Entwicklungshilfe: Dirk Niebel ist Jahrtausendziel egal

Vor zehn Jahren versprachen Regierungschefs aus aller Welt, die Zahl der Armen zu halbieren. Jetzt ist klar, dass Deutschland seine Zusagen nicht halten wird. Nur der Minister gibt das nicht zu

Er ist zufrieden: Dirk Niebel bei seinem Besuch eines Krankenhauses in Tansania. Bild: dpa

Tansania ist eines der Lieblingsländer der deutschen Entwicklungspolitik, selbst Minister Dirk Niebel war schon einmal dort; Fortschritte schauen. Auf "gutem Weg" befinde sich Tansania, resümierte der FDP-Mann nach kurzem Aufenthalt im April, stieg in seine Regierungsmaschine und flog wieder davon.

Ein Krankenhaus hat Niebel in dem ostafrikanischen Land auch besucht, erstaunlich, dass die Laune des Ministers danach offenkundig ungetrübt war. 950 Frauen sterben in Tansania nach Angaben der UNO statistisch auf 100.000 Geburten, in Europa sind es gerade eine oder zwei. Es ist eine erschreckende Zahl, aber in Afrika liegt Tansania damit nur wenig über dem Durchschnitt.

Um Probleme wie die Müttersterblichkeit zu verringern, haben Regierungschefs aus aller Welt vor zehn Jahren die Millenniumserklärung unterschrieben. Der Maßnahmenkatalog verlangte von Deutschland mehr Effektivität, die Halbierung der Armut und vor allem: ein Bekenntnis zu einer Erhöhung der Hilfsgelder. Bis 2015 wollte Deutschland die Mittel auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung steigern. Doch jetzt ist klar: Das Ziel wird Deutschland nicht erreichen. "Die Zahlen sind eindeutig", sagte Niebels FDP-Parteikollege, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Haushälter Jürgen Koppelin der taz.

Für Beobachter ist das Ergebnis nicht überraschend. Im Herbst zog Niebel in ein Ministerium ein, das er eigentlich abschaffen wollte. Wochenlang beschäftigte er sich vor allem damit, das Ministerium personell umzukrempeln und Fachleute durch loyale Parteisoldaten zu ersetzen. Inhaltlich setzte er kaum Akzente. Im Gedächtnis blieb vor allem seine Forderung, Nichtregierungsorganisationen hätten mit der Bundeswehr zu kooperieren, wenn sie weiter Entwicklungsgelder beziehen wollen. Bereits vor Monaten hatte sich Dirk Niebel intern auch von den Finanzierungszielen verabschiedet. Die SPD-Entwicklungspolitikerin Bärbel Köfler kritisiert die fehlende Motivation des Ministers: "Niebel hat nie ein Interesse daran gehabt, spürbar neue Gelder für Entwicklungshilfe zu erkämpfen", so Kofler, "er kümmert sich lieber um die eigenen Parteileute."

Nach außen gibt der Minister aber weiter den Kämpfer: "Die Bundesregierung steht zu ihren internationalen Verpflichtungen und hält ausdrücklich an dem Ziel fest", ließ er noch vor kurzem verbreiten, ähnlich äußerte sich sein Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz letzte Woche.

In Ministeriumskreisen wird nun geklagt, Niebel "kommt die Weltwirtschaftskrise zur Hilfe" - weil er damit begründen könne, warum er die Vorgaben nicht erreichen kann.Tatsächlich kam Niebel die Krise im letzten Jahr auf andere Weise zugute: Durch die sinkende Wirtschaftsleistung stieg der prozentuale Anteil der Entwicklungsgelder an - ohne dass ein Euro mehr ausgegeben wurde. Zudem bucht Niebel seit einiger Zeit Gelder für den Klimaschutz in seinen Etat, die nach Meinung von Experten dort nicht hineingehören. Trotz dieser Tricks ist Niebel kaum weitergekommen. 0,4 Prozent zahlt Deutschland in diesem Jahr. Perspektive: fallend.

Niebel selbst feiert in dieser Woche die Ergebnisse der Sparrunde als eigenen Erfolg. Es sei gut, das "die Kanzlerin nicht bei den Ärmsten der Armen spart", sagte der Minister beim Treffen des CDU-Wirtschaftsrates am Mittwoch in Berlin. Angela Merkel ist allerdings schon vorsichtig geworden: Es sei "sicher keine leichte Aufgabe", die Ziele zu erreichen, sagte sie am Montag in Berlin.Was Niebel verschweigt, ist, dass die Mittel für sein Ressort noch nicht einmal stabil bleiben. Sie werden sinken.

