Steinmeier wegen Usbekistan in der Kritik: Schützenhilfe nach dem Massaker

Das Massaker von Andischan veranlasste die EU zu einem Embargo. Deutschland schert sich wenig darum. Ex-Außenminister Steinmeier äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht.

Ein Grenzer schließt ein Tor zum Grenzland zwischen Usbekistan und Afghanistan. Bild: ap

Ohne Vorwarnung schossen die Sicherheitskräfte von gepanzerten Fahrzeugen aus auf flüchtende Männer, Frauen und Kinder. Es war der 13. Mai 2005, als in Andischan usbekische Uniformierte die Menschenmenge attackierten. Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen sollen dabei über 500 Menschen getötet worden sein. Die usbekischen Machthaber setzten Schützenpanzer sowjetischer Bauart zur "internen Repression" ein.

Als Folge des Massakers in Andischan verhängte die EU 2005 ein Embargo gegen Usbekistan. Nach Recherchen der taz setzte die Bundeswehr dennoch die Militärische Ausbildungshilfe (MAH) für usbekische Soldaten auch während des EU-Waffenembargos fort und schulte Mitglieder der usbekischen Streitkräfte. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigt auf Anfrage: "Im angefragten Zeitraum wurden 35 Angehörige der usbekischen Streitkräfte in den militärischen Organisationsbereichen der Bundeswehr ausgebildet."

Bei der MAH, die seit 1994 durchgeführt wird, steht allerdings nicht nur die "innere Führung von Soldaten in einer demokratischen Gesellschaft" auf dem Stundenplan. Die Soldaten aus Usbekistan übten bei der MAH trotz des EU-Embargos in Deutschland auch Panzertaktiken. Nach Recherchen der taz lernten usbekische Offiziere auch den taktischen Umgang mit dem Schützenpanzer "Marder".

"Das ist ein klarer Bruch des EU-Embargos", sagt Winfried Nachtwei. Er saß für die Grünen von 1994 bis 2009 im Bundestag und war bis 2009 deren Obmann im Verteidigungsausschuss. Katja Keul, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag und Mitglied im Verteidigungsausschuss, betont: "Die Aussetzung der MAH wäre eine deutliche und zwingende Botschaft an das usbekische Regime gewesen." Holly Cartner von Human Rights Watch in New York sieht einen "Verstoß gegen das EU-Waffenembargo". Sie will eine Untersuchung: "Human Rights Watch fordert sowohl das deutsche wie das Europäische Parlament dazu auf, sich mit diesen ernsten Anschuldigungen auseinanderzusetzen und sicherzustellen, dass alle Untersuchungen transparent und glaubwürdig durchgeführt werden."

Für das Verteidigungsministerium geht es vor allem um Demokratiehilfe: "Die MAH unterstützt die Entwicklung demokratisch orientierter Streitkräfte in Staaten und Regionen, deren Stabilität im deutschen Interesse liegt", erklärt der Sprecher des Ministeriums, "sie dient zudem der Festigung vertrauensvoller Beziehungen zu Kooperationspartnern."

Usbekistan ist unter der Herrschaft des Präsidenten Islam Karimow eine Diktatur, in der die Menschenrechte mit Füßen getreten werden und Folter nach UN-Angaben systematisch angewandt wird. Der zentralasiatische Unrechtsstaat ist gleichwohl ein wichtiger Partner Deutschlands. Seit 2001 unterhält die Bundeswehr für den Afghanistaneinsatz im südusbekischen Termes einen Luftwaffenstützpunkt.

Bereits am 23. Mai 2005 verurteilte der Rat der Europäischen Union die in "Andischan erfolgte und Berichten zufolge übermäßige, unverhältnismäßige und unterschiedslose Gewaltanwendung durch usbekische Sicherheitskräfte aus Schärfste". Als Reaktion auf die Bluttat verhängte der Rat im Herbst 2005 Sanktionen gegen das zentralasiatische Land. Das darin beinhaltete Waffenembargo lief am 13. November 2009 aus. Embargos müssen aktiv verlängert werden, die dazu erforderliche Einstimmigkeit war nicht gegeben.

