St. Pauli-Archivar Günter Zint: "Bunt, lustig und schrill - nur nicht meine Welt"

Mit dem Star-Club, in dem die Beatles auftraten, begann die Faszination des Fotografen für Hamburgs Kiez. Er hat Dokumentarfotos ebenso wie Püppchen der Hure Domenica in seiner Sammlung. Die hat jetzt ein Zuhause.

Fasziniert vom Hamburger Kiez: der Fotograf Günter Zint. Bild: dpa

taz: Herr Zint, haben Sie Teile der John-Lennon-Locke behalten, die Sie aufgesammelt und an die Bravo verkauft haben?

Günter Zint: Nee, sowas hat mich nie interessiert. Ich hab mit so vielen berühmten Leuten zu tun gehabt und mir nie ein Autogramm geben lassen.

Wo fängt Ihre Sammelleidenschaft an?

Der Mensch ist Jäger oder Sammler. Ich bin ein Messie, wenngleich Edelmessie. Ich musste aufs Land rausziehen, weil ich mir in Hamburg die Mieten für die ganze Stellfläche nicht mehr leisten konnte. Ich habe anfangs ziemlich wahllos gesammelt, aber mich dann diszipliniert und mich auf Fotoarchive mit sozialdokumentarischem Schwerpunkt konzentriert. In St. Pauli habe ich immer, wenn ein Lokal umgebaut wurde, jeden Container durchforstet. Es ist unfassbar, was ich da rausgeholt hab.

Was würden Sie nicht in Ihrem Archiv aufnehmen?

Wenn es langweiliger Kitsch ist, sammele ich ihn nicht; wenn es ganz schriller, scheußlicher Kitsch ist, sammele ich ihn. Sonst hätte ich die Wohnung von Domenica nicht ausräumen dürfen. Die hatte Hexenpuppen, kleine Meckies und Schneekugeln.

Wussten Sie, als Sie mit der Sammlung anfingen, dass Sie einmal ausstellen würden?

Ein Sammler zeigt seine Schätze immer gerne. Ich habe gesammelt, weil ich dachte, das dürfte nicht verloren gehen, aber ich wollte anderen auch zeigen, warum es nicht verloren gehen darf. Bei einer Recherche im Staatsarchiv zum St. Pauli des vergangenen Jahrhunderts habe ich nichts gefunden. Das war den Archivaren wohl zu schmuddelig. Dabei ist Hamburg gerade im Ausland gleichbedeutend mit St. Pauli. Es gibt eine 150.000 Euro teure Marktanalyse, was Hamburg attraktiv für Touristen macht. Die Antworten waren "Hafen und St. Pauli". Das hätte ich denen für zehn Euro beim Abendessen sagen können.

wurde 1941 im hessischen Fulda geboren.

Bekannt wurde er durch seine Fotos vom Hamburger Star-Club.

Seine politische Fotografie zu Zeiten der Anti-Atombewegung brachte ihm mehrere Hausdurchsuchungen ein.

Sein St. Pauli-Museum hat es seit 1986 an vielen Orten mit verschiedenen Ausstellungsstücken gegeben.

Eine dauerhafte Heimat hat es jetzt in der Davidstraße 17 gefunden.

Wann fiel die Entscheidung, ein Museum zu eröffnen?

Als 1983 der Star-Club abgebrannt ist, wollte ich genau an der Stelle ein Museum aufbauen. Die Erbengemeinschaft war aber zerstritten. Stattdessen habe ich das St. Pauli-Archiv gegründet, um eine Forschungsstelle zu haben, wo Material über St. Pauli zusammengetragen werden kann. Mit der Zeit habe ich Freunde gefunden, wie Willi Bartels und Ernst Bader, ohne deren Hilfe ich das Museumsprojekt nie über eine so lange Zeit hätte finanzieren können. Mit meiner politischen Fotografie, die so viel Ärger und Prozesse hinter sich her gezogen hat, hätte ich das nicht geschafft.

Ist für Sie nach der Neueröffnung nun Zeit zum Durchatmen?

Momentan bin ich voll gefordert. Aber ich habe ein tolles Team. Neben vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern, gibt es einige, die wir richtig bezahlen können. Wir nehmen bevorzugt Menschen vom Kiez, die als Zeitzeugen erzählen können. Wir haben aber auch viele Unterstützer. Momentan lieben sie mich alle, sodass ich mich frage, wann der Schuss von hinten kommt.

Wodurch unterscheidet sich das "neue" St. Pauli-Museum von früheren Museumsprojekten?

Früher haben wir Ausstellungen eröffnet, bei denen die Handwerker noch auf den Leitern standen. Die sind meistens ohne Konzept, einfach aus dem Bauch heraus entstanden. Aber es hat immer irgendwie geklappt und wir wurden gelobt.

Wie wichtig ist Ihnen Anerkennung?

Zu meinem Buch "Zintstoff" hat Günter Wallraff ein Vorwort geschrieben, was mir mittlerweile peinlich ist. Er hebt mich so in den Himmel. Ich habe mein Leben lang um Anerkennung gekämpft. Und wenn sie dann kommt, flüchte ich. Wenn ich eine Ausstellungseröffnung habe, und es wird eine Laudatio gehalten, gehe ich solange aus dem Raum. Da kriege ich rote Ohren.

Wie haben Sie aus Ihrem riesigen Archiv ausgewählt, was im Museum zu sehen sein wird?

Meine Tochter Lena hat System in die Sammlung gebracht. Dieses System wird jetzt auch im Museum fortgesetzt.

Wie funktioniert das Museum?

