Niederlage für nationale Hardliner: Karlsruhe bläst die Attacke ab

Niederlage für nationale Hardliner: Die Richter am Bundesverfassungsgericht wollen den EU-Gerichtshof nur in extremen Ausnahmefällen blockieren.

Europa-Fahne, fotografiert in Bonn, der ehemaligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Bild: ➨ Redvers – Lizenz: CC-BY

FREIBURG taz | Das Bundesverfassungsgericht will den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht an die kurze Leine nehmen. In einem Musterverfahren hat Karlsruhe jetzt erklärt, dass es vermeintliche Fehlurteile des EuGH nur in seltenen Ausnahmefällen beanstanden wil – - wenn er "strukturell bedeutsame" Kompetenzen ohne Rechtsgrundlage verschiebt.

Konkret ging es um einen Fall beim Automobilzulieferer Honeywell. Dort waren ältere Arbeitnehmer aufgrund eines deutschen Gesetzes nur befristet eingestellt worden. Der EuGH hatte dieses Gesetz jedoch 2005 in einem anderen Fall ("Mangold") für EU-widrig erklärt. Es gebe einen EU-rechtlichen Grundsatz, wonach Altersdiskriminierung generell verboten sei, erklärte der EuGH zur Begründung.

Dieses Mangold-Urteil hatte unter EU-skeptischen Juristen, insbesondere in Deutschland, große Empörung ausgelöst. Sie legten dar, dass in der EU kein allgemeines Verbot der Altersdiksriminierung gelte. Der EuGH habe hier eindeutig seine Kompetenzen überschritten und müsse vom Bundesverfassungsgericht in die Schranken gewiesen werden.

Auch mehrere Verfassungsrichter am zuständigen zweiten Senat in Karlsruhe gelten als EU-Skeptiker. Einer davon ist Udo di Fabio, der den Entwurf des Honeywell-Urteils vorbereitete. Mit Spannung war deshalb erwartet worden, ob Karlsruhe den Honeywell-Fall nutzt, um einen Großkonflikt mit dem EuGH vom Zaun zu brechen. Europafreundliche Juristen warnten, dass die EU schlicht nicht funktionieren könne, wenn nationale Verfassungsgerichte bei jeder Meinungsverschiedenheit EuGH-Urteile für unanwendbar erklären.

Bereits im Urteil zum Lissabon-Vertrag 2009 deutete sich eine moderate Karlsruher Linie an. Man werde nur einschreiten, wenn der EuGH "ersichtlich" jenseits seiner Kompetenzen ("ultra vires") urteile. Auch wurde versprochen, dass Karlsruhe seine Kontrollfunktion nur "europarechtsfreundlich" anwenden wolle.

In der nun veröffentlichten Honeywell-Entscheidung ist das Verfassungsgericht noch zurückhaltender. Nur "offensichtlich kompetenzwidrige" Urteile des EuGH sollen beanstandet werden. Außerdem müsse das Urteil zu einer "strukturell bedeutsamen Verschiebung im Kompetenzgefüge zwischen EU und Mitgliedsstaaten" führen. Zudem will Karlsruhe, bevor es ein EuGH-Urteil für unanwendbar erklärt, dem Luxemburger Gericht Geelegenheit zur Stellungnahme geben. Das EuGH-Urteil zur Altersdiskriminierung habe die Kompetenzen der EU jedenfalls nicht ausgedehnt und müsse deshalb nicht blockiert werden.

Die Entscheidung im Verfassungsgericht fiel immerhin mit einer deutlichen Mehrheit der Richterstimmen (7 : 1). Nur der konservative Herbert Landau, ein ehemaliger CDU-Politiker aus Hessen, schrieb ein Minderheitsvotum und warf den Kollegen vor, sie hätten den Konsens aus dem Lissabon-Urteil verlassen. Das EuGH-Urteil zur Altersdiskriminierung sei "ersichtlich" kompetenzwidrig und hätte deshalb beanstandet werden müssen.

Az.: 2 BvR 2661/06

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