Debatte Israelkritik: Lehren aus dem Holocaust

Es ist richtig, Leuten wie Norman Finkelstein kein Podium zu geben. Denn wer Israel dämonisiert, spielt damit nur Antisemiten in die Hände.

Er vergleicht schon mal israelische Armeedrohnen mit den Vergasungswagen der Nazis oder solidarisiert sich mit der libanesischen Hisbollah. Zu denen, die ihn am eifrigsten verteidigen, gehört die rechtsextreme deutsche Nationalzeitung, Historiker wie Peter Novick dagegen nennen seine Texte "Müll". All das sind gute Gründe, dem amerikanischen Publizisten Norman Finkelstein den Auftritt in den Räumen einer Kirche oder linker und grüner parteinaher Stiftungen zu verwehren. Denn Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass man verpflichtet ist, jedermann eine Plattform zu bieten. Auf öffentlichen Druck hin wurde dies unlängst auch der Leitung der Trinitatiskirche sowie der Rosa-Luxemburg- und der Heinrich-Böll-Stiftung klar. Sie zogen die Unterstützung für einen Vortrag von Norman Finkelstein zurück, der für den 26. Februar geplant war.

Nicht alle waren damit einverstanden. In der Tageszeitung junge Welt etwa war von einer "Mossad-Fraktion" die Rede, die Kritik an der israelischen Regierung verhindert habe. Und die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, kritisierte die Ausladung unter dem Titel "Antizionistische Juden raus?". In ihrer Erklärung betonte sie, dass Finkelstein ein Sohn von Holocaustüberlebenden sei.

Darauf wird oft verwiesen, aber was tut das zur Sache? In seinen Büchern wie der "Holocaust-Industrie" macht Finkelstein Opfer zu Tätern und zeichnet das Bild des geldgierigen amerikanischen Juden. Ob solche antisemitischen Aussagen von einem Sohn von Holocaustüberlebenden stammen oder vom Enkel eines SS-Offiziers, macht inhaltlich keinen Unterschied.

Doch Finkelstein spielt, wie viele seiner Mitstreiter, die Rolle des "jüdischen Israelkritikers", die für Teile der deutschen Medien, der Forschung und der Politik nützlich ist, bestätigt sie doch die Legende, dass man Israel als Deutscher nicht kritisieren dürfe. Dafür erhält Norman Finkelstein im Ausland eine Aufmerksamkeit, die ihm in seiner Heimat verwehrt bleibt - das verbindet ihn etwa mit dem Historiker Ilan Pappe, der in Israel kaum wahrgenommen wird. Bei Finkelstein, der den Missbrauch des Holocaust anprangert, führt das zu dem Paradox, dass er selbst dieses Verbrechen der Nazis benutzt, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Zugleich werden "jüdische Israelkritiker" wie er von ihren Fans instrumentalisiert. Nur wenige dürften sich dabei je ernsthaft mit deren Texten beschäftigt haben, denn sonst würden sie sehen, wie oft hinter lauter antiisraelischer Polemik der Inhalt auf der Strecke bleibt.

Das gilt auch für Iris Hefets, die in der taz (9. März) einen "Schoah-Kult" beklagte, der die deutsche Politik in ihren Bann geschlagen habe. Als Beleg führte sie den unkritischen Gebrauch des Begriffs "Schoah" ins Feld. Nun hat Claude Lanzmann dem Begriff durch seinen "Shoah"-Film vielleicht erst internationale Aufmerksamkeit beschert. Er hat ihn aber mitnichten "gefunden", wie Hefets schreibt. Der Begriff "Schoah" ist biblischen Ursprungs, wird aber schon seit dem Mittelalter für die Verfolgung von Juden gebraucht. Schon Anfang der 40er-Jahre wurde damit die nationalsozialistische Vernichtungspolitik beschrieben, linke Zionisten benutzten ihn in Abgrenzung vom religiösen Begriff "Churben" (Zerstörung).

Eindeutig religiös konnotiert ist hingegen der durch die gleichnamige Fernsehserie popularisierte Begriff "Holocaust", den Hefets wiederum ganz unkritisch verwendet. Der ursprünglich griechische Terminus bedeutet so viel wie "Ganzopfer", seine religiös-fatalistische Konnotation wird zur Recht kritisiert. Dennoch beschreibt der Begriff die Naziverbrechen letztlich angemessener als der in Deutschland lange übliche Euphemismus der "Endlösung", der eine Täterperspektive ausdrückt.

Auch die israelischen Schülerreisen nach Ausschwitz, die Hefets "Pilgerfahrten" nennt, wurden ursprünglich nicht nur von Eliteschulen unternommen, sondern von linken israelischen Jugendorganisationen initiiert. Dabei waren es die Jugendlichen selbst, die mehr über das Schicksal ihrer Eltern und Großeltern erfahren wollten. Das israelische Erziehungsministerium schaltete sich erst später in die Organisation ein und baute sie zu einem großen nationalen Programm aus. Grundsätzlich ist daran eigentlich nichts auszusetzen.

Hefets Kernthese lautet, dass man sich aufgrund des Holocaust in Deutschland nicht traue, Israel offen zu kritisieren. Um zu belegen, dass dies jeder Grundlage entbehrt, genügt die regelmäßige Lektüre deutscher Tageszeitungen; auch auf die jüngsten kritischen Äußerungen der deutschen Kanzlerin zum Siedlungsbau sei hier verwiesen.

Zwar stimmt es, dass man öffentliche Kritik an Israel hierzulande vorsichtiger äußert als andernorts und sich, wenn auch nicht immer, einseitiger Feindbilder enthält. Dies ist aber zu begrüßen. Dass die andernorts populäre Dämonisierung des jüdischen Staates meist antisemitische Konnotationen aufweist, lässt sich kaum bestreiten. Das zeigt sich an vielen antiisraelischen Karikaturen, Texten oder gar Filmen, in denen antisemitische Stereotype wie das vom Kindesmörder oder vom Weltbeherrscher aufgegriffen werden: diese Propaganda ist weltweit verbreitet.

Hefets ist nicht an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Gedenken an die Schoah gelegen, vielmehr lässt sie ihren antiisraelischen Gefühlen freien Lauf. Dabei ist eine differenzierte Auseinandersetzung über die Frage, wie angemessen an die Schoah erinnert werden kann, durchaus notwendig. Dass dieser Umgang nicht immer frei von Pathos, politischer Instrumentalisierung und Kitsch ist, wird niemand bestreiten. Wer die neu gestaltete Ausstellung der israelischen Gedenkstätte Jad Vaschem kennt, der weiß, dass das Ringen um ein angemessenes Gedenken durchaus auf hohem Niveau stattfinden kann. Wer aber das Gedenken an die Schoah pauschal als irrationalen Kult abstempelt, der beleidigt nicht nur das Andenken an die Opfer, sondern darf sich nicht beklagen, wenn er Applaus von Revisionisten jeder Couleur bekommt.

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