Captain Beefhearts Magic Band: Die südkalifornische Verschwörung

Ex-Schlagzeuger John "Drumbo" French schreibt über die Captain Beefhearts Magic Band. Herausgekommen ist ein rekonstruierter Wahnsinn auf 880 Seiten.

Captain Beefheart and the Magic Band mit John "Drumbo" French (li) und Captain Beefheart (re). Bild: guy webster

Eigentlich geht nie etwas verloren in der Popmusik. Jede neue Generation bringt auch neue Fans und Fachleute für altes Material hervor. Die Anzahl der Informierten noch über die abgelegensten Attraktionen der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts erhöht sich mit jedem weiteren Jahr. Internetforen, Spezialblogs und Datenbanken zeigen, dass nicht nur die Begeisterten immer mehr werden, sondern auch dass sie ihre Objekte oft viel genauer kennen als deren Zeitgenossen.

Eine Ausnahme ist Captain Beefheart. Zwar wurde er noch lange nach seiner aktiven Zeit als Musiker (1966 bis 1983) von neuen Generationen immer wieder entdeckt als das so ziemlich Unglaublichste, was Rockmusik je hervorbrachte. Doch nimmt in den letzten zehn Jahren die Entdeckerfreude für dieses Werk von zirka einem Dutzend immer noch exzeptionell gewaltiger Alben deutlich ab. Beefheart gewinnt keine Fans mehr hinzu.

Der brachiale Individualismus, der exzessive Machoeigensinn, die Abgründe altweltlichen Künstlerwahnsinns sind alle keine besonders hoch gehandelten Attraktionen mehr für eine Generation, die an obskuren Schätzen der Vergangenheit eher Atmo und Weirdness mag. Zu nahe tritt die monumental individuelle Stimme dem Hörer, zu persönlich kommen der hochmögende Sondersurrealismus und die animalisierende Naturlyrik des Captains und die abgedrehten Polyrhythmen der Magic Band heute rüber.

Captain Beefheart (bürgerlich Don Van Vliet) trat erstmals Mitte der sechziger Jahre mit der Magic Band an die Öffentlichkeit. Die Mischung aus zähen Blues-Phrasierungen und abstrakten, dem Freejazz verwandten Unisono-Freakouts brachten dem heute 69-jährigen Sänger und Saxofonisten den Ruf eines schwierigen Künstlers ein. Frank Zappa, mit dem Beefheart zur Schule ging, veröffentlichte die beiden Meisterwerke "Trout Mask Replica" (1969) und "Lick my Decals off, Baby (1970). Beefheart zog sich 1982 aus dem Musikgeschäft zurück und arbeitet seither als bildender Künstler.

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John "Drumbo" French trat der Magic Band 1966 als 17-Jähriger bei und spielte in wichtigen Bandperioden das Schlagzeug. Seit 1982 ist er auch mit anderen Musikern und als Solist aktiv.

Auch wenn man heute Beefheart hört, lädt man sich einen zudringlichen, verwirrend präsenten Künstler ins Haus. Die irren Beats sind nicht einfach schlau gedacht, sie werden von Typen unter Schmerzen und rauem Gelächter wirklich gespielt, die es sehr, sehr ernst meinen - und zugleich irgendwie zombiehaft nicht wissen, was sie tun.

Die Stütze des Exzentrikers

John French hat sich von Beefheart, so kann man es wohl sagen, sein Leben über weite Strecken ruinieren lassen, zugleich hat dieser endlos unterhaltsame Exzentriker Frenchs Existenz einen Sinn gegeben. Trotz aller Demütigungen, Ausschließungen und Ausbeutungen ist French, den Beefheart Drumbo taufte, immer wieder zu ihm zurückgekehrt - und Beefheart war auf ihn angewiesen.

Beefhearts Magic Band funktionierte nie ohne einen musikalischen Direktor, einen Freund, der Beefhearts Idiom aus wortreichen Erklärungen, kurzen Pianoskizzen und Vorführungen auf Küchengeräten in eine Sprache übersetzen konnte, die Musiker verstehen. Drumbo war darin wohl führend: Er erstellte etwa eine Art Partitur für das neben seinem unmittelbaren Nachfolger "Lick My Decals Off, Baby" wohl immer noch umwerfendste Beefheart-Album, das Doppelalbum "Trout Mask Replica" - und fiel dabei in Ungnade: Noch heute hat er keinen Credit auf dem Album. Wer spielt das überpräsente Schlagzeug? Auf dem Drag-surrealen Bandfoto fehlt Drumbo wie Trotzki nach Stalins Retusche.

Dennoch war Drumbo vor ein paar Jahren die treibende Kraft hinter einer Art historisch-kritischen Ausgabe von "Trout" nebst anderen Raritäten auf 5 CDs, genannt "Grow Fins". Die Liner Notes zu diesem Projekt bestehen aus Erinnerungen und Interviews, in denen sich French um detaillierte Rekonstruktion von schwer rekonstruierbaren Abläufen bemüht. Die stellen auch den Kern seines nun erschienenen, eng bedruckten 880 Seiten starken Schmökers "Beefheart: Through The Eyes of Magic" dar.

Rache am Genie

Man könnte sagen, es ist die Rache ultragenauer Erbsenzählerei an einem ebenso herrischen wie kränkelnden Genie, das wohl zu gleichen Teilen unerschöpflicher Quell köstlicher Einfälle ist wie ein trostloser Angeber, der immer wieder dieselben Geschichten erzählt. Ausgerechnet Beefheart, bürgerlich Don Van Vliet, der sein ganzes Leben hinter einer Kette von Mythen und Halbwahrheiten versteckte, wird hier von Autofahrt zu Supermarktbesuch minutiös von seinem Alltag her rekonstruiert.

Doch eine Rache ist es nicht, Drumbo hat die besten Absichten. Die Welt soll wissen, wie das wirklich war. Da lesen sich manche Geschichten, von denen man schon mal Teilstücke gehört hatte, ganz anders. Der in den meisten Biografien erwähnte berühmte portugiesische Bildhauer, der den jungen Don in der Grundschule entdeckt und mit Förderstipendien eingedeckt haben soll, war mit Sicherheit nicht berühmt, wenn überhaupt Bildhauer, falls er denn je existierte. Wahr scheint hingegen zu sein, dass der Umzug der Familie Van Vliet vom fast urbanen Glendale ins hoffnungslos abgelegene Wüstenkaff Lancaster viel damit zu tun hatte, dass die Familie den jungen Don vor dem Einfluss der Homosexualität retten wollte, der angeblich von allen Künstlern ausgeht.

In Lancaster leben zu dieser Zeit aber nicht nur der junge Zappa und der junge, in frühen Magic-Band-Ausgaben brillierende, von den Umgangsformen unter den Freaks aber eingeschüchterte Gitarrist Ry Cooder, auch die nahezu komplette erste Besetzung der Magic Band existierte bereits, Beefheart brauchte sie sich nur unter den Nagel zu reißen.

French selbst ist stolz auf die Prominenten, von Ornette Coleman bis Paul McCartney, die den Weg der Magic Band kreuzen. Aufregender für den Leser dieser nichts auslassenden Rekonstruktion ist aber, dass die ganze südkalifornische Weirdness-Schule das Werk einiger weniger sich immer wieder begegnender Schulfreunde war. Beefheart und Zappa waren nur die bekanntesten. Diese mögen sich alle nicht besonders, sind aber oft überraschend hilfreich und vor allem treu: Man hängt aneinander, als wäre der Welt da draußen, auf die man doch nun wirklich einen gewaltigen Einfluss hatte, nicht richtig zu trauen. French, der nicht die einzige Stimme in dieser zwischen Tagebuchaufbereitung und Oral History schwankenden Studie ist, der den Beteiligten, ihren Managern, ihren Plattenfirmen, ja der ganzen Generation Weltverlust attestiert, findet auch selbst nichts so richtig wichtig, was außerhalb dieser südkalifornischen Verschwörung so passierte.

Auf Geständnisdroge

Einerseits ist der positivistische Lebensfragmentesammelwahn faszinierend wie Pynchon auf Geständnisdroge. Andererseits hätte die Konzentration auf ein paar übergeordnete Fragen gut getan. Die Vorgeschichte des LA-spezifischen Phänomens Freaks und Freak Out, der Einfluss von wenig dokumentierten und auch hier eher am Rande behandelten Missing Links zwischen Freak Out, Fluxus und Freie-Liebe-Sekten wie den legendären Typen Vito und Carlo Franzoni, die immer mal wieder in einschlägigen Geschichten auftauchen, hätte etwas mehr Systematik vertragen können.

Dafür erzählt das Buch anekdotisch und im Klartext, wie unter günstigen Bedingungen haltlose Angeberei und Geniedarstellertum mit genügend begabten Gläubigen genau das erreichen, was das große Ego erstrebt - unter beträchtlichen sozialen Kosten, versteht sich. Das Ziel ist ja, etwas ganz und gar Unglaubliches auf die Beine zu stellen, das sich aber nicht einfach als Privatwahnsinn herausstellen darf und deswegen der Bandform bedarf: permanente empirische Bestätigung durch wiederholbare soziale Rekonstruktion des Wahnsinns. Deswegen haben Bands immer mal wieder die beste Kunst des Planeten machen können. Jeder kann behaupten, ein kompletter Alien zu sein, der alle Regeln auf den Kopf stellt, aber nur eine Band kann das ratifizieren. Alles, was es braucht, sind glückliche Fügungen, um die fragile soziale Skulptur als Musik zu dokumentieren.

Dass die Ergebnisse dann allen zur Verfügung stehen, den vielen begeisterten, verwirrten, rätselnden, Anschlüsse bildenden Fans, entzieht dem Arcanum irgendwann die Struktur. Wenn zu viele Leute zu viel wissen über die Leiter, mit der einer auf den Geniethron geklettert ist (oder darauf projizieren), fällt die soziale Konstruktion des großen Mysteriums in sich zusammen. Jetzt müsste man sie eigentlich als absolute Kunst genießen können. Doch schwappt auch heute noch beim Hören von "The Dust Blows Forward And The Dust Blows Back" zu viel ungeklärte soziale Energie aus den Lautsprechern. Das vermiest den Retrokulten von heute den reinen Genuss.

John "Drumbo" French: "Beefheart: Through the Eyes of Magic". Proper Music Publishing, London, 2010, 880 S., 19,95 £

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