Salafisten im Gaza-Streifen: Die Hamas ist ihnen zu liberal

Palästinensische Salafisten wollen im Gaza-Streifen die Scharia einführen. Dafür verüben sie nicht nur Anschläge auf Israel, sondern auch auf Landsleute.

Hamas-Kämpfer im Gaza-Streifen: Die Salafisten halten diese für zu sanft. Bild: reuters

GAZA taz | Wenn Abu al-Hareth und Abu Ahmad mit ihren schwarzen Pumphosen und Gewändern durch die Innenstadt von Gaza schreiten, gehen die Leute reflexartig aus dem Weg. Die beiden hochgewachsenen streng religiösen Männer sind eindrucksvoll mit ihren buschigen Vollbärten und der dunklen Kopfbedeckung.

Abu Ahmad hat sich wie ein Pirat ein Tuch um die Haare gebunden, Abu al-Hareth trägt eine gehäkelte, dicht an den Kopf anliegende Mütze. Seine nackten Füße stecken in schwarzen Sandalen, während Abu Ahmad Militärstiefel bevorzugt. "Nicht alle Salafis tragen Schwarz", erklärt Abu Ahmad und ergänzt: "nur die Kämpfer." Die Sunna, zivile Angehörige der radikalislamistischen Gruppe, tragen Weiß.

Rasch steigen die beiden ins Auto eines Kontaktmannes. "Fahr los", drängt er, "bevor uns die Hamas sieht." Die Machthabenden im Gazastreifen sehen es nicht gern, wenn die Salafis mit Journalisten reden. Das konspirative Treffen findet schließlich im obersten Stockwerk eines halbfertigen Neubaus statt. Die Wände sind unverputzt, es gibt keine Fenster. Einer der Hausbewohner hat für seine Kinder eine Plastikrutschbahn aufgestellt und ein kleines Karussell. In einer Ecke steht eine ausladende Couchgarnitur.

Der 32-jährige Abu Ahmad lässt sich breitbeinig in einen Sessel fallen. Seine dunklen Augen lassen Erschöpfung erkennen. Er sieht älter aus. "Keine Fotos", sagt er und gibt schließlich ein Zeichen, dass er bereit ist.

Ihre Gegner sind Juden und "andere Ungläubige", ihr Ziel, die Scharia, das islamische Gesetzbuch, in Gaza zum gültigen Recht zu machen. Die Hamas ist ihnen zu sanft, zu liberal. "Sie hat sich für von Menschen gemachtes Recht entschieden, nicht für das göttliche", erklärt Abu al-Hareth ernst. Ginge es nach den Salafis, würde Dieben die Hand abgeschlagen werden und Ehebrechern drohte der Tod durch Steinigung.

Abu al-Hareth gehörte, wie die meisten Salafis, einst zu den "Kassam-Truppen", dem militärischen Arm der Hamas. Weil die Hamas den Kampf gegen Israel aufgegeben hat, schloss er sich den palästinensischen Taliban an. Die Raketen, die sie auf Israel schießen, bilden nur einen Teil ihres Kampfes. "Wir betrachten die Palästinenser nicht als Ungläubige", sagt Abu Ahmed, trotzdem brauche der ein oder andere bisweilen eine kleine Nachhilfestunde im Islam.

Die Salafis stehen gern bereit, wenn es darum geht, ein Internetcafé in Brand zu stecken, in dem auch mal ein Pornostreifen vom Netz geladen wird, oder ein Frisiergeschäft, wo männliche Friseure Frauen die Haare schneiden. "Wir warnen die Leute", sagt al-Hareth. "Nur Wiederholungstäter werden bestraft."

Bei dem Coiffeur Hathem al-Ghoul hat es schon zweimal gebrannt, Ende 2007, nur wenige Monate nach der gewaltvollen Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen, und ein Jahr später noch mal. "Es hat keine Warnungen gegeben", sagt der Friseur mit Dreitagebart, bei dem die Kundinnen Schlange sitzen. Keiner scheint sich um die neue Anordnung der Hamas zu kümmern, die männlichen Friseuren verbietet, Frauen das Haar zu schneiden. "Wir sind insgesamt fünf männliche Coiffeure in Gaza und arbeiten alle weiter."

Das Schreiben des Innenministeriums mit der Aufforderung, fortan nur noch Männer zu frisieren, erreichte ihn schon vor Monaten. "Wir haben Protest dagegen eingelegt", sagt al-Ghoul. Die Antwort stehe noch aus. Sicherheitshalber" hält der "Coiffeur" seine Ladentür verschlossen. Einlass gibt es nach telefonischer Terminvereinbarung. Der 32-Jährige verzichtet auf Werbeplakate an der Ladentür. Das Geschäft ist von der Straße aus als Frisiersalon nicht zu erkennen.

"Ich weiß noch nicht einmal, wer hinter den Brandanschlägen steckt", sagt er. Niemand habe sich dazu bekannt. Um zwei Uhr morgens seien die Attentäter gekommen, um einen Sprengsatz durch das Ladenfenster zu werfen. "Die halbe Einrichtung war verkohlt", sagt der Friseur, der sein Handwerk Anfang der 90er Jahre in Syrien erlernte, ohne jeden erkennbaren Zorn.

