Komödiantisches Talent

PORTRÄT Katja Oskamp ist eine der lustigsten Autorinnen, die man derzeit treffen kann. Ein Gespräch beim Spazieren um den Berliner Schlachtensee, über Ost- und Westmänner und unterschiedliche Moralvorstellungen

Nicht eben die Vorstellung von Sexualität, wie Literatur sie gemeinhin transportiert

VON WIEBKE POROMBKA

Am liebsten würde man mit Katja Oskamp einfach quatschen. Übers Umziehen, übers Joggen, darüber, ob man mit den Nachbarn befreundet sein sollte oder besser nicht, über Kinder und vor allem natürlich: über Männer. Ostmänner zum Beispiel, die sind einfach handfester und sagen schon mal, dass sie einem auf den Arsch gucken. Das würde einem Westmann doch nie über die Lippen kommen.

Katja Oskamp lacht auf, nicht schallend, eher glockig und sehr ansteckend, und holt erst mal zwei Äpfel aus ihrer Tasche. Der Weg um den Schlachtensee dauert schließlich eine ganze Weile, anderthalb Stunden mindestens, die S-Bahn-Fahrt von Friedrichshain hat auch schon eine Stunde gedauert, und wer weiß, das nächste Café lässt bestimmt auf sich warten. „Sehen Sie“, Oskamp deutet auf ihre Wanderschuhe und verdreht auf unnachahmlich lustige Weise – verführerisch, ironisch und mit gespielter Unbedarftheit – die Augen: „Ich bin auf alles vorbereitet.“

Genüsslich berlinern

Oskamp, die 1970 in Leipzig geboren wurde und in Ostberlin aufgewachsen ist, ist zweifelsohne nicht nur eine der unprätentiösesten Autorinnen, die man derzeit treffen kann. Sie ist auch eine mit großem komödiantischem Talent. Das weiß man aber eigentlich auch schon, wenn man ihre Bücher gelesen hat. Drei sind es mittlerweile, und wenn Oskamp zumindest ein kleines bisschen prätentiös wäre, könnte sie diese Bücher eine Trilogie nennen. Denn sowohl ihr erster Erzählungsband, „Halbschwimmer“, der 2003 erschien (ihre Abschlussarbeit am Leipziger Literaturinstitut), als auch ihr Debütroman, „Die Staubfängerin“ von 2007, drehen sich um das Leben derselben Figur: Tanja Merz. Episoden aus DDR-Kindheit und Jugend im Erzählungsband, im Roman mutiert Tanja dann von einer jungen, brennenden Dramaturgin am Rostocker Theater zu einer putzsüchtigen Mutter und Ehefrau in einem Reihenhaus in der Rostocker Vorstadt – bis sie schließlich Kind und Koffer packt und sich nach Berlin-Weißensee absetzt.

Nachdem der Schweizer Ammann Verlag sein Programm eingestellt hat, ist Oskamps neuer Roman, „Hellersdorfer Perle“, nun bei Eichborn erschienen. Die Protagonistin heißt zwar nicht mehr Tanja Merz, sie ist namenlos. Nichtsdestotrotz aber hat man es hier, wenn auch nicht mit einer Anschlusserzählung, so doch mit der Variation von Motiven und Konstellationen zu tun, die bereits in den beiden ersten Büchern auftauchen. Wiederum gibt es eine Theatervergangenheit, wiederum gibt es ein Kind und dazu einen Mann, mit dem die Erzählerin es nicht aushalten kann.

Micha heißt er in diesem Fall, ist ein wenig erfolgreicher Theaterkritiker, rührseliger Vater, der nicht nur das Kind ins Bett bringen, sondern ihm ohne Weiteres auch noch ein Abendbrot zubereiten kann, und, anders als sein Beruf es vermuten ließe, die Ausgewogenheit in Person. Kurzum, er ist einer der Männer, die das Wort „Arsch“ vermutlich noch nicht einmal denken würden, geschweige denn ihre Hand auf ebendiesen legen.

„Finden Sie manche Reaktionen auf die ‚Hellersdorfer Perle‘ nicht auch seltsam?“, fragt Oskamp und kramt in ihrer Tasche nach einer neuen Zigarette (es wären auch noch zwei Äpfel da). Eigentlich sagt sie: „Findense.“ Wenn Oskamp berlinert, dann macht sie das geradezu genüsslich. Natürlich hat es sehr viel positive Resonanz auf das Buch gegeben. Aber über die negativen Reaktionen habe sie sich doch sehr gewundert. Nicht weil sie negativ, sondern weil sie so pikiert sind. Manchmal richtig beleidigt. Als ob sie ein bestimmtes Lebenskonzept beleidigt hätte, das der harmonischen Kleinfamilie, die, geschmackvoll eingerichtet, ein geschmackvolles Leben führt. Das, was man gern die Berlin-Mitte-Thirtysomething-Generation der Besserverdienenden nennt.

