Heisenberg-Film "Der Räuber": "Pumpgun-Ronnies" Fatalismus

Benjamin Heisenbergs zweiter Spielfilm "Der Räuber" erzählt von einem Marathon-Bankräuber. "Pumpgun-Ronnie" sorgte für das größte Polizeiaufgebot Österreichs.

Benjamin Heisenberg schaut sich den Körper seiner Hauptfigur genau an. Bild: zorro film

Österreich ist ein enges Land in Benjamin Heisenbergs Spielfilm "Der Räuber". Man schaut aus dem Wohnzimmerfenster und blickt vor eine Wand. Man geht durch ein Dorf und ist von Hecken, Mauern und Zäunen eingehegt. Man spaziert durch die Landschaft, und immer stellen sich Bäume, stellt sich ein Hügel oder gleich ein ganzer Berg in den Weg.

Der freie Horizont, die Weite, die unendlich sich hinziehenden Straßen, kurz, all das, was das US-amerikanische Kinos so gerne in Szene setzt, sobald es von der Flucht eines Gangsters erzählt, fehlt. Österreich ist kein Land für "Badlands", "Bonnie and Clyde", oder "Vanishing Point". "Der Räuber" versucht sich trotzdem an einem solchen Stoff.

Der Film bezieht sich auf einen fait divers aus den späten 80er-Jahren. Damals sorgte ein Marathonläufer, der zugleich Bankräuber und Mörder war, für Furore und das größte Polizeiaufgebot, das je in Österreich zum Einsatz kam. Ein junger Mann namens Johann Kastenberger, im Volksmund als "Pumpgun-Ronnie" bekannt, zog sich eine Ronald-Reagan-Maske über, nahm sich eine Schrotflinte und raubte Raiffeisen-Banken und Sparkassen aus. Manchmal überfiel er zwei Banken an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, einmal drei an einem einzigen Tag.

Zwischendurch nahm er an Marathonläufen teil; beim Kainacher Bergmarathon erzielte er eine Rekordzeit. Martin Prinz hat aus dem fait divers einen Roman gemacht; gemeinsam mit Heisenberg hat er das Drehbuch für den Film geschrieben. Andreas Lust spielt den Protagonisten, der nun auf den Namen Johann Rettenberger hört. Premiere hatte "Der Räuber" vor kurzem im Wettbewerbsprogramm der Berlinale.

Was hervorsticht, ist, wie der Film mit dem Raum und den Körpern umgeht. Von Anfang an schlägt er aus dem Mangel an Weite seine größte Kraft. In den ersten Einstellungen sieht man die Hauptfigur halbnah und in Bewegung, der Hintergrund bleibt diffus, doch man merkt, dass die Figur im Kreis läuft. Ab und zu tauchen im Blickfeld der Kamera andere Männer auf, sie laufen nicht, sondern gehen oder stehen, während der, den wir später als Protagonisten kennen lernen, an ihnen vorbeizieht. Man ahnt, dass der Raum, der der Figur zur Verfügung steht, begrenzt ist, und als sich die Einstellung weitet, wird die Ahnung bekräftigt: Es ist ein Gefängnishof.

Der Läufer zieht seine Kreise gewissermaßen in einer doppelten Abriegelung, umstellt von den übrigen Häftlingen und von den Hofmauern. Auf dem Weg zurück zu den Zellen fasst die Kamera den Gang und die Häftlinge in einem geometrisch klar strukturierten Bild, das die Enge dieses Raums spürbar macht. In der Zelle nimmt ein Laufband den meisten Platz ein, der Blick nach draußen ist verstellt, da das Fenster keinen Durchblick gestattet.

Und so geht es weiter: Beim Banküberfall in Wien sind die Gassen zu schmal für den Fluchtwagen. Nach einem Marathonlauf lassen die Dorfmauern und -zäune dem Protagonisten keinen Raum, seinem aufdringlichen Bewährungshelfer zu entkommen. In der Wohnung der Freundin Erika (Franziska Weisz), in der Rettenberger unterkommt, fällt jeder Blick aus dem Fenster in einen engen Hof, auf eine gegenüberliegende Wand. Der einzige freie Blick, der sich Rettenberger bietet, ist der aus seiner Kammer in einer Absteige, in die er einzieht, bevor er zu Erika geht; seine Augen schweifen über das Brachland der Baustelle Wien-Mitte.