Es wird eine Ausstellung geben, die immer wieder variiert werden kann. Wir haben eine Wand mit berühmten und unbekannten St. Paulianern mit einigen Freiräumen. Wenn ein besonders witziger Besucher reinkommt, kann es passieren, dass er abgelichtet und selbst ein Ausstellungsstück wird. Einfach, um zu zeigen, wie bunt der Kiez ist. Wir werden außerdem im Obergeschoss Menschen die Möglichkeit geben, wissenschaftlich am Fundus zu arbeiten. Aber vom ehemals heimatlosen Heimatmuseum wird es auch weiterhin Ausstellungen außerhalb geben.

Gibt es etwas, was Sie vom heutigen St. Pauli archivieren würden?

Ich fotografiere eigentlich jedes Mal, wenn ich vor Ort bin. Bilder, die ich gestern aufgenommen habe, sind heute schon Geschichte. Für mich gibt es kein besseres Geschichtsschreibungsmedium als die Fotografie.

Was ist St. Pauli für Sie?

Es gibt im Grunde zwei St. Paulis: Eines existiert nur in den Medien und spricht vor allem Touristen an. Und es gibt das St. Pauli, was aus dem früheren Arbeiterquartier herangewachsen ist. Das ist für mich das interessantere. Ich bin bekennender St. Paulianer, wenn auch kein Fußballfan. Ich habe immer sehr gerne dort gelebt. Auch meine Kinder sind dort aufgewachsen.

Was hat Sie in den Stadtteil verschlagen?

Nach meiner Ausbildung bei der dpa habe ich für den Bauer Verlag in Hamburg gearbeitet. Auch wenn ich damals noch in Berlin wohnte, war ich doch oft genug vor Ort, um regelmäßig in den Star-Club gehen zu können. Der hat mich von Anfang an fasziniert. 1964 bin ich schließlich ganz nach Hamburg gezogen und wurde Hausfotograf im Star-Club. Hier habe ich Leute aus dem Milieu kennengelernt und wohnte in einer Kommune.

Wie haben Sie sich in das Leben auf dem Kiez eingefügt?

Ich habe auf dem Kiez meine Freunde und Feinde. Mit den Zuhältern und Ausbeutern habe ich es nie gehabt, aber hatte mit denen auch nie Probleme. Zur Zeit der Anti-AKW-Bewegung hatte ich mehr Hausdurchsuchungen als mancher Puff. Das machte mich unverdächtig. Mein Leben auf dem Kiez ist immer ein Seiltanz gewesen. Wenn ich auf St. Pauli mit der Kamera rumgehe, stehen so viele Getränke auf dem Tisch, wie ich gar nicht trinken kann. Aber ich habe mich nie kaufen lassen. Sonst wäre ich da nicht so heil rausgekommen. Der Kiez kann dich ganz schön runterziehen, wenn du in das Milieu eintauchst.

Fehlt Ihnen St. Pauli, seit ihr Hauptwohnsitz im Hamburger Umland liegt?

Nein, beruflich bin ich nach wie vor oft da und tauche, sobald ich ankomme, sofort in meine alten Geschichten ein. Wenn ich dann wieder rausfahre, betrachte ich mein Haus hier als meinen Balkon, von dem ich einen Überblick bekomme. Vor Ort kann ich in St. Pauli kaum eine Beobachterperspektive einnehmen.

Welche Veränderungen können Sie von Ihrem Balkon aus wahrnehmen?

Das St. Pauli, was sich gewandelt hat, umfasst diese Tourismus-Szene. Da tauchen Typen auf wie Olivia Jones oder Inkasso-Henry, die von den Medien hochgepuscht werden, die aber vorher niemand auf dem Kiez kannte. Das ist bunt, lustig und schrill. Es ist nur nicht meine Welt. Das St. Pauli, was ich liebe, liegt an der Paul-Roosen-Straße, Ecke Wohlwillstraße. Hier gibt es viele bunte Läden, die von netten, progressiven Leuten gemacht werden. Das sind Leute, die St. Pauli kreativ bevölkern. Dieses Schlechtgerede von St. Pauli geht mir auf die Nerven. Obgleich am Wochenende auf der Großen Freiheit natürlich eine aggressive Stimmung herrscht.

Wo kann man noch heute "echtes" St. Pauli erleben?

Das verrate ich nicht. Den Fehler habe ich einmal gemacht und über das Restaurant geschrieben, in das ich zur Zeit der St. Pauli-Nachrichten gegangen bin. Seitdem geht da alles hin, was glaubt, in der oberen Etage angesiedelt zu sein. Die Lokale, die ich gut finde, gebe ich nicht mehr zum Abschuss frei.

Hilft Ihnen Ihr Archiv, sich an alte Star-Club-Zeiten zu erinnern?

Mein Freund Spencer Davis wurde neulich von einem Journalisten gefragt, ob er noch Erinnerungen an die Zeit habe. Da sagte er: "Eigentlich nicht. Wir waren damals immer viel zu bekifft, wenn wir auf die Bühne gingen." Aber durch meine Fotos sei vieles wieder zurückgekommen. Bei mir ist das anders. In meiner Erinnerung ist diese Zeit noch sehr lebhaft vorhanden. Vor allem die schönen Erlebnisse stechen heraus. Erst wenn ich zufällig auf bestimmte Fotos stoße, bin ich überrascht, dass es auch nicht ganz so rosige Zeiten gab. Aber mein Kopf ist so voll von Erinnerungen, da kann man einige Erlebnisse schon mal vergessen. Wenn ich Ballast loswerden will, bringe ich Bücher heraus und schaufele mir so den Kopf frei.

Ist das Museum auch eine Auslagerung Ihrer Erinnerungen?

So könnte man das sehen. Bei der Einrichtung des Museums ziehen nicht nur Teile meines Archivs um.

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