Umstrittene Fernseh-Doku auf France 2: TV als Folterknecht

Die Dokumentation "Das Spiel des Todes" auf dem Sender France 2 erklärt das Fernsehen zur Autorität unserer Zeit. Auf Befehl wird gefoltert.

In der Kammer (links) sitzt der Schauspieler, der die Schmerzen vortäuscht. Recht das Schaltpult für die Stromstöße. Bild: ap

BERLIN taz | Der Psychologe Stanley Milgram wollte die Verbrechen des Nationalsozialismus sozialpsychologisch erklären. Das Ergebnis seines Experiments aus dem Jahr 1961 schockierte die Welt: Über 60 Prozent der Probanden waren bereit, auf Anweisung einem fremden Menschen Stromschläge zu verpassen. Sie wussten dabei weder, dass die Schmerzensschreie von Schauspielern kamen, noch dass kein echter Strom floss.

Nun wurde im französischem Fernsehen ein modernes Milgram-Experiment ausgestrahlt. 80 Teilnehmer einer fiktiven Fernsehshow wurden von der Moderatorin dazu aufgefordert, dem Kandidaten Stromstöße zu versetzen. 82 Prozent kamen dieser Aufforderung nach, bis der Kandidat kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Auch hier war der Strom nicht echt und die Schreie kamen vom Band. Der Produzent Christophe Nick behauptet, dass die Gäste der Show weiter gehen würden als zu Milgrams Zeiten, weil sie im Fernsehen sind.

Was beide Experimente zeigen - sollte die Doku kein Fake gewesen sein - ist die Erkenntnis, dass ein Großteil der Menschen Autoritäten folgen, auch wenn sie gegen ihr eigenes Gewissen handeln. Die Gehorsamkeitsnorm wurde von vielen Wissenschaftlern an der Höhe des sozialen Status festgemacht.

Erich Fromm beschreibt das Phänomen dahingehend, dass insbesondere die Wissenschaft in den USA ein hohes Ansehen genießt und somit Autorität ausstrahlt. Kamen bei den Probanden im Milgram-Versuch moralische Zweifel auf, wurden sie von den Versuchsleitern dazu aufgefordert weiter Stromstösse einzusetzen.

In der inszenierten Fernsehshow in Frankreich wurden die mit sich hadernenden Teilnehmer von der bekannten Moderatorin Tania Young und dem Publikum angefeuert weiter zu machen. Was dann vier von fünf Showteilnehmern auch gemacht haben. Hat also das Fernsehen die Autorität erlangt, die Personen dazu bringt Befehle zu befolgen, die diametral gegen menschliches Verhalten sprechen?

Andrea Abele-Brehm von der Universität Erlangen sagt: "Die Erkenntnisse aus dem Milgram-Experiment lassen sich in gewisser Weise übertragen. Verantwortung abzugeben reduziert den Gewissenskonflikt." Die Aussage, dass die Ergebnisse mit der Macht des Fernsehens zusammenhängen, sei berechtigt. Man müsse nur die neuen Castingshow-Formate als Beispiel nehmen, wo Menschen sich zunehmends den geforderten Grausamkeiten aussetzten.

"Die Macht des Fernsehens ist groß, aber das ist nicht die einzige Autorität, die zu solchen Handlungen führt. Wir überschätzen alle unsere persönliche Einflussnahme in Extremsituationen", sagt die Sozialpsychologin.

Bereits Milgrams Experiment wurde kritisiert, dass es die Probanden großem Stress aussetzen würde. Die American Psychological Association schloss ihn für ein Jahr aus dem Verband aus. Der Vorwurf: Er habe ein für die Teilnehmer traumatisierendes Experiment vorgenommen.

Milgram selbst schrieb in sein Tagebuch, dass es "ethisch fragwürdig ist, Menschen in das Labor zu locken und sie in eine Lage zu bringen, die belastend ist." Die Erkenntnis "ich bin zu allem fähig" kann tatsächlich sehr belastend sein für die Teilnehmer eines solchen Experiments.

Andrea Abele-Brehm stellt sich die Frage, ob der Erkenntnisfortschritt einen solchen unethischen Versuch rechtfertigt. Im Falle des französischen Fernsehexperiments sieht sie die Notwendigkeit mit kritischen Augen, da die Ergebnisse aus dem Milgram-Experiment und nachfolgenden Versuchen gut dokumentiert vorliegen würden und keine neue Erkenntnis gewonnen werden konnte.

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