Datenschützer kritisieren Videoüberwachung: Big Brother in Niedersachsen

Fast alle Überwachungskameras in Niedersachsen verstoßen gegen Vorschriften, kritisiert der Datenschutzbeauftragte. Einige mussten bereits abgebaut werden.

In den vergangenen neun Jahren hat sich die Zahl der Überwachungskameras in Kommunen verzehnfacht. Bild: dpa

BERLIN taz | Fast alle Überwachungskameras in Niedersachsen verstoßen gegen Datenschutzbestimmungen. Zu diesem Schluss kommt der dortige Datenschutzbeauftragte Joachim Wahlbrink. Er hatte von Dezember 2008 bis März diesen Jahres 3345 Kameras von Ministerien, Kommunen, Städten, Justiz und Polizei überprüft. „Das Ergebnis ist überraschend und niederschmetternd“, sagte Wahlbrink am Dienstag in Hannover. In etlichen Fällen hätten die Kameras sogar Blicke in Arztpraxen, Krankenhäuser, Wohnungen und Schwimmbad-Umkleiden ermöglicht, was "schlichtweg grundgesetzwidrig" ist. Gefängnis-Insassen wurden sogar bei der Toilettenbenutzung videoüberwacht.

Zusätzlich kritisierte Wahlbrink die Speicherdauer der Daten von bis zu sechs Monaten, die Zoom- und Schwenkmöglichkeiten sowie unkontrollierte Zugriffmöglichkeiten von Firmen und Behörden auf Polizeikameras. Als „besorgniserregend“ bezeichnete er die Ausweitung der Kamerabestände durch öffentliche Stellen. Die Zahl der Kameras stieg in den vergangenen neun Jahren auf knapp 3.500 - alleine bei den Kommunen habe sich die Zahl verzehnfacht. "Dabei gibt es bereits wissenschaftliche Untersuchungen, wonach Kameras im Sicherheitsbereich so gut wie nichts bringen", sagte er. Auch die Landtagsfraktionen von Grünen und Linken kritisierten den aus ihrer Sicht ebenfalls "gesetzeswidrigen" Einsatz.

Bei der Anbringung sei die Landesregierung in 99 Prozent der Fälle auf fragwürdige Weise vorgegangen. Fast überall hätten Vorabkontrollen durch die Datenschutzbeauftragten vor Ort gefehlt, an vielen Stellen fehlten Hinweisschildern. Besorgnis erregend seien auch die Reaktionen vieler Behörden mit der Kritik der Datenschützer. "Die Ignoranz hat mich sehr gewundert und belegt, dass es gar kein Unrechtsbewusstsein gibt", sagte Wahlbrink. Die hohe Anzahl der Verstöße lege den Verdacht nahe, dass die geltenden Vorschriften gar nicht bekannt seien. Als Konsequenz aus seinen Kontrollen seien inzwischen 71 Kameras, 45 Attrappen und 121 weitere Aufzeichnungsgeräte abgebaut worden.

Wahlbrink sagte bei den Gesetzesverstößen handele es sich nicht um Bagatellen: „Den Bürgern wird vom Staat strikte Gesetzestreue abverlangt. Deshalb können die Bürger erwarten, dass staatliche Stellen sich ebenfalls ohne Wenn und Aber an die Gesetze halten.“ Wahlbrink forderte die Behörden und Kommunen auf, bis zum Sommer die Mängel zu beheben. Bislang nicht kontrolliert sind Kameras in 1.000 weiteren Kommunen sowie an Hochschulen und Universitäten. (mit dpa)

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