch doch mal selbst. Bild: dpa

Liebe Leute, staunend stehe ich diesmal vor euch angesichts dessen, was medienmäßig derzeit so abgeht. Keine sechs Wochen ist das her, dass vierzehn Muslime dem Präsidenten Wulff hier in der taz einen offenen Brief geschrieben haben. In seiner Rede zum 3. Oktober antwortet er: Ja, werte muslimische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, ich bin auch Ihr Präsident. Und seither herrscht kollektives Wulff-und-Islam-Bashing.

Gehört denn der Islam nun zu Deutschland?, fragen sie, und wenn ja: ganz genauso oder doch lieber nur ein kleines bisschen? Dabei hat der Zeit-Kollege Ulrich Greiner doch längst die Antwort gegeben, nein, der Islam gehört natürlich noch nicht zu Deutschland. Und das können unsere selbst gekürten Islamexperten auch leicht begründen: Es liegt nämlich daran, ähm, also es ist anscheinend so, dass es im Islam kein Konzept des Individuums gibt.

Klar, das ist für die Muslime unter uns jetzt schwierig zu verstehen, wir normalen Gläubigen kennen ja nur die üblichen frommen Sprüche - so von wegen, dass jeder Mann und jede Frau vor Gott für sich selbst einstehen muss zum Beispiel, oder diese koranischen Bestimmungen, nach denen die Individuen Rechte und Pflichten haben? Klingt alles modern, lässt sich aber im Grunde alle auf die Formel der Sippe und des Ehrenmords bringen: Unsere Welten sind halt inkompatibel!

Gleichzeitig kommen derzeit die unwahrscheinlichsten Partner zusammen, siehe nur Alice Schwarzer, die schon Anfang der Neunziger mit ihrem Dschihad gegen den Islam angefangen hat, was ungefähr der Zeitpunkt war, als sie einsehen musste, dass sie sich mit der PorNOKampagne beim hiesigen Medien- und Parlamentspatriarchat keine Freunde machen würde, Mist, hat die Schwarzer da wohl gedacht, der Astrid haben sie eine Lex Lindgren gewidmet, aber niemand benennt eine Lex Alice nach mir, auch die Emma wurde nie von genügend Menschen gekauft, obwohl die irgendwann extra "von Frauen für MENSCHEN" draufgeschrieben haben, hat aber niemanden getäuscht.

Titten raus statt Kopftuch drauf

Gut, denkt sich die Schwarzer, was ist denn unsere auflagenstärkste Zeitung, aha, die Bild, und dort macht sie jetzt halt nicht PorNO, sondern KopftuchNO, das passt natürlich super in die Bild. Oben kämpft die Schwarzer gegen das Kopftuch, unten das tägliche Tittenwunder für die Fernfahrer. Dazu meinen Glückwunsch, Herr Diekmann, Sie stehen wenigstens zu ihren schäbigen Idealen, während die anderen Zeitungen meist nur zwischen Hü und Hott herumeiern. Man publiziert ein bisschen Islam"kritik", dann lobt man einen Döner-Mann, man führt Debatten, wie viel Islam Europa noch verträgt, dann reißt man entsetzt die Augen auf, wenn die Friedrich-Ebert-Stiftung meldet, dass mehr als die Hälfte aller Deutschen die freie Ausübung des Islam verbieten will.

Kommt dazu noch das "Links blinken, rechts abbiegen" in der Politik. Nehmen wir Armin Laschet zum Beispiel, letztes Jahr noch der Superintegrationsschmuser der CDU, wie rührend plädierte er für die Willkommenskultur, und kürzlich im Spiegel: Sarrazin hat einen wichtigen Diskussionsbeitrag geleistet, toller Tabubruch!, aber auch in der SPD wackeln sie natürlich wie die Kegel vorm Neuner, Klaus von Dohnanyi zum Beispiel hat im "heute journal" den Sarrazin verteidigt, danach hab ich erst mal zwei Wochen den Fernseher stillgelegt.

Klageweib für die Talkshows

Vor allem die Talkshows sind ja gar nicht auszuhalten. Wie oft schon wurden uns die Rhetorikblase Broder oder das Klageweib Kelek präsentiert? Ganze Regalreihen könnte man füllen nicht nur mit den Koraninhalten, die Kelek selbst erfunden, sondern auch mit den Widersprüchlichkeiten, die diese Frau schon produziert hat. Vor ein paar Jahren lobte sie die "Frohe Botschaft des Christentums", später nannte sie sich eine Zeit lang "Muslimin", doch vor zwei Tagen dann stellte sie im TV-Gespräch mit Peter Voss dann als Erstes klar, sie verstehe sich nicht als Muslimin. Am Tag ihrer Pressekonferenz mit Thilo Sarrazin, einem Montag, lobt sie diesen dafür, wie mutig er die Intelligenzdebatte mal auf eine biologische Schiene hebt, am Mittwoch sagt sie, nee, beim Biologismus vom Sarrazin, da geh ich nicht mit, und am Samstag tanzt diese Frau dann mit dem Sams.

Wie scheiße ist der Islam so?

So jemand wie Kelek ist natürlich die ideale Schaubudenfigur für diese Talkshows, die man gern konfrontativ und ausgewogen besetzt, also zwei Rassisten zum Beispiel und zwei Normale plus dann auch mal, zwecks Wissenschaftlichkeit, einen Experten dazwischen. Wir wollen endlich mal eine offene Debatte über den Islam führen, also haben wir einen Experten eingeladen, lieber Experte: Wie scheiße ist denn der Islam so, Ihrer Meinung nach, auf einer Skala von 4 bis 10, also eher 12 oder 13?

Und deswegen muss man nämlich gar nicht mehr argumentieren, liebe Leserinnen und Leser, es gibt da keine Feinheiten mehr, die man ausklamüsern könnte. Die einen kapieren, dass grad etwas ganz Gruseliges in unserem Land vor sich geht, und die anderen machen bei dem Grusel noch aktiv mit. Ich brauche auch niemanden mehr zu überzeugen, dass es Islamfeindlichkeit gibt, was sowieso eine ganz doofe Aufgabe war. Immer wirkte es, als sehne man sich nach Mitleid und stricke sich ein wärmendes Verschwörungstheoriejäckchen - nein, inzwischen hat sogar die ARD kapiert und erschrocken vermeldet: Islamfeindlichkeit nimmt zu. Echt? Warum nur?

Vielleicht habt ihr diese Woche den Focus gesehen: Womit der Spiegel hübsch Auflage gemacht hat, da will natürlich auch er nicht zurückstehen. Also fontomontiert er Wulff mit Türkenschnauzer und Käppi. (Ganz ähnlich übrigens macht es die Berliner Pro-Wilders-Partei "Die Freiheit", wer hatte zuerst die Idee?) Deswegen kommt mir sowieso langsam die Vermutung, dass das alles nur Kabarett ist und wir bloß zu blöd sind das zu kapieren. Doch wenn endlich die Lichter wieder angehen und die Schauspieler sich verbeugen, werde ich laut mitlachen und erleichtert mit den Füßen trampeln und klatschen, versprochen.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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