Die "restriktiven Maßnahmen gegen Usbekistan" in der Verordnung 1859/2005 sind eindeutig. Es wurde "ein Ausfuhrverbot für Ausrüstung, die zur internen Repression verwendet werden könnte, und ein Verbot der Bereitstellung technischer Hilfe" verfügt. Als Grundlage für den Ratsbeschluss diente die Entscheidung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP).

Die EU-Verordnung definiert, was unter technischer Hilfe, die Usbekistan nicht bereitgestellt werden darf, zu verstehen ist. Sie "kann in Form von Anleitung, Beratung, Ausbildung, […] erfolgen". Weiter: "Es ist untersagt, technische Hilfe im Zusammenhang mit militärischen Aktivitäten […] zu gewähren."

Deutschland legt das Embargo weit aus. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums beschreibt der taz die Ausbildung der Usbeken in Deutschland während des Embargos: "Im Bereich des Heeres besuchten 14 usbekische Offiziere im Wesentlichen mehrwöchige Lehrgänge, die auf eine Verwendung als Verbandsführer der Panzergrenadier- und Jägertruppe (Bataillonskommandeur) und Einheitsführer der Panzergrenadier-, Jäger-, Fernmelde- und Pioniertruppe (Kompaniechef) vorbereiten." Die Ausbildung der usbekischen Offiziere umfasste neben Schulungen zur "inneren Führung" auch "die Taktik im Einsatz verbundener Kräfte". Das ist Militärsprech für Manöver.

Den usbekischen Soldaten sei bei Manövern gezeigt worden, wie Panzerzüge im Feld entsprechend der gestellten Aufgabe auszurichten seien, so ein Sprecher des Heeres. "Insbesondere auf den unteren Führungsebenen schließt das die Übung mit dem Hauptwaffensystem einer Truppengattung (z. B. dem Schützenpanzer ,Marder' bei den Panzergrenadieren) ein", beschreibt das Verteidigungsministerium die "Ausbildungsinhalte der Offiziersausbildung". Zur Erinnerung: Bei dem Massaker von Andischan setzten usbekische Sicherheitskräfte Panzerwagen zur internen Repression ein.

Die Frage, ob Deutschland damit gegen das Waffenembargo verstoßen hat, konnte der Sprecher bis zum Redaktionsschluss nicht beantworten.

Das EU-Waffenembargo verbietet zudem ausdrücklich die "Bereitstellung technischer Hilfe" und von "zur internen Repression verwendbarer Ausrüstung".

Die Anfrage der taz dazu an die EU blieb bisher unbeantwortet.

Lügt die Bundesregierung?

Die Bundesregierung beantwortete im Juni 2006 die Anfrage der Linken, ob "die Bundesregierung seit dem 14. Dezember 2005 technische und/oder finanzielle Unterstützung für die militärischen Aktivitäten Usbekistans geleistet" habe, mit Nein.

Hat die Bundesregierung im Sommer 2006 die Unwahrheit gesagt? Oder zählt die Bundesregierung die MAH mit Usbekistan nicht zur "technischen Unterstützung"?

Der Sprecher des Verteidigungsministerium kann sich nicht erinnern, dass die MAH während des Embargos auch nur zeitweise ausgesetzt wurde. Eine genaue Prüfung der Anfrage stand bis Redaktionsschluss jedoch noch aus. Die MAH fällt in den "Zuständigkeitsbereich des BMVg", sagt der Sprecher des Verteidigungsministeriums, aber die Schwerpunktsetzung werde mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Diese Abstimmung bestätigt auch das Auswärtige Amt.

Von 2005 bis 2009 führte Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der großen Koalition die deutsche Außenpolitik.

Der Sozialdemokrat sammelte früh Erfahrungen im Unterlaufen der EU-Sanktionen gegen Usbekistan. Wenige Tage nach der Verhängung der EU-Sanktionen durfte trotz Einreiseverbot der usbekische Innenminister Sakir Almatow im November 2005 aus "humanitären Gründen" nach Deutschland einreisen und sich in einer Privatklinik in Hannover behandeln lassen.

Almatow gilt als für das Massaker von Andischan Hauptverantwortlicher. Der Leiter und Direktor der Privatklinik in Hannover, Madjid Samii, ist ein alter Bekannter des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, und Steinmeier diente damals noch als Kanzleramtsminister.

Die Frage, wieso Deutschland den Verstoß gegen die EU-Verordnung zugelassen hat, lässt auch Steinmeier bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

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