In dieser Welt der Begrenzung tritt Rettenberger bewegungsreich auf der Stelle; aus sich selbst kommt er dabei so wenig heraus wie die Kamera aus dem eingegrenzten filmischen Raum. Für die Figur ist das tragisch, für den Film ein Segen, wozu die bemerkenswerte Kameraarbeit Reinhold Vorschneiders wesentlich beiträgt. Vorschneider filmte schon Heisenbergs Debüt "Der Schläfer"; zuletzt hat er für Angela Schanelec "Orly" und für Thomas Arslan "Im Schatten" fotografiert. Alle diese Filme haben etwas gemein: Sie entwickeln ein großes Gespür für die Orte, an denen sie spielen, sei es nun der Flughafen im Süden von Paris, die Berliner Innenstadt im Sommer oder eben Wien und Niederösterreich.

Heisenberg legt viel Wert darauf, die Physis der Figur in den Vordergrund zu rücken, das Spiel der Muskeln, den Schweiß und die Atmung, die Färbung der Haut unter der Anstrengung, und er findet in Andreas Lust den passenden Darsteller für sein Bestreben. Dialoge sind selten, meist fallen sie knapp aus, vor allem führen sie nirgendwohin, schon gar nicht zu einer Lösung von Konflikten. Im Gegenteil: Wenn der Bewährungshelfer sich Rettenberger in der Absicht nähert, ein klärendes, ja fast therapeutisches Gespräch zu führen, will der davon nichts wissen. Selbst der Sex, den Rettenberger in einer Szene mit seiner Freundin hat, ist so gefilmt, dass ihm jede erotische Aufladung fehlt. Was die beiden Figuren tun, ist nicht mehr als eine körperliche Verrichtung; sie bringt bestimmte Formen der Bewegung hervor, bestimmte Muskelkontraktionen und bestimmte Geräusche. Das ist alles.

Und das ist großartig, solange man in "Der Räuber" nicht mehr sehen möchte als einen Film zum konkreten fait divers. Schwieriger wird es, sobald man in Rettenberger eben nicht nur die Figur, sondern einen Typus ausmacht. Dann kann es passieren, dass man ein bisschen müde wird. Denn wie oft hat man den Gangster, der mit niemandem redet, der nicht aus seiner Haut kann und deshalb in sein Verderben rennt, schon im Kino gesehen? Wie oft hat man mit diesem Männertypus zu tun, der starr ist, verbissen und unfähig, mit den Realitäten zurechtzukommen? Ein bisschen zu oft, als dass Rettenberger, so wie ihn "Der Räuber" anlegt, überraschen könnte.

Zumal Heisenberg nicht so weit geht, eine Analyse dieses Typus anzustrengen. Er registriert, er durchdringt nicht. Das schützt den Film zwar davor, seine Hauptfigur mit Dingen zu befrachten, die außerhalb ihrer selbst liegen, oder sie als Symptom - für die krisenhafte Männlichkeit des späten 20. Jahrhunderts beispielsweise - ins Feld zu führen. Doch das geschieht um den Preis, dass "Der Räuber" eben auch nie über den selbst gesteckten Rahmen hinauswächst. Es ist ein wenig, als träte der Film ähnlich auf der Stelle, wie es Johann Rettenberger tut.

Seltsam unklar bleibt dabei auch, wie sich Heisenberg zur Ausweglosigkeit der Ereignisse verhält. Der Filmerzählung arbeitet mit einer guten Dosis Fatalismus, wie es einst entsprechende New-Hollywood-Filme oder Jean-Pierre Melvilles kalte, elegante Gangsterfilme taten. Doch die standen in einem anderen Zusammenhang, New Hollywood etwa überwandt klassische Dramaturgien, in denen sich der Held Widrigkeiten gegenübersah, die Initiative ergriff und die Widrigkeiten schließlich meisterte. In den 60er-Jahren gab es Grund genug, diesem optimistischen Glauben an die Kraft des Individuums skeptisch zu begegnen. Der Fatalismus vieler Filmerzählungen ließ sich auch und vor allem als Gegenprogramm zu einem ideologischen Individualismus verstehen, der über Fabrikarbeit, Vorstadtkonformität, Rassendiskriminierung oder Vietnamkriegserfahrungen hinwegtäuschen wollte.

"Der Räuber" hat keinen so guten Grund für seinen Fatalismus - es ist nur en vogue, grundsätzlich an der Veränderbarkeit von Gegebenem zu zweifeln und den Stillstand, den dieser Zweifel rechtfertigt, zu genießen. Je mehr man die Virtuosität von Heisenbergs Film bewundert, umso ernüchterter ist man, weil sich "Der Räuber" dem Fatalismus kampflos ergibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.