Kino-Film über seltene Krankheit: Wunderwirkstoff aus Hollywood

Der Film "Ausnahmesituation" zeigt die Suche nach einem Medikament gegen die seltene Krankheit Morbus Pompe. Er basiert auf der Geschichte einer realen Familie.

Kauziger Forscher, der bei Rockmusik im Labor die Nächte durchwerkelt: Dr. Stonehill alias Harrison Ford. Bild: Concorde Film

Drei Kinder, ein Haus mit Garten, ein gutes Einkommen: Es ist eine wohlgeordnete Welt, die für John und Aileen Crowley zusammenbricht, als sie erfahren, dass ihre Tochter an einem seltenen Enzymdefizit leidet. Weil ihr Körper keine Glukosidase alpha bildet, können ihre Muskeln Zucker nicht aufbrechen und abbauen. Glykogene bleiben zurück, lagern sich im Zellinneren in den Lysosomen ein und bringen sie schließlich zum Platzen. Vorübergehend können ein Atemgerät und ein Rollstuhl für die rasch degenerierende Muskulatur einspringen, bevor das Herz versagt. Je früher die nach dem niederländischen Pathologen und 1945 als Widerstandskämpfer hingerichteten Johannes Pompe benannte Krankheit einsetzt, umso rascher schreitet sie voran.

Bald wird die Erbkrankheit auch beim jüngsten Sohn der Crowleys diagnostiziert. Eine Heilung gibt es nicht, sagen die Ärzte und geben ihm höchstens 18 Monate. John Crowley will sich damit nicht abfinden. Übers Internet findet er den Pompe-Forscher Bill Canfield. Er sammelt von Familien mit Pompe-Kindern Geld für die weitere Erforschung, gründet mit Canfield die Firma Novazyme und klappert Wagniskapitalfirmen ab. Das Pharmaunternehmen Genzyme, das bereits Wirkstoffe gegen Morbus Pompe erprobt, kauft das Startup schließlich auf. Als die klinischen Studien beginnen, geht es den Crowley-Kindern sehr schlecht, aber sie sind noch am Leben.

Die Wirtschaftsreporterin Geeta Anand hat diese Geschichte zu einem Bestseller verarbeitet. Er heißt "The Cure", obwohl die Enzymersatztherapie mit Alglukosidase alpha keine Heilung verspricht, sondern einen großen Teil der sonst jung sterbenden Betroffenen bei schweren chronischen Leiden am Leben erhält. Aber die Geschichte hat noch einen größeren Haken: Der von Canfield und Crowley entwickelte Wirkstoff machte gar nicht das Rennen.

Darüber fegen sowohl das Buch als auch der darauf basierende Film "Ausnahmesituation", der seit Donnerstag in deutschen Kinos läuft, rasch hinweg. So kommt kaum jemand auf die Idee, dass die 140 Millionen Dollar, die Genzyme für Novazyme zahlte, herausgeworfenes Geld waren und diese Übernahme die Entwicklung nur verzögert hat. Genau das glaubt Kevin ODonnell, der über die Geschichte der Pompe-Forschung bloggt.

Er wünsche dem Film Erfolg, sagte der Schotte der taz, damit das Leiden, das seinen Sohn das Leben kostete, bekannter wird. Doch wie Crowley und Canfield, der auf der Leinwand Stonehill heißt, in den Vordergrund geschoben werden, entspreche nicht der Nebenrolle, die sie tatsächlich spielten.

Die Resultate, mit denen sie Genzyme zum Kauf ihrer Firma bewegten, konnten nie reproduziert werden. Das legte ein Genzyme-Mitarbeiter 2003 bei einer Tagung in Heidelberg offen. Arnold Reuser und Ans van der Ploeg, die an der Rotterdamer Erasmus-Uni die Ersatztherapie konzipierten, einen Wirkstoff entwickelten und die erste, 2000 in Lancet publizierte klinische Studie durchführten, kommen im Film ebenso wenig vor wie Randall House - ein Fabrikant, der die Pompe-Forschung mit vielen Millionen und großem persönlichem Einsatz vorantrieb, aber ein schwieriges Verhältnis zu Crowley haben soll.

Abgesehen von diesen Unstimmigkeiten ist "Ausnahmesituation" eher gute Fernsehware als großes Kino. Harrison Ford mimt den kauzigen Forscher Dr. Stonehill, der am liebsten bei lauter Rockmusik im Labor die Nächte durchwerkelt. Brendan Fraser verkörpert den aus tiefer Besorgnis zum Unternehmer werdenden Familienvater. Der echte John Crowley war als Ratgeber beim Dreh dabei und hat einen kurzen Auftritt als Wagniskapitalist.

Wie komplex die Entwicklung eines Medikaments ist, deutet der Film an. Was sich in Wirklichkeit über sieben Jahre zog, schrumpft allerdings auf etwa ein Jahr zusammen. Wie Crowleys Kinder auf den Wirkstoff ansprechen, zeigt sich wundersamerweise bereits, als sie erstmals am Tropf hängen. Immerhin schildert der Film-Crowley das Kalkül der Hersteller: Weil die Krankheit selten ist, können enorme Preise verlangt werden, ohne dass es im Gesamtbudget der Kostenerstatter nachher besonders auffällt.

Seltene Krankheiten wie Pompe, woran in Deutschland mindestens 150 leiden, wurden von der Pharmaindustrie früher links liegen gelassen. Es ist schwer, die geforderten Patientenzahlen für die Zulassungsstudien zusammenzubekommen. Vor allem versprechen Medikamente gegen Volkskrankheiten, Lifestyle-Zipperlein oder zur Eindämmung von Risikofaktoren höhere Umsätze.

Doch längst winken Anreize für Hersteller sogenannter Orphan Drugs bei seltenen Krankheiten, gegen die es vorher keinen Wirkstoff gab: In den USA haben sie den Markt sieben Jahre für sich, in der EU wird sogar zehn Jahre lang keine Konkurrenz zugelassen. Die Ausgaben für Orphan Drugs haben sich in den letzten Jahren vervielfacht. Sie sind von Stiefkindern des Pharmamarkts zu dessen größtem Kostentreiber mutiert. In einem EU-Vergleich 2006 lag Deutschland sowohl beim Zugang zu Orphan Drugs in der Spitzengruppe als auch bei den Preisen mit 160.000 Euro im Mittel pro Jahr und Patient.

Im oberen Bereich dieser Kostendimension liegt die dauerhafte Enzymersatztherapie bei Pompe. Ihr Hersteller Genzyme geht in der Vermarktung unkonventionelle Wege: Ein nicht als kommerziell gekennzeichnetes europaweites Patientenregister wird bei der Firma selbst geführt. Wessen Versicherung bei der Kostenübernahme bockt, kriegt das benötigte Präparat vorübergehend kostenlos, bis die Erstattung geregelt ist. Mit jedem sterbenden Patienten bricht schließlich ein möglicher Millionenumsatz weg. Genzyme nennt es Wohltätigkeit.

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