Medienstreit in Österreich: "Retten wir die Futurezone"

Das renommierte Online-Portal Futurezone soll zum 30.9. eingestellt werden – das neue ORF-Gesetz schreibt das vor. Aktivisten und Politiker von ÖVP bis Grüne kämpfen weiter.

Mit ihr ist es wohl bald zu Ende: Die Futurezone. Bild: screenshot futurezone.at

Seitdem das österreichische Parlament am vergangenen Donnerstag das neue ORF-Gesetz beschloss, steht das renommierte Online-Magazin "Futurezone" vor dem Aus. Seit elf Jahren wird auf futurezone.orf.at über zentrale Fragen der digitalen Gesellschaft berichtet: Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung, Urheberrecht. Flankiert von genuiner Technik-Berichterstattung jenseits des mainstreamigen "Apple gegen Google". Zweites Pfund: Eine expliziter Blick auf Europa, für Österreich überhaupt nicht selbstverständlich.

Ende September kommt wohl das Ende. Aktivisten und Politiker von ÖVP bis Grüne beklagen einen "Deal" beim ORF-Gesetz und versuchen weiterhin, das Magazin zu retten. Ein Teil des neuen ORF-Gesetzes ist eine schlichte Umsetzung europäischen Rechts. Auch in Deutschland wurde die Europa-Regelung umgesetzt, die hatte zur Folge, dass die Öffentlich-Rechtlichen Inhalte nur sieben Tage vorhalten, keine Spiele anbieten und das Online-Angebot einschränken müssen.

Kritiker sagen, dass schon in Europa die privaten Zeitungsverlage "ihre Hände im Spiel" gehabt haben sollen. Und auch beim neuen ORF-Gesetz hätten die ganz vorne "mitgedealt". Weil ihnen der ORF zu starke Konkurrenz mache. Der bekommt mit der Verabschiedung des ORF-Gesetzes nochmal 160 Millionen mehr – muss dafür aber zum Teil absurde Einschränkungen hinnehmen.

Ursprünglich war es geplant, im Gesetz vorzuschreiben, dass die ORF-Regional-Webseiten nur 10 Meldungen pro Tag tickern dürfen – nun ist eine Limitierung von 80 pro Woche verankert. Während die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland auf ihren Internetangeboten gar keine Werbung schalten dürfen, handelte der ORF ins ORF-Gesetz eine Beschränkung auf einen bestimmten Prozentsatz der Gebühren hinein. Analog wie in Deutschland: der ORF darf keine Spiele anbieten und muss das Online-Angebot insgesamt einschränken.

Skurril: Verlinkungen auf Soziale Netzwerke und Kooperationen mit solchen sind dem ORF gesetzlich untersagt. Und: Die Magazine Futurezone und ein ORF-Modemagazin sind explizit im Gesetz erwähnt. In Zukunft darf es nur noch Online-Magazine geben, die "sendungsbegleitend" sind. Das Aus für die renommierte Futurezone, die kein direkten Gegenpart im Rundfunk hat, das wöchentliche Magazin "Matrix" behandelt allerdings ähnliche Inhalte.

Strasser (ÖVP): "Futurezone soll voll erhalten bleiben"

"In diesem Bereich gibt es zu wenig objektive, kritische Information", sagt der ehemalige österreichische Innenminister und heutige Europaparlamentarier Ernst Strasser (ÖVP). Strasser, der selbst 10 Jahre im Stiftungsrat des ORF war und sich für die Weiterentwicklung des Öffentlich-Rechtlichen interessiert, wie er sagt, "bedauert die Gerüchte, dass die Futurezone eingestellt werden soll", spricht von einem "billigen Deal", dem die Futurezone geopfert werden soll und hat deswegen "schon einige Telefonate geführt". Strasser will, dass die Futurezone "im vollen Ausmaß erhalten" bleibt.

Dass sich politisch noch etwas tun lässt, daran glaubt der Technikfreak Michael Eisenriegler längst nicht mehr. "Fakt ist: Die Futurezone wird zum 30. September abgedreht". Eisenriegler hat mit zwölf anderen eine Petition gestartet, die sich für den Erhalt des renommierten Online-Magazins einsetzt. Auch gründete Eisenriegler eine Facebook-Gruppe namens "Retten wir die Futurezone".