In einem Schreiben von Finanzstaatssekretär Werner Gatzer vom 18. Mai, das der taz vorliegt, fordert das Finanzministerium auch von Niebels Ministerium Einsparungen. Demnach muss Niebel bis zum Jahr 2013 mindestens 51,7 Millionen einsparen. "Wir werden die Ziele im Leben nicht erreichen", heißt es selbst aus Kreisen des Entwicklungsministeriums.

Schon seit Wochen ist die Opposition misstrauisch: In einer parlamentarischen Anfrage verlangte die SPD-Politikerin Bärbel Kofler mit ihrer Fraktion eine klare Aussage aus dem Ministerium, ob die Finanzierungszusagen gelten würden. Die Antworten waren dürftig, das Ministerium verwies auf laufende Budgetverhandlungen. Nur zwischen den Zeilen war erkennbar, dass der Stellenwert des Zieles gesunken ist. "Es gibt keine interne Planung für eine Steigerung", schrieben die Beamten am 20. Mai. "Immer wieder versucht der Minister, sich rauszureden", sagte Kofler, "Niebel traut sich nicht, Farbe zu bekennen."

Dies fordern nun selbst führende Kollegen aus der Koalition - die Niebels positive Aussagen zu dem Ziel zunehmend weniger verstehen. "Er kann das natürlich sagen", kommentiert der FDP-Politiker Jürgen Koppelin gegenüber der taz, "aber wenn die Leute die Wahrheit wissen sollen, dann müssen wir klarmachen: Nein, das Ziel ist nicht erreichbar." Für Koppelin ist dies auch nicht neu: "Das wusste jeder."

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Christian Ruck, sagt: "Ich kann nicht ausschließen, dass wir das 0,7-Ziel bis 2015 wegen der Finanzkrise nicht schaffen werden." Er habe Vorschläge gemacht, wie man auch bei knapper Finanzlage an dem Ziel festhalten könne. "Es ist ja schon ein Erfolg, dass im neuen Haushalt nicht gekürzt wurde."

In seiner erst achtmonatigen Amtszeit ist Niebels schleichende Abkehr vom 0,7-Prozent-Ziel bereits der zweite Paradigmenwechsel. In einer seiner ersten Amtshandlungen hatte er Ende November seinem Haus die Abkehr von der Finanztransaktionssteuer verordnet - einer Steuer, die einst über die Organisation Attac den Weg ins Entwicklungsministerium gefunden hatte und dort lange gefördert wurde - bis die FDP das Ressort nach der Bundestagswahl übernommen hat. Durch die Steuer sollte Entwicklungsländern zusätzlich geholfen werden. Doch Niebel lehnte mit Blick auf sein Parteibuch ab.

Welche Auswirkungen Deutschlands butterweiches Engagement für die Entwicklungspolitik hat, wird der September zeigen. Dann tagt in New York die UNO, um über den Fortschritt der Millenniums-Entwicklungsziele zu beraten. Schon 2005, bei der letzten Zwischenkonferenz, war es allein der rasanten Entwicklung in Asien zu danken, dass die Armut global gesunken ist. Doch damals wie heute steigt in vielen Ländern Afrikas die Armut wieder.

Immerhin verpflichteten sich die Regierungschefs erneut zu höheren Entwicklungszahlungen - an denen Niebel jetzt scheitert. "Bei dem Gipfel wird Deutschland die Hosen runterlassen müssen", fürchtet die Grünen-Entwicklungsexpertin Ute Koczy. "Aussichtslos" sei in Afrika die Möglichkeit, die Armut zu halbieren, sagt auch der Afrika-Experte Helmut Asche von der Universität Leipzig: "Noch immer stirbt in Afrika jedes sechste Kind."

International steht Deutschland zunehmend in der Kritik. Bereits im Februar hatte die OECD einen Zwischenstand über Entwicklungsfinanzierung vorgelegt - mit für Deutschland ernüchternden Ergebnissen. 16 von 23 Ländern hielten demnach die Verpflichtungen bei der Entwicklungshilfe ein - trotz der Finanzkrise. Darunter Länder wie die Niederlande und die Skandinavier.

"Das gibt zu denken Anlass", betonte damals der Vorsitzende des OECD-Entwicklungsausschusses, Eckhard Deutscher, in einem Interview im Deutschlandfunk. "Die globale Verantwortung schleicht sich nicht davon, wenn wir eine Wirtschaftskrise bekämpfen." Deutscher gilt in der Entwicklungsszene als Kritiker Niebels. Immer wieder hatte er angemahnt, dass Deutschland seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen habe.

In dieser Woche hat Niebel reagiert. Eckhard Deutscher muss die OECD verlassen, der Minister hat ihn abberufen. Zu viel Kritik an der Regierung, wie die taz erfuhr. Ende des Jahres muss Deutscher gehen. Ein Kritiker weniger für Dirk Niebel.

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