Kurz ist Oskamp abgelenkt durch zwei kleine Hunde, die am Seeufer mit wichtigen Gesichtern ein paar Stöckchen hin- und hertransportieren. Ihre Tochter und sie würden überlegen, ob sie sich nicht einen Hund zulegen sollten. Ob die beiden da wohl schon ausgewachsen sind?

Aber die Reaktionen auf die „Hellersdorfer Perle“. Dass es darin um Sex geht, und zwar mit einem wesentlich älteren, körperlich schon ein wenig siechen Mann, ist offenbar in vieler Augen das Anstößige. Die Erzählerin trifft ihn in einer Kneipe im Ostberliner Plattenbaugebiet, in die es sie durch Zufall verschlägt, und ist auf eigenartige Weise angezogen von diesem eigentlich wenig attraktiven Mann und zugleich von einem Milieu, das so gar nicht zu ihrem Leben zu passen scheint. Noch mehr – wenn auch zunächst nicht ohne Bedenken – ist sie fasziniert, als der Mann von ihr verlangt, ein Korsett zu tragen, sie an den Heizkörper seiner kleinen Wohnung kettet und sie immer wieder an ihre körperlichen Grenzen treibt. Nicht eben die Vorstellung von Sexualität, wie sie in der schöngeistigen Literatur gemeinhin transportiert wird.

Was niemand bemerkt habe, sagt Oskamp, ist nicht nur, dass der Mann sich der Erzählerin genauso hingibt, sich genauso ihren Zumutungen aussetzt, sondern dass die Frau mit diesem Mann ungeheuer gut reden kann. Die sprechen miteinander, seitenlang. Das geht mit Micha, der abends mit seinem Bier unterm Arm zum Fernseher schlurft, nicht mehr, mal ganz abgesehen von der Sache mit dem Sex. „Wobei“, Oskamp stapft im Gehen die halb aufgerauchte Zigarette in den erdigen Uferweg: „Wahrscheinlich ist gerade das der Skandal.“ Dass die Geschichte kein böses Ende nimmt, dass der Ausbruch aus den Konventionen nicht bestraft wird. „Das ist doch wirklich erstaunlich, dass die Leute so moralisch sind.“

Nähe zur Biografie

Nicht nur zwischen den Büchern von Katja Oskamp lassen sich Linien ziehen und Verbindungen herstellen. Auch die Nähe, die ihr Schreiben zu ihrer eigenen Biografie hat, ist nicht zu übersehen. So war Oskamp beispielsweise selbst Dramaturgin am Rostocker Theater. Allerdings nicht als intellektuelles Schwergewicht, darauf besteht sie. „Fragen Sie mich mal bloß nicht nach den literarischen Traditionen, in denen ich mich sehe.“ Angefangen hat das mit dem Theater in Berlin, stundenlang habe sie angestanden um Karten fürs Deutsche Theater. Irgendwann ist sie dann Hospitantin bei Castorf gewesen und hat dagesessen mit offenem Mund: „Was der sich getraut hat!“ Jetzt schwärmt sie richtig. „Das haben die ja heute alle vergessen.“ Aber es gibt eben auch viel Mittelmäßigkeit am Theater, sehr viele, sehr lange, unerquickliche Kantinenabende, und es wird sehr wenig vom Leben draußen hereingelassen. Deshalb hat sie dem Dramaturgendasein vor ein paar Jahren den Rücken gekehrt.

Das Großartige an Katja Oskamp ist, dass man mit ihr quatschen kann und im selben Moment vollkommen ernsthaft über Literatur und über das Schreiben reden. Viel pointierter und scharfsinniger als mit vielen Autoren, die einen großen intellektuellen oder ästhetischen Überbau mit sich herumschleppen.

Sie schreibe, sagt Oskamp, nachdem sie einen kurzen Moment nachgedacht hat, weil man im Schreiben all die Momente, die im Leben nicht gut gelaufen sind, mit denen man hadert, wie im Nachhinein verbessern kann. Na klar habe das auch was Therapeutisches, oder? Oskamp zieht eine Grimasse.

Wenn man eins von Katja Oskamp lernen kann, dan dass man sich im selben Moment ernst und nicht ernst nehmen kann. So hält sie es auch mit ihren Büchern, die voller Witz sind, voller Lakonie um die großen Fragen kreisen. Wie das um alles in der Welt funktionieren kann mit dem Leben und der Liebe.

„Ach, schau mal an“, sagt Oskamp, als endlich die Fischerhütte mit ihrem großen Biergarten und den Sonnenliegen auftaucht, „das ist doch wirklich schön. Hier komm ich auch mal am Wochenende her.“ Und dabei berlinert sie so heimelig, dass man es am liebsten für den Rest des Tages auch machen würde.

Katja Oskamp: „Hellersdorfer Perle“. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010, 218 Seiten, 18,95 €