Petition für die Futurezone

Die Aktivisten um Eisenriegler wollen die Futurezone "in die Community überführen" und als unabhängiges Online-Medium weiterführen. Eisenriegler glaubt, die Werbeeinnahmen seien "ja nicht schlecht", man wolle dann eine Genossenschaft gründen oder einen Verein, das sei noch nicht entschieden. Die Petition fordert unter anderem sämtliche Marken- und Namensrechte an der Futurezone, die Domain futurezone.at, das Archiv, also die Datenbank mit den Inhalten der Futurezone seit ihrer Gründung, sowie sämtliche zum Weiterbetrieb nötigen Informationen. Eisenriegler sagt "Das ist kein Geschäft, mit dem man reich wird". Den Petenten gehe es darum, "die Marke Futurezone zu retten" und wollen über die Petition mit dem ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz ins Gespräch kommen.

Der hat sich allerdings schon am Tag, als das Gesetz beschlossen wurde, gegenüber dem Standard, der größten österreichischen Zeitung, mit "Die Futurezone wird abgedreht – na und?" geäußert. Man werde die Inhalte dann eben an anderer Stelle bringen, so Wrabetz lapidar. Das sehen nicht alle im ORF so. Der ORF-Redakteurssprecher Fritz Wendl sagte, die Einstellung der Futurezone "würde es dem ORF unmöglich machen, den Gebührenzahlern im Internet zu bieten, was diese selbstverständlich von diesem Medium erwarten“.

Eine Rettung der Sendung wäre möglich, sagt der österreichische Grüne Christoph Chorherr. Aber nicht, indem man die Futurezone privatisiere, so wie es die Aktivisten um Eisenriegler wollen, sondern direkt beim ORF. "Wenn der ORF mutig wäre, würde er eine Sendung zum Thema machen und die Inhalte auf der Futurezone spiegeln", so Chorherr und erinnert an "Matrix". Daran, dass die Content-Industrie die Futurezone auf Grund ihrer "scharfen" Berichterstattung weghaben wollte, wie manche sagen, glaubt er nicht. Eher daran, dass die Zeitungsverlage alles weghaben wollen, was nach Internet aussieht, "denn Internet, das ist für die gefährlich". Dass die Werbung, die nicht beim ORF geschaltet würde, dann zu den privaten Zeitungen ginge, sei ökonomisch nicht zu Ende gedacht, "das geht dann eher zu Google".

Zeitungsverband beklagt "Cross-Promotion"

Der Geschäftsführer des Verbands der österreichischen Zeitungen (VÖZ), Gerald Grünberger, kann den Aufschrei um die Futurezone nicht verstehen. Er sagt, der ORF könne doch einfach eine Sendung machen namens Futurezone "und alles wäre okay". Grünberger beklagt gleichzeitig eine Übermacht des ORF. "Die machen alles, was Private auch machen könnten". Mit 580 Millionen Euro mache der ORF privaten Anbietern Konkurrenz – und das sei für den kleinen österreichischen Markt sehr, sehr viel Geld. Der ORF betreibe im Rundfunk "Cross-Promotion" für seine Online-Angebote, eine ORF-Moderatorin habe zum Beispiel "aufgerufen, Facebook-Freundschaften zu machen".

Der Streit zwischen Anhängern von Öffentlich-Rechtlichen und den Fans privater Medien ist in Österreich nicht neu. Bei der Einführung des Videotextes gab es ganz ähnliche Auseinandersetzungen zwischen dem VÖZ und dem ORF – mit dem Ergebnis, dass der VÖZ nach zwei Jahren ausstieg, als sich herausstellte, dass das Videotext-Geschäft sich nicht finanziell lohnt. Emotionaler auch, weil es in Österreich nicht so viele starke Zeitungen gibt wie in Deutschland. Die Befürworter eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks sorgen sich um die Bildung im Land und befürchten eine Boulevardisierung, wenn die privaten Zeitungen in Österreich mehr an Gewicht gewinnen.

"Schmerzvoll für die gesellschaftliche Entwicklung"

"Schmerzvoll für die gesellschaftliche Entwicklung", nennt deswegen der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell das Ende der Futurezone, "eine mutwillige Zerstörung einer besonderen Journalismuskultur". Es sei sehr schade, dass die Medienpolitik dem Deal zugestimmt habe. Eine Community-gesteuerte Lösung ist für ihn nur eine Notlösung, "das mündet ins Prekariat".

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