Buch über Schleier: Undurchdringliche Fasern

Das Buch "What does the veil know?" nimmt den Schleier kritisch und künstlerisch ins Visier - mit Beiträgen von Ayse Erkmen und Elfriede Jelinek.

Der Schleier als Unterscheidungsmerkmal: Studentinnen der Amerikanischen Universität von Kairo. Bild: dpa

Gesichtsschleier, Burkas und Tschadors aus durchsichtigem Musselin, baumelnden Perlen und Holzplatten: Im Alten Museum in Berlin werden derzeit ethnologische Exponate ausgestellt. Man will zeigen, wie das "Humboldt-Forum" aufgebaut sein könnte, jenes Museum, das im Stadtschloss oder anderswo drei Sammlungen zusammenführen soll, irgendwann. Und das erstmals die Artefakte nicht nach Kontinenten sortiert zeigen will, sondern thematisch gebündelt, wie im Alten Museum gerade vorgeführt wird. Götzen hier, Krokodile da, Zählsysteme dort, Waffen woanders. Und Schleier aus aller Welt und allen Zeiten in einer extra Ecke.

Egal woher sie stammen, egal aus welchem Jahrhundert und egal ob manche eher wie Schmuck anmuten: Sie zeigen alle auf den ersten Blick die Gewalt, die dem weiblichen Körper damit angetan wird. Schon allein, weil das Gehänge äußerst unangenehm zu tragen sein dürfte. Ungezwungenes Sich-Bewegen, ungestörte Sicht sind undenkbar. Die Stücke markieren eine deutliche Grenze zwischen denen, die sie tragen, und jenen ohne. Zwischen denen, die unter diesen Artefakten verborgen sind, und der Welt auf der anderen Seite.

Den Schleier als Unterscheidungsmerkmal untersucht das Buch "What does the Veil know?", herausgegeben von der Germanistin Vivian Liska und der Autorin und Filmemacherin Eva Meyer. "Der Schleier", schreibt Meyer einleitend, "ist ein emotional besetzter Raum, der sich vehement jeder Subjekttheorie widersetzt, die von einem denkenden, fühlenden und wollenden Selbst ausgeht; etwas also, das zu dem gehört, was man gemeinhin eine Person nennt."

Damit sind die Thesen zunächst deutlich vorgetragen. Auch wenn die Autorinnen sich den Luxus gönnen, die verschiedenen historischen Varianten des Verschleierns zu benennen, als Schmuck, als Statussymbol der antiken High Society: In seiner heutigen Form, macht Meyer in jener Einleitung deutlich, wirkt dieser Stoff auf die Trägerin in jeder Faser politisch.

Doch simple Argumente sind in den Aufsätzen nicht zu finden. Die Autorenliste, die von dem Tel Aviver Künstler Eran Schaerf, der Schriftstellerin Elfriede Jelinek und Denkern wie Avital Ronell oder Rembert Hüser reicht, zeigt die Bandbreite an Perspektiven; wer das Buch aufschlägt, entdeckt ein Kunstprojekt. Dass die Herausgeberinnen und die Zürcher Edition Voldemeer sich ausgerechnet bei einem hochpolitischen Thema wie diesem dafür entschieden haben, überrascht - und macht glücklich. Denn hier wird ein Denkraum sondergleichen aufgemacht, eine Agora, die gerade beim Casus "Schleier" so dringend gebraucht wird.

So schlägt sich das Wesen des Schleiers ganz unübersehbar im Buch nieder. Es ist voller Momente des Verbergens, Verhüllens und Versteckens. Neben, in und zwischen den Texten sind Bildstrecken mit Masken, Schattenbildern, seitenweise chinesische Zeichen, ein Drehbuch, eine Art Text-Foto-Gedicht. Und im Zentrum all dessen ist stets das fundamentale Nichtverstehen. Es ist die Tragik von Wissen, das im Dunkeln verborgen bleibt.

Am konkretesten und verblüffendsten ist der Eingriff der in Berlin lebenden Künstlerin Ayse Erkmen. Alle paar dutzend Seiten schnitt sie Sehschlitze ins Papier. Normierte Rechtecke geben so den Blick frei auf ein, zwei, drei kleine Ausschnitte der folgenden Buchseite. Sich ein Bild vom Dahinter zu machen, ist so unmöglich. Beim Umblättern Befremden, als ob man einmal von außen, einmal von innen durch den Augenschlitz eines Stoffstücks schaut.

Der Blick des Anderen

Aber wird nicht ausgerechnet das weibliche Gesicht betont, dank des Schleiers?, sinniert Elfriede Jelinek kampfeslustig in ihrem Beitrag "The Cast-Off Gaze". Und fährt fort, die Doppelmoral aufzudecken, die hinter den uniformen, operierten Gesichtern mit kleinen Westnasen einerseits und dem Glauben an Allah als dem Schöpfer allen Seins andererseits steckt. Auch wenn sie, die "the Gaze of the Other", den Blick des Anderen, wie einen körperlichen Angriff empfindet, ist klar: Der Schleier ist für sie Unterdrückung, nichts anderes. Denn sich frei dafür zu entscheiden, wie sie selbst es könnte, ist unter dem Deckmantel der Religion kaum möglich.

Einer der aufregendsten Beiträge stammt von Rembert Hüser. Sein Aufhänger ist ausgerechnet Jacques Derridas "Fichus"-Text, entstanden zum 11. September 2001. "Il sagissait de changer en fichu une poésie", zitiert der französische Philosoph dort einen Traum Walter Benjamins: "Es handelte sich darum, aus einem Gedicht ein Halstuch zu machen." Für den in Algerien geborenen Denker Derrida, der ein Meister ist, wenn es darum geht, den Blick des Anderen zu sezieren, wird das Tuch flugs zum Differenzmarker. Das Imaginäre eines Gedichts endet im Stofflichen des Tuchs. "Das Adjektiv ,fichu' […] meint das Schlechte", erklärt Derrida, "das, was übel oder verdorben, verloren, arm dran oder verurteilt ist."

Vielleicht würde es schon reichen, hinter jenem verurteilten Stück Stoff, das so viel mehr ist als ein Stück Stoff, wieder das Potenzial der Frauen hervorzuschälen. Wie der persische Schah Reza Pahlevi, der in den 1930ern den Tschador verbot, er sei rückwärtsgewandt, befand er damals. Nicht nur im Traum.

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