MEDIASPREE: Zwischen Spree und Kapital

Wo Hotels und Büroräume am Ufer geplant sind, stehen heute Bars und Clubs. Sie sind Touristenmagnete - und gleichzeitig droht ihnen täglich das Aus.

Auch eine Zwischennutzung, aber längst etabliert: Badeschiff am Kreuzberger Spreeufer Bild: ap

Das Problem steht auf Seite 155 des "Lonely Planet". "Am Spreeufer tut sich was", heißt es im Friedrichshain-Kapitel des Reiseführers. Und: "Die sogenannte Mediaspree ist nicht nur zentral gelegen, sondern auch noch völlig unbebaut." Im Folgenden ist die Rede von dem Bürgerentscheid im Sommer 2008, bei dem sich die Anwohner gegen Hochhäuser und für ein freies Spreeufer aussprachen. Und natürlich von den Clubs und Einrichtungen, die derzeit eine Heimat am Ufer haben und nicht wissen, wann sie einer Investorimmobilie weichen müssen.

Die Autoren des Reiseführers scheinen also auf der Seite der Initiative "Mediaspree entern" zu stehen. Das Bündnis will am Samstag die geplante Uferbebauung mit einem Aktionstag (siehe Kasten) zurück in den Blickpunkt der Öffentlichkeit holen. Denn nach dem Bürgerentscheid vor knapp zwei Jahren ist es still geworden um die Planungen. In einem Sonderausschuss suchten Politik und Initiativen nach Lösungen - bis Letztere im vergangenen Dezember die Runde aus Protest verließen, weil die Politik nicht bereit ist, die Bauplanungen grundsätzlich anzutasten. "Wenn wir durch die Straßen laufen, plakatieren und mit den Leuten ins Gespräch kommen, dann merken wir, dass die meisten denken: Mit dem Bürgerentscheid ist das Thema durch", sagt Daniel, Mitstreiter bei "Mediaspree entern". Aber so schnell wollen sich die Initiativen nicht geschlagen geben.

Der "Lonely Planet" macht noch ein weiteres Problem deutlich: Er führt Touristen zu den Orten, die akut oder latent von der Bebauung des Spreeufers bedroht sind. Das Kiki Blofeld zum Beispiel, die Bar 25, das Maria am Ufer, das yaam, sie alle finden Erwähnung. "Über 40.000 Touristen hatten wir letztes Jahr im Laden", sagt Juval Dieziger von der Bar 25. Wenn also die Berlin Tourismus Marketing GmbH vom Wirtschaftsfaktor Tourismus spreche, dürften auch die Bars und Clubs, die derzeit nur den Status "Zwischennutzer" haben, nicht unterschätzt werden.

Um 13.30 Uhr am Samstag geht es los. Vom Kottbusser Tor und vom Boxhagener Platz zieht jeweils eine Demonstration zur Oberbaumbrücke. Ab ungefähr 15 Uhr sollen dann zahlreiche dezentrale Aktionen folgen. Hinweise und Anregungen dafür bietet eine eigens für den Tag erstellte Karte: Darauf sind beispielsweise Gebäude mit massiver Videoüberwachung gekennzeichnet, ungeliebte Mauern und Zäune oder einladende Brachen. Als kollektiven Abschluss soll es um 18 Uhr eine kurze Lärmdemo direkt am Spreeufer geben.

Näheres es unter mediaspreeentern.blogsport.de.

Das zeigt die zwiespältige Rolle der Zwischennutzer: Auf der einen Seite stehen sie für eine Szene abseits des Mainstreams, auf der anderen Seite werden sie genau deshalb populär - und machen den Kiez noch attraktiver. Diese Pionierproblematik ist aus anderen Stadtteilen bekannt und führt beim Projekt Mediaspree zu obskuren Auswüchsen: So warb der Verein "Regionalmanagement Mediaspree", der, unterstützt mit Bundes- und Landesmitteln, die Investorenseite und ihre exklusiven Bauvorhaben repräsentierte, zu Zeiten seines Bestehens mit der Szene vor Ort. Von "Brachen und nicht genutzten Flächen, die berlintypisch besetzt sind", war die Rede, von "Clubs, Stränden, Stadtwildnis". Diese würden eine große Rolle bei dem "Standortfaktor Lebens- und Freizeitqualität" spielen.

"Die Bar 25 ist natürlich der Anfang einer Aufwertung", sagt "Mediaspree entern"-Aktivist Daniel. Doch deshalb auf solche Einrichtungen zu verzichten, sei keine Lösung, ergänzt Florian: "Man kann nicht jede Aufwertungstendenz sofort bekämpfen. Es ist nur wichtig, dass man dem nicht hilflos gegenübersteht." Genau dieses Gefühl haben aber Anwohner und Aktivisten im Fall Mediaspree: Es ist unklar, wie und ob die Ergebnisse des Bürgerentscheids umgesetzt werden. Die Meinung der Betroffenen scheint ungehört zu verhallen. Deshalb der Aktionstag.

"Im Moment ist die Bedrohung etwas unkalkulierbar", sagt André Malessa von der Initiative "Mediaspree versenken". Die meisten der Projekte würden auf jährlich befristeten Verträgen sitzen, andere, wie das yaam, dürften das Grundstück bis zum Baubeginn nutzen. Wann der ist, weiß keiner, Sicherheit zum Planen gibt es nicht. Die Wagenburg Schwarzer Kanal musste ihren Platz bereits räumen. Auch sie lebten in Ungewissheit, bis sich in den Verhandlungen über ein Ersatzgrundstück Erfolge abzeichneten.

Olaf Schnur, der an der Universität Potsdam zu Stadt- und Quartiersentwicklung forscht, sieht gerade in der Ungewissheit auch einen Reiz: "Was wäre eine Zwischennutzung, wenn sie nicht ständig der Gefahr des Ablebens ausgesetzt wäre? Das wäre eine stinknormale Bar." Kern des Konflikts um Mediaspree sei aber nicht die Zwischennutzung, sondern die Auswirkung der Uferbebauung auf die Kieze rundherum. Auch wenn Stadtentwicklung heutzutage als kleinteiliger, dynamischer Prozess eines ständigen Auf und Ab betrachtet werden müsse: "Der Boden für eine Gentrifizierung ist bereitet, insbesondere auf der Kreuzberger Seite." Auch das kritisiert das "Mediaspree entern"-Bündnis: "Es gibt in Berlin schon jetzt massiven Wohnraummangel für Menschen mit geringem Einkommen", sagt Daniel. Durch die Uferbebauung würde er noch verschärft. "Warum gibt es für kein Grundstück den Plan, einfach nichts zu bauen?"

Der Konflikt scheint festgefahren. Auf der einen Seite der Senat und die Investoren, auf der anderen die Bürger und Zwischennutzer, irgendwo dazwischen der Bezirk, der damit beide Seiten gegen sich hat. "Ein externer, neutraler Mediator könnte helfen, aber dafür müssten beide Seiten etwas aufeinander zugehen", sagt Schnur. Nur: Davon sind beide Seiten weit entfernt.

"In der Vergangenheit haben wir mit der Kraft von der Straße Druck aufbauen können", sagt Juval Dieziger von der Bar 25. Die Bar ist selbst betroffen: Ende Oktober sollen die Betreiber das Gelände räumen, diesmal wirklich. Dann wird erst einmal der Boden dekontaminiert. Und danach? "Wir gehen davon aus, dass die Brache dann mehrere Jahre lang leer stehen wird", sagt er. In der Krise werde das Gelände, das heute den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) gehört, wohl niemand kaufen wollen.

So sehen das die Aktivisten von "Mediaspree entern" nicht. "Der Immobilienmarkt in den Innenstädten scheint derzeit nicht sehr von der Wirtschaftskrise betroffen", sagt Daniel. Er könne sich höchstens vorstellen, dass bei den Mediaspree-Bauten in Zukunft eher auf Hotels als auf Büroräume gesetzt werde.

"Man kann dem Senat sicher ankreiden, dass er eher einer neoliberalen Stadtpolitik in die Hände spielt", formuliert es der Wissenschaftler Schnur. "Die Zwischennutzer werden ausgebeutet von Unternehmen, die das Image der Projekte ausnutzen", sagt "Mediaspree versenken"-Aktivist Malessa. "Wenn man Pioniere nur benutzt, ist ein organisches Wachsen einer Stadt nicht mehr möglich", sagt Barbetreiber Dieziger. Er fordert, dass der Senat Freiflächen für alternative Nutzungen bereitstellt. Dann könne eine unabhängige Jury beispielsweise alle zehn Jahre entscheiden, welches Projekt bleiben darf - und wer Platz für andere machen muss. Bis es so weit ist, hoffen die Zwischennutzer auf ein Ersatzgrundstück, wenn sie ihr Gelände verlassen müssen.

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