Kolumne Blagen: Zöpfchenelfen, scharf bewacht

Wer bin ich, in diesem demografisch gebeutelten Land Kinder als störend zu empfinden? Mein Problem ist ein anderes.

Schön geordnet sehe ich sie dahinziehen, wie Entenküken. Ich überhole die Kinderschar mit meinem Fahrrad auf dem Weg zum Vorortbahnhof. Soll keiner sagen, der Nachwuchs sei ohne Perspektiven - diese Armada aus Erstklässlern mit ihren Zöpfchenkreationen, den Daunenwesten und Hüftjeans in XXS bietet einen ansprechenden Anblick. Der Trupp wird von drei Frauen eskortiert.

Im S-Bahn-Waggon sehen wir uns wieder. Ich bin in der Frage des besten Platzes auf dem morgendlichen Arbeitsweg etwas neurotisch. Es muss der Ecksitz vorn im zweiten Waggon sein. Ich habe da eine Abteilwand im Rücken, und rechts von mir scheint die Sonne auf meine Tageszeitung. So lässt es sich aushalten, wenn man 45 Minuten vom Speckgürtel in die Metropole fährt. Auch die Grundschulklasse hat sich für den zweiten Waggon vorn entschieden. "Marla, hier, hier!" piepst eine Einszwanzigelfe neben mir und hält für Marla den Platz frei, auf den sich nun beide quetschen. Das ist schlecht fürs komfortable Zeitungsstudium, aber wer bin ich, Kinder in diesem demografisch gebeutelten Land als störend zu empfinden? Nicht einen tadelnden Blick werden sie von mir sehen, da können sie mit ihren Saftflaschen und Müsliriegeln noch so rumsauen. Kinder? Großartig und rar. Mein Problem ist ein anderes.

Denn während die Kinder plaudern, in ihren Tupperdosen kramen und die Autoquartettkarten ziehen, hat sich im Mittelgang das Aufsichtspersonal postiert. Wie Kettenhunde schnüren die Frauen auf und ab, auf der Suche nach einem Vergehen. "Marla, pass auf!", raunzt die ondulierte Dame, "du störst die Frau." Ich lächele und sage zu Marla: "Du störst mich nicht." Rar!

Besonders die Jungs sind fest im Fokus der Wärterinnen. Hier nicht stehen! Da nicht sitzen! Aus dem Weg! Das sagt man nicht! Letzte Warnung!

So geht es und geht es. Der Waggon füllt sich mit Pendlern, Fahrrädern, Schnorrern. Die Kinder erweisen sich als tipptopp Reisende, sie legen ihre Köpfe in den Nacken und betrachten Erwachsene, während die Befehle ihrer Scherginnen auf sie niederprasseln. Immer lauter, immer knapper. Mach Platz! Sei ruhig! Mütze auf! Weg von der Tür!

Ich könnte das ausblenden, Teil meiner Nahverkehrsneurose ist, dass ich stets ein Paar Ohrstöpsel mit mir führe. Aber ich kann es nicht. Weil es meine eigene Kindheit ist, die mir hier in Gestalt dreier Wiedergängerinnen entgegentritt. Ich spüre die Konditionierung, die ich als Kind erfahren habe, die Sehnsucht, von diesen Megären wenigstens so was wie gemocht zu werden, die Gier nach einem Fetzen Lob. Jahrzehnte ist das jetzt her und immer noch kein bisschen erträglicher.

Jetzt kommt meine Station. Ich lächle Marla zum Abschied zu und lande beim Aussteigen ganz unglücklich auf dem Fuß einer der Wärterinnen. Hier nicht stehen, letzte Warnung! blaffe ich. Ich darf jetzt gehen.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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