Professor über Pop an der Uni: "Pop ist auch ein Erkenntnisprojekt"

Wir müssen verstehen, was uns beeinflusst, von Stars über Werbung bis zur Popökonomie und -industrie, sagt Christoph Jacke, von Beruf Pop-Professor. Was lernt man eigentlich in seinen Seminaren?

Pop, King of. Von dem der Handschuh. Bild: dpa

taz: Herr Jacke, wie wird man Pop-Professor?

Christoph Jacke: Weil ich mich stets damit beschäftigt habe, mit Bands auf Tour war, bei Plattenfirmen, Konzerten und als Journalist gearbeitet habe, versucht habe, Pop in die eigenen Studienfächer hineinzuschieben. Was nur selten gelang, bis ich einen derartigen Studiengang an der Universität Paderborn entdeckt habe, dort als Lehrbeauftragter arbeitete und mich dann ganz spießig um eine Professur beworben habe.

Sie legen Wert auf Praxis, aber vor allem geht es um Theorie. Was passiert in Ihren Seminaren?

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Da findet eine grundlegende Beschäftigung mit dem statt, was uns im Hinblick auf Popmusik und ihre Kontexte alltäglich beschäftigt. Diskussionen um Medien, Kultur, Kommunikation und Kognition als Beobachtungsraster für unsere Gesellschaft und darin passiert eben Pop im Sinne von Knallen sowie im Sinne von Populärem, Popularisiertem. Wir müssen besser verstehen, was uns derart beeinflusst, von Stars über Werbung bis zur Popökonomie und -industrie.

Welchen Einfluss hat Ihr Studienfach auf die Institution Universität und das System Pop?

Man muss zwischen Popkulturforschung und institutionalisierten Fächern wie etwa Popmusikwissenschaft unterscheiden. Beides entwickelt sich und ist "kultürlich" an Personen, Professuren, Fachgesellschaften, Institute oder Akademien gebunden. Für die Universität hat Pop als Studium eine aufmerksamkeitsökonomische Attraktion. Es dient aber auch, und das ist mir wichtiger, als eigenes Projekt der Erkenntnisproduktion und Erarbeitung von Kritikpotenzialen zwischen Medien-, Musik- und Wirtschaftswissenschaft. Das System Pop, wie Sie es nennen, bekommt in seiner Vielfalt zwischen Nischen und Mainstream dadurch neben dem Journalismus einen ausgeruhteren, analytischen Beobachter zur Seite gestellt.

Gibt es Wechselwirkungen zwischen Uni und Pop?

Die sind lebhafter als gedacht. Messen, Tagungen und vor allem Akteure der Popszene fragen an, wollen sich vorstellen oder Seminare geben. Da kann ich mich über mangelnde Kooperationen nicht beschweren. Umgekehrt arbeiten die meisten Studierenden nach ihrem Abschluss als Manager, Veranstalter oder Musiker. Da entsteht ein Netzwerk, das sich aus dem Paderborner Studiengang speist. Als die Studentenproteste gegen die "Massentierhaltung" stattfanden, sprach einer unserer Studenten von uns als dem Biohof.

Heutzutage ist ja fast alles Pop. Ob Film oder Kunst, Literatur oder Internet - wo sehen Sie die feinen Unterschiede?

Heute ist nicht alles per se Pop, sondern fast alles kann zu Pop werden, also populär, popularisiert und im älteren Sinne auch subvertiert.

Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Lehre genau wie das System Pop im Pluralismus implodiert?

Pop kann gar nicht genug Perspektiven vertragen. Nehmen Sie etwa die aktuellen Debatten um Integration, Interkultur oder Transkulturalität: Wir müssen noch eine Menge lernen, um derartige Prozesse verstehen zu können. In der Popmusik finden diese Vermischungen und Grenzziehungen längst statt.

Können Sie umreißen, um was es im Seminar "Rollen und Funktionen von Popmusikjournalismus" geht?

Angelehnt an Forschungen zu anderen Bereichen des Journalismus soll Popjournalismus als prekäres Arbeitsfeld und in seinem Charakter als Mischung von Information, Unterhaltung und Fiktion analysiert und kritisiert werden, ergänzt durch Gäste aus der schreibenden Praxis.

Um den Popmusikjournalismus ist es durch Internetblogs nicht allzu gut bestellt.

Popmusik bleibt ein zentraler Bereich unserer Popkultur. Der Journalismus verändert sich im Format dramatisch, gleichzeitig wird das Interesse nach gebildeten Meinungsmachern wieder stärker. Auch nachwachsende Popfans wollen sich mal wieder an einem Diederichsen abarbeiten. Die großen Sprachrohre wie früher Spex wird es so massenwirksam nicht mehr geben. Andererseits wird neben all den Superspezialisierungen im Netz sicher eine Art Allgemeinbildung auf diesen Bereichen nötig, daran knüpft unser Studiengang an.

In den 80ern hieß es, subventionierte Kunst sei tote Kunst, wie lautet die Gleichung für akademisierte Kunst?

Akademisierte und musealisierte Popmusik ist noch lange keine subventionierte Popmusik. Es kommt zudem auf die Art der Subventionen an, das TV-Format "DSDS" etwa stellt diese in Form von Dauerwerbung und Sendeplätzen zur Verfügung, da bleibt kaum Raum für anhaltende Abweichung. Pop an der Uni soll ja nicht alles konservieren. Pop selbst reagiert doch längst auf Akademisierungen und Musealisierungen.

Kann Wissenschaft auch Pop sein?

Jede Wissenschaft kann populär sein, das wäre Wissenschafts-Pop. Ich hoffe aber auch, dass zumindest für unsere Studierenden zu einem bestimmten Teil das Lehren und Forschen zu Pop selbst knallig, spannend, vergnüglich und manchmal sogar etwas subversiv sein kann.

Geben Sie Ihren Studierenden eigentlich Konsumempfehlungen?

Nein. Höchstens Hör- oder Leseempfehlungen.

Letztes Album, das Sie gekauft haben?

Wegen Malcom McLarens Tod "Never Mind The Bollocks" der Sex Pistols auf CD. Auf Vinyl: "Sehr gut kommt sehr gut", eine absolut geniale Compilation von 1981 mit Mittagspause, DAF und The Wirtschaftswunder und anderen innovativen NdW-Bands.

Sehnsucht nach popfreien Momenten?

Wir haben in unserer Medienkulturgesellschaft ständig mit Pop zu tun, deswegen sind ja umfassende Forschungen notwendig. Bei Fußballspielen oder auf Konzerten verfliegen die analytischen Meta-Ebenen schnell, und Genuss oder Ärger regieren, das ist auch schon wieder Pop.

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