Neben ihm föhnt ein junger Lehrling einer Kundin die Haare. Er bewegt die Hüften im Rhythmus einer arabischen Schnulze, die in einem Satellitenfernsehen übertragen wird, hält von Zeit zu Zeit den Föhn wie ein Mikrofon vor den Mund und stimmt theatralisch in den Refrain des Liedes ein. Es ist entspannt bei al-Ghoul. Die Frauen trinken Kaffee, einige rauchen.

Ola Salama, 28-jährige Mutter zweier Kleinkinder, die bis zum Machtwechsel in Gaza einen Verwaltungsjob bei der Palästinensischen Autonomiebehörde hatte, käme "überhaupt nicht auf die Idee", sich einen neuen Friseur zu suchen. "Schließlich wechsle ich auch nicht meinen Zahnarzt", sagt sie und drückt eine Zigarette aus, um sich die Haare waschen zu lassen.

Möglich ist, dass Abu al-Hareth selbst hinter den Brandanschlägen auf den Laden von al-Ghoul stand oder einer seiner Mitstreiter. Die Bekennerschreiben sind, wenn es überhaupt welche gibt, oft von völlig unbekannten Kleinstgruppen unterzeichnet, wie "Armee des Dschihad" oder "Islamisches Schwert".

"Ich weiß nicht genau", weicht Abu al-Hareth aus und will nicht zugeben, wie oft er bei solchen "Erziehungsaktionen" dabeigewesen ist. "Vielleicht ein paar Dutzend Mal." Dann ist er schließlich doch auf frischer Tat ertappt worden. Er hatte gerade einen Sprengsatz in das Internetcafé "Al Jazeera" geworfen. Zweieinhalb Jahre Gefängnis lautete das Urteil für den damals frisch verheirateten 27-Jährigen.

Al-Hareth trug es mit Fassung. Dass er selbst seit fast fünf Jahren als Gefängniswärter im Dienst der Hamas steht und nun von seinen Kollegen "bewacht" wurde, erleichterte ihm seine Haftzeit. "Ich bin gut behandelt worden", gibt er zu. Seine Kollegen ließen die Zellentür immer offen. Sogar sein Gehalt von der Hamas bekam er während der Zeit hinter Gittern weiter ausbezahlt.

Sein Job als Gefängniswärter kürzt auch die routinemäßige Kontrollprozedur ab, die die Salafis regelmäßig über sich ergehen lassen müssen. "Die Hamas-Sicherheitsleute halten uns bei jeder Gelegenheit an, um unsere Papiere zu prüfen", sagt Abu Mahmud und blickt kurz auf seinen Freund. "Sobald er seinen Dienstausweis zeigt, lassen sie uns gehen."

Die Hamas verfolgt eine mehrgleisige Strategie, um die Salafis unter Kontrolle zu halten. Einmal demonstriert sie kompromisslose Macht und erschießt kurzerhand 20 Salafis. Die hatten versucht, im südlichen Gazastreifen ein Kalifat zu gründen. "Das war ein bedauerliches Missverständnis", kommentiert al-Hathem die Schießerei vom letzten Jahr. "So etwas wird es nicht wieder geben."

Dann wieder versucht die Hamas, die radikalen Islamisten in die eigenen Reihen zu integrieren, oder sie macht sich gar den Sittenkodex der Extremisten zu eigen. Frauen etwa dürfen nicht länger auf dem Motorrad mitfahren und in der Öffentlichkeit keine Wasserpfeife rauchen. Junge Paare werden öfter kontrolliert und müssen nachweisen, dass sie verheiratet sind, wenn sie keine Haftstrafen oder gar körperliche Züchtigung riskieren wollen. Doch die jüngst vom Innenministerium verhängten strengeren Verhaltensregeln reichen den Salafis bei Weitem nicht aus.

"Die Hamas will uns Gläubige damit ködern, aber es ist eine Farce", sagt Abu al-Hareth. Der Koran sehe keine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau vor. "Beide sollten nicht rauchen." Er greift in die Seitentasche und zieht sein Handy heraus, das wie ein Hahn kräht. Musik zu hören ist den Salafis verboten.

Darin, dass er demnächst eine zweite Frau heiraten wird, sieht Al-Hareth keine Benachteiligung. Rein rechtlich dürfen die Männer im Gazastreifen vier Ehefrauen haben. "Aber wer kann sich das schon leisten", lächelt Al-Hareth.

Beide Männer betonen, dass die Koexistenz mit der Hamas im Gazastreifen besser wird. "Sie stören uns nicht mehr, wenn wir Israel angreifen", sagt Abu Ahmad. Über tausend Palästinenser gehörten heute zu den Salafis. In den Moscheen, bei Versammlungen oder auch privaten Hausbesuchen versuchen sie, die Leute dazu zu bewegen, religiöser zu werden.

Mit den Christen in Gaza könne man friedlich zusammenleben, solange sie die religiösen Empfindlichkeiten der Muslime respektierten und nicht durch "sittenloses Verhalten" provozierten. "Wer an unsere Tür klopft, verdient unseren Schutz", erklärt al-Hathem, dem es trotzdem lieber wäre, wenn sich die Christen eines Besseren belehren ließen.

"Der Islam ist der Weg zum Licht und zum Paradies." Schade sei nur, dass die Salafis im Ausland einen so schlechten Ruf genießen, sagt Abu Ahmad, der nicht versteht, warum der Westen sie "als blutrünstige Mörder" betrachte. Genau das Gegenteil sei der Fall: "Unsere Botschaft ist der Frieden."

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