Islands Medienlandschaft: Zombies und eine Retterin

Während der Finanzkrise gaben die Zeitungen kein gutes Bild ab. Eine ehemalige Kunsthändlerin macht nun ein Boulevardblatt zur unabhängigen Alternative.

Wachrütteln will die DV die IsländerInnen. Bild: sanehls / "photocase"

REYKJAVÍK taz | Die Retterin der isländischen Presse verdiente ihr Geld mit nackten Brüsten. Lilja Skaftadóttir war Kunsthändlerin, verkaufte Skulpturen - etwa von Dalí und Rodin -, jetzt gehört ihr zu großen Teilen DV, die Boulevardzeitung Islands. Mit ihr will die 51-Jährige ihre Landsleute aufklären, über Europa zum Beispiel, jetzt, da die EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Inselstaat im Nordatlantik begonnen haben. Die Mehrheit der rund 320.000 Isländer lehnt es ab, Teil der EU zu werden - sie wollen ihre Fischbestände für sich haben und überhaupt die Unabhängigkeit. Die Vorurteile sind riesig.

"Sie können ja dagegen sein - aber sie sollten wissen, wogegen und warum", sagt Lilja Skaftadóttir. Deshalb hat sie gemeinsam mit dem Chefredakteur Reynir Traustsson DV gekauft, um aus dem Boulevardblatt die einzige wirklich unabhängige Tageszeitung Islands zu machen.

Lilja Skaftadóttir sitzt in der "Islenski Barinn" im Herzen Reykjavíks, an den Wänden hängen Schwarzweißfotos isländischer Bauern, eine Ahnengalerie. "Wir lebten in einer sehr geschützten Umgebung", sagt sie. "Die Isländer hielten sich für die Besten und die Politiker konnten alles behaupten, ohne Argumente." Seit der Krise ist das anders. Die Isländer sind misstrauisch geworden. Und das Vertrauen in die Medien, vor allem in die Tageszeitungen, ist erschüttert.

Es war Zeit, zurückzukehren aus Frankreich, wo sie die meiste Zeit wohnte, fand Lilja Skaftadóttir. Sie engagierte sich in der Bürgerbewegungs-Partei, die bei den Wahlen 2009 auf Anhieb 7 Prozent der Stimmen bekam, sie produzierte den Film "Maybe I should have", der die Hintergründe des Bankenzusammenbruchs beleuchtet - und sie kämpft nun für eine neue Verfassung, eine vom Volk für das Volk.

"Ich will eine offene und reflektierte Diskussion in der Gesellschaft", sagt die, ja, was ist sie? Politikerin? Aktivistin? Verlegerin? Von allem ein bisschen. Und Aufklärerin will sie sein: "Die Menschen müssen Bescheid wissen." Dafür seien die Medien da.

Morgunbladid: Die 1913 gegründete Zeitung ist das traditionelle Presseorgan der Unabhängigkeitspartei. Mit dem neuen Chefredakteur David Oddsson ist die Auflage drastisch auf 30.000 gesunken.

Frettabladid: Die Gratiszeitung erscheint seit 2001, pro Ausgabe werden 90.000 Exemplare verteilt. Hinter dem Verlag 365 steckt das in den Bankenskandal verstrickte Ehepaar Jon Asgeir Johannesson und Ingibjörg Pálmadóttir.

DV: Das Boulevardblatt der Kunsthändlerin Lilja Skaftadóttir profiliert sich mit unabhängiger Recherche. Auflage: 14.000.

Da ruft sie schon mal in der DV-Redaktion an und fordert, dass für die Kommunalwahlen in Reykjavík alle Parteien in gleichem Umfang in der Zeitung vorkommen müssen. "Das hat die Leute überrascht." Die Leser haben es goutiert, die Zahl der Abonnenten stieg um 20 Prozent auf 7.000, die Auflage liegt bei 14.000. Auch wenn es seltsam anmutet, dass DV, früher so was wie die isländische Ausgabe der englischen Sun, nun hinter den gleichen großen Buchstaben unabhängige Recherchen bringt. "Das ist okay", sagt Lilja Skaftadóttir, "es ist eine Zeitung für die Straße. DV ist nicht so seriös und traditionell wie die anderen Zeitungen." Dafür ist sie unabhängig - und die Eigentümerin will es auch bleiben. Zwei Parteien boten ihr bei den Kommunalwahlen vordere Listenplätze an, sie lehnte ab. Das verblüffte viele.

Dabei schuf ausgerechnet die Unabhängigkeitspartei jahrzehntelang als wichtigste politische Kraft vielfältige Abhängigkeiten. Morgunbladid, die ehemals größte und wichtigste isländische Tageszeitung, war das traditionelle Parteipresseorgan. Doch sie war auch in weniger konservativen Kreisen angesehen - bis die neue Haupteigentümerin, die Witwe eines Fischquotenbesitzers, vor rund einem halben Jahr David Oddsson zum neuen Chefredakteur machte.

Der ehemalige Regierungschef - von 1991 bis 2004 - war nicht nur für die Privatisierung der Banken verantwortlich, sondern als Zentralbankchef auch eine der zentralen Figuren der Krise. Seitdem rast Morgunbladid abwärts: 10.000 der ehemals 40.000 Abonnenten hat das Blatt verloren, 40 Prozent der Angestellten mussten gehen. Eine ganze Reihe verließ die Zeitung freiwillig, zuletzt die Nachrichtenredakteurin. Sie protestierte damit gegen die Schlagzeile "Die Banker sind schuld". Damit blendete die Zeitung - ganz im Sinne des Chefredakteurs - bei den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses zur Finanzkrise die Rolle der Politik aus.

Vom Aufstieg berauscht

Die Medien kommen nicht gut weg in diesem Report, sie hätten zu positiv berichtet über die boomende Bankenbranche. Auch Jón Kaldal ist Teil des Berichts. Er war damals Chefredakteur von Frettabladid, der dritten und mit rund 90.000 Exemplaren nun größten Zeitung Islands. Ein Gratisblatt, das im Verlag 365 erscheint, der Ingibjörg Pálmadóttir gehört. Ihr Mann, Jon Asgeir Johannesson, ist der David Oddsson der Finanzelite, Hauptaktionär der zusammengebrochenen Glitnir-Bank. Der Umgang mit diesen Eigentümern war mit ein Grund, warum Jón Kaldal bei Frettabladid gegangen wurde, sagt er. Und zugleich gesteht er ein: Kritisch berichtet haben er und seine Kollegen während des Booms nicht: "Die isländischen Medien waren zu sanft zu den politischen Parteien und Finanzgrößen - wie alle. Das ist ein perfektes Beispiel dafür, dass die Medien der Spiegel der Gesellschaft sind."

Und Informanten aus Firmen oder Institutionen, die die Journalisten auf Skandale hätten aufmerksam machen könne, die habe es einfach nicht gegeben. "Jetzt kommt viel mehr Information nach außen - die Journalisten sind nicht investigativer geworden, sie kommen nur viel leichter an das Wissen ran", sagt Kaldal. Allerdings gebe es nun eine Tendenz, dass Dinge, die als Nachrichten verkauft werden, eigentlich nur die Meinung des Journalisten darstellen: "Es ist so, als würden einige aus einem Schuldgefühl heraus nun viel aggressiver schreiben." Und Morgunbladid sei mit Oddsson an der Spitze für ernstzunehmende Journalisten sowieso ruiniert.

Umso mehr versuchen die Redakteure bei Frettabladid, das von mehr als 70 Prozent der Isländer gelesen wird, seriösen Journalismus zu machen. Doch wie unabhängig kann man berichten über den, der die Löhne zahlt? Die Redakteure versuchen, sich vom Finanzwikinger Johannesson freizuschreiben. "Die Zeitungen sind in einer Umbruchphase", sagt Kaldal dazu.

"Sie sind Zombies", sagt Egill Helgason. Der Journalist sorgt mit seiner Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen für Debatten und seine Blogs sind inzwischen so erfolgreich und einflussreich, wie Morgunbladid es einmal war. Um diese Zeitung trauert Helgason. "Sie hat eine so glorreiche Geschichte", sagt er. Doch nun wolle vor allem David Oddsson seine eigene Geschichte umschreiben - und seine Anti-EU-Politik durchsetzen. Und Frettabladid sei ihm als Gratiszeitung ohnehin suspekt.

"Deshalb ist das Experiment mit DV so wichtig", sagt Helgason. Als eine Art "Boulevard-Finanz-Aufklärungsblatt" mache es einen guten Job. Auch wenn es dauern werde, bis die Leser sich umgewöhnt haben. Noch erscheint DV nur drei Mal die Woche, mehr Geld ist nicht da. "Aber es ist die beste Zeitung, die wir gerade haben", sagt Helgason.

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