Teuer, frustrierend, wirkungslos

SCHULE Rot-Grün in Niedersachsen deutet an, das Sitzenbleiben abschaffen zu wollen – und liegt damit im Trend

BERLIN taz | Es ist ein Halbsatz im Koalitionsvertrag, der eine aufgeregte Schuldebatte ausgelöst hat: Die neue rot-grüne Landesregierung in Hannover wolle, „Sitzenbleiben und Abschulung durch individuelle Förderung überflüssig machen“, heißt es dort. Die künftige Schulministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) bemühte sich gleich, den ihr unterstellten Ehrgeiz zu relativieren: „Wir haben ein perspektivisches Ziel formuliert, das nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann.“

Die Debatte ist dennoch in vollem Gange. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) verteidigte in der Süddeutschen Zeitung die Ehrenrunde: „Die Abschaffung ist blanker Unsinn, das ist bildungspolitischer und pädagogischer Populismus.“

Allerdings verzichten bereits mehrere Bundesländer zumindest teilweise auf das Sitzenbleiben. In Hamburg gibt es von Klasse 1 bis 9 keine Ehrenrunde mehr. In Berlin droht nur noch Gymnasiasten und in Ausnahmefällen Grundschülern die Klassenwiederholung. Rheinland-Pfalz will Schulen in Modellversuchen den Verzicht auf das Sitzenbleiben ermöglichen.

Glaubt man dem Bildungsökonomen Klaus Klemm, sind die Länder damit auf dem richtigen Weg. Das Sitzenbleiben, so Klemms Berechnung von 2009, koste jährlich eine Milliarde Euro – und bringe nichts: Die meisten Untersuchungen zeigten, dass Sitzenbleiber ihren Rückstand kaum aufholen. Das Geld sei besser in individuelle Förderung angelegt.

In der Pisa-Studie 2009 gaben 21 Prozent der 15-Jährigen an, bereits eine Klasse wiederholt zu haben. Jedes Jahr bleiben etwa 2 Prozent aller Schüler sitzen. Der Trend ist jedoch rückläufig: Im Jahr 2000 lag der Anteil noch bei rund 3 Prozent.

Allerdings unterscheiden sich die Werte stark nach Bundesland und Schulform. Bayern lässt jedes Jahr mehr als 3 Prozent der Schüler eine Klasse wiederholen, in Brandenburg sind es nur etwas mehr als 1 Prozent. Den höchsten Sitzenbleiberanteil gibt es mit 4,3 Prozent an den Realschulen – was auch daran liegen dürfte, dass herunterwechselnde Gymnasiasten bisweilen die Klasse auf der neuen Schule wiederholen.

Der Verzicht auf das Sitzenbleiben ist, anders als etwa Spiegel-Online-Kolumnist Jan Fleischhauer meint, kein Geschenk an das Bildungsbürgertum. Unter den Sitzenbleibern sind laut Nationalem Bildungsbericht Migranten und Schüler aus niedrigen Sozialschichten überrepräsentiert. BERND